Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331
11.09.2025 - Nr. 2111

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Am Mittwoch, 24. September 2025, erscheint ONLINE-EXTRA Nr. 368.


Guten Tag!

Nr. 2111 - 11. September 2025



Der direkte Angriff Israels auf die Hamas-Führung mitten in der katarischen Hauptstadt Doha stößt weltweit auf scharfe Kritik. Die internationalen Reaktionen sowie in der islamischen Welt fassen u.a. WELT, ORF und N-TV zusammen. Für den Friedensprozess hat der Angriff dramatische Folgen, wie fast alle Beobachter übereinstimmen. Auch wenn außer Frage stünde, "dass die Anführer der Hamas im katarischen Exil ein legitimes Ziel sind", kommentiert Jonas Roth in der NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, zeige der Anschlag jedoch, "dass Israel der Diplomatie im Gaza-Krieg eine Absage erteilt – möglicherweise sogar gegen den Willen der USA." Darüber hinaus gefährte der Anschlag Israels eigene Integration in der Region und drohe das mühsam aufgebaute Vertrauen zu arabischen Nationen wie den Golf-Staaten zu zerstören. Roth abschließend:
"Zwei Dinge lassen sich festhalten: Im Nahen Osten gelten die alten Regeln nicht mehr. Und Israel setzt auf militärische Überlegenheit statt auf Diplomatie – mit dem Risiko, sich in einen endlosen Krieg zu verstricken."
Allein in der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN WOCHENZEITUNG verteidigt Chefredaktuer Philipp Peyman Engel den Anschlag und verwahrt sich dagegen, Katar als Friedensvermittler zu qualifizieren:
"Wer die Hamas in Gaza unterstützt, in Doha Terroristen hofiert und mit Al Jazeera weltweit den Hass auf den jüdischen Staat befördert, sollte sich nicht wundern, wenn Israel zurückschlägt."
Und im Blick auf die Kritik deutscher Politiker, Israel habe die Souverenität Katars inakzeptabel verletzt, fragt er kritisch zurück:
"Sprach jemand im politischen Berlin von einer Verletzung der territorialen Souveränität Pakistans, als Osama bin Laden getötet wurde? Als IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi, der ähnlich viel Blut an den Händen hatte wie die Hamas-Anführer, getötet wurde? Nein. Und zwar zu Recht."

Dafür gab es bei den Filmfestspielen in Venedig zwar keinen Goldenen Löwen, aber immerhin den "Großen Preis der Jury": das Dokudrama »The Voice of Hind Rajab« der Tunesierin Kaouther Ben Hania. Mit diesem Dokudrama zog der Nahost-Konflikt gewissermaßen endgültig in die Filmfestspiele ein. Der Film handelt von einem fünfjährigen palästinesischen Mädchen, das im Januar 2024 in einem Auto eingeklemmt ist, während israelische Panzer heranrollen und sie mit einem Telefonanruf um Hilfe ruft - das Auto wurde laut vielen Organisationen von der israelischen Armee beschossen (was diese bestreitet), der Fall steht symbolisch für das Leid palästinensischer Kinder. Die Telefonaufzeichnungen im Film sind ein Originaldokument - der Film selbst verlässt die Zentrale des "Roten Halbmonds", wo ihr Anruf einging, nicht. "Es gibt keine unangemessene Emotionalisierung, nichts wird einer dramaturgischen Zuspitzung oder Spannungsdramaturgie untergeordnet", schreibt Filmkritiker Daniel Kothenschulte in der FRANKFURTER RUNDSCHAU, den der Film spürbar beeindruckt hinterlassen hat:
"Was immer in einer solchen Notsituation über Israel und Palästina gesagt worden sein könnte, fand in ihr Drehbuch keinen Eingang. Dies ist kein Propagandafilm oder bloßes 'Topical', wie man Dramen über aktuelle Themen gerne herabstuft. Es ist ein bedeutendes Werk, dem der Goldene Löwe und eine Oscarnominierung sicher sein dürften."
Jan Küveler kommt in der WELT freilich zu gänzlich anderen Urteilen. Die Kargheit des Films komme im "minimalistischen Büßerkleid des Dokumentarischen" daher, sei aber in Wahrheit nur die "Tarnuniform eines Films, der insgeheim radikal Partei ergreift." Weiter schreibt er:
"Das Leid wird zum absoluten Bezugspunkt. Alles, was dieses Leid erklärt, verschiebt, relativiert, bleibt ausgespart. Dass die Hamas Geiseln hält, Raketen abfeuert und ihre Terrorstrukturen fortdauern - im Film kommt es nicht vor. Er betreibt eine Ikonografie seines unschuldigen Opfers, mit dem man nur mitleiden kann. Seine Botschaft wirkt wie ein lauterer, naiver Appell an die Menschlichkeit. Doch insgeheim zielt er auf den Effekt."
Der Film sei
"weder klug montiert noch visuell zwingend. Er tarnt politische Intervention als Kino. Seine moralische Geste tut friedlich und beansprucht zugleich Hoheit über die Tränendrüsen." 

Die Links zu den Themen in der Rubrik ISRAEL UND NAHOST HINTERGRUND.

Peter Laskowski erläutert in der JUNGLE WORLD die neusten Plänen des rechtsextremen israelischen Finanzministers Bezalel Smotrich zur Annexion des Westjordanlandes:
"'Maximales Land, minimale Bevölkerung', verkündete der israelische Finanzminister Anfang der Woche. Sein Ziel: die formelle Annexion von 82 Prozent des besetzten Westjordanlands. Der Zeitpunkt ist kein Zufall - mitten im Gaza-Krieg und kurz vor einer möglichen UN-Abstimmung zur Anerkennung Palästinas als Staat." 
Smotrichs Pläne seien "kein Nebenschauplatz der israelischen Politik, sondern ihr zunehmend dominanter Kern. Sein Plan markiert den Bruch mit internationalen Friedensinitiativen - und möglicherweise das formale Ende der Zweistaatenlösung."
Vor diesem Hintergrund höchst interessant der Beitrag von Richard C. Schneider, der für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG die geistigen Wurzeln Smotrichs beschreibt und seine Ideologie analysiert. Eine zentrale Bedeutung kommt dabei Rabbi Meir Kahane zu, der in den 1980er Jahren seine radikale Thesen propagierte und die in Smotrich neue Aktualität gewonnen haben. Schneider fasst beispielsweise Kahanes Verständnis des Staates Israel wie folgt zusammen:
"Für ihn [Kahane] war das Land nicht nur das Heimatland des jüdischen Volkes, sondern göttlicher Besitz, der ausschliesslich Juden vorbehalten sei. Araber waren für ihn grundsätzlich «Feinde». Demokratie akzeptierte er nicht, er suchte eine Garantie für ausschliessliche jüdische Vorherrschaft. Wer in seiner Gegenwart von Gleichberechtigung aller Bürger sprach, wurde von ihm als «Verräter» gebrandmarkt. Der Staat Israel war für ihn kein Wert an sich, sondern ein Stadium des Übergangs zur religiös begründeten vollständigen Herrschaft des jüdischen Volkes über das ganze Land Israel."

In einer lesenswerten Reportage, die zuerst in der französischen Zeitung „Le Figaro“ veröffentlicht wurde und nun in deutscher Übersetzung in der WELT zu lesen ist, schildert Hugues Maillot anschaulich die zunehmend schwindende Bereitschaft israelischer Soldaten und Reserveristen, den Gaza-Krieg unvermindert fortzuführen:
"Viele unter ihnen zweifeln an dem Einsatz, fühlen sich von der Politik ausgenutzt. Manche desertieren sogar. Selbst innerhalb des israelischen Militärs mehrten sich zuletzt die Stimmen, die gegen die Fortführung eines schier endlosen Krieges protestieren. Und einige Reservisten lassen dem Unmut auch Tagen folgen. Laut einer Umfrage des israelisch-palästinensischen Magazins +972, die im April veröffentlicht wurde, hatten zu diesem Zeitpunkt etwa 100.000 Reservisten 'die Teilnahme an ihrem Reserveauftrag eingestellt'. In einigen Einheiten sollen laut mehreren Aussagen von Offizieren gegenüber der „New York Times“ 40 bis 50 Prozent der Soldaten nicht erschienen sein."
Maillot beschreibt in seiner Reportage dabei den Zwiespalt der Soldaten und Reservisten wie folgt:
"Die israelischen Reservisten stehen vor einem täglichen Dilemma. Auf der einen Seite die Frage, ob sie die Koalition eines Ministerpräsidenten an der Macht halten, die sie ablehnen. Auf der anderen Seite das Massaker vom 7. Oktober und die Geiseln in der Gewalt der Hamas."

Die Links in der Rubrik ISRAEL INTERN

Weltweit, in Europa und auch in Deutschland stößt der israelische Luftangriff in Doha überwiegend auf scharfe Kritik. Wie u.a. SPIEGEL und DIE WELT berichten, habe sich Außenminister Wadephul besorgt gezeicht und nannte den Angriff "inakzeptabel". Ähnlich auch Bundekanzler Merz, der mit Katar telefoniert hat und den Luftschlag ebenfalls als "nicht akzeptabel" verurteilt. Und der außenpolitische Sprecher der SPD warnt vor gefährdeten Friedensbemühungen. Auch im politischen Europa gibt es überwiegend scharfe Kritik. Beispielhaft Emmanuel Macron, der auf X in Französisch, Englisch, Arabisch und Hebräisch schrieb:
„Die heutigen israelischen Angriffe auf Katar sind inakzeptabel, egal aus welchem Grund. Ich bekunde meine Solidarität mit Katar und seinem Emir, Scheich Tamim Al Thani. Unter keinen Umständen darf sich der Krieg auf die gesamte Region ausweiten.“
Die internationale Presse wiederum reagiert gemischt auf Israels Angriff auf Hamas-Führer in Katar, wie die Zusammenstellung zeigt, die DIE ZEIT veröffentlicht. Es gibt harsche Kritik, aber auch Verständnis. Überwiegend werden die Folgen jedoch als gefährlich beschrieben, eine diplomatische Lösung des Gaza-Kriegs sei nun nahezu undenkbar. Der niederländische "De Telegraaf" schreibt, Israel habe sich entschieden, "den Abzug zu betätigen – wohl wissend, dass damit eine diplomatische Lösung für Gaza in weite Ferne gerückt ist." Änlich die britische Zeitung "The Telegraph", die ein Friedensabkommen zur Beendigung des Gaza-Kriegs "weiter denn je entfernt" sieht.

Eine Mehrheit der deutschen Wähler würde es befürworten, wenn die Bundesrepublik die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Sanktionen gegen Israel unterstützt, wie etwa den von der Bundesregierung abgelehnten Vorschlag der EU-Kommission, Israels Beteiligung am Forschungsförderungsprogramm Horizon Europe unverzüglich teilweise auszusetzen. Das zeigt eine Meinungsumfrage von Verian, über die der "Spiegel" berichtet. Dazu befragte das Meinungsforschungsinstitut im Auftrag der Menschenrechtsorganisation Avaaz Anfang September 1.004 Wahlberechtigte. Das Ergebnis: 63 Prozent sprachen sich dafür aus, nur 29 Prozent dagegen. Größter Zuspruch kommt dabei von den Wählern der Grünen, der geringste von jenen der AfD. 

Mehr zu allem in der Rubrik ISRAEL, DEUTSCHLAND, EUROPA UND DIE WELT.

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Friedrich Karl Klausing war mit 24 Jahren der jüngste der Angeklagten im ersten Schauprozess gegen die Attentäter vom 20. Juli 1944. Bei beiden Versuchen, die Claus Schenk Graf von Stauffenberg unternommen hatte, um Hitler zu töten, war es sein Ordonnanzoffizier Klausing, der die Tasche mit dem Sprengsatz trug. Klausings Weg in den Widerstand ist auch anhand von privaten Briefen, die erst im Jahr 2018 auftauchten, nahezu lückenlos belegt. In einem Beitrag für die WELT zeichnet Lars-Broder Keil diesen Weg nach und schildert das Schicksal Klausings, der wie alle anderen seiner Mitstreiter vom 20. Juli schließlich hingerichtet wurde: "So dachte der Jüngste der Verschwörer vom 20. Juli".

Wie mehrere Medien berichten hat die Historikerin Anne Sudrow in einer noch nicht veröffentlichten Studie die Verbindungen des Schweizer Naturkosmetik-Unternehmens Weleda zum NS-Regime aufgedeckt. So bestellte Weleda Saatgut und Pflanzen aus dem KZ Dachau und tauschte sich mit SS-Ärzten aus. Eine von Weleda entwickelte Frostcreme soll im KZ Dachau an Häftlingen getestet worden sein. Wie das Unternehmen, das Teil der anthroposophischen Szene ist, unterdessen mitgeteilt hat, wolle man nun die eigene Geschichte weiter untersuchen und verurteile die NS-Verbrechen scharf: "Weleda in NS-Zeit mit SS verstrickt".

Götz Aly zählt zu den bekanntesten Autoren, die sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust auseinandersetzen. Sein jüngstes, monumentales Werk verrät bereits im Titel die zentrale Leitfrage seiner neuen Studie: "Wie konnte das geschehen?". Wie kam es dazu? Warum beteiligten sich Hunderttausende an beispiellosen Massenmorden? Aly kommt es mithin vor allem auf eine Analyse der Herrschaftsmethoden an, mit denen die NS-Machthaber Millionen Deutsche in gefügige Vollstrecker oder in vom Krieg abgestumpfte Mitmacher verwandelten – und von denen nicht wenige beängstigend aktuell sind. In der WELT stellt Dirk Schümer den Band vor, in der TAZ wird es von Ulrich Gutmair besprochen. Und in Interviews mit dem REDAKTIONSNETZWERK DEUTSCHLAND sowie dem Nachrichtenportal von T-ONLINE gibt Aly selbst Auskunft über Beweggründe und Erkenntnisse seiner Arbeit: "Das deutsche Verbrechen".

Die Links zu den Themen in der Rubrik VERGANGENHEIT...

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In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG beschreibt Lucien Scherrer die seit Jahren immer bedrohlicher werdende Lage der Juden in Frankreich, die dazu geführt habe, dass seit dem Jahr 2000 an die 100.000 Juden das Land verlassen haben. Die Situation habe sich seit dem 7. Oktober 2023 dramatisch zugespitzt. Die Zahl antisemitischer Vorfälle
"stieg von jährlich rund 500 auf 1676 im Jahr 2023. Letztes Jahr waren es 1570. Eine Trendumkehr ist trotz leicht sinkenden Zahlen nicht zu beobachten. Die Täter schlagen überall zu, mit Schmierereien, Drohungen, Fäusten und Brandsätzen. Im Mai 2024 versucht ein illegal Eingewanderter aus Algerien, die Synagoge von Rouen mit einem Molotowcocktail in Brand zu setzen – und geht, mit einem Messer und einer Eisenstange bewaffnet, auf Polizisten und Feuerwehrleute los."

Der vom „Verein der Freunde des Adolf-Grimme-Preises“ verliehene Donnepp Media Award, der nach dem Gründer des renommierten Grimme-Instituts benannt ist, ging in diesem Jahr u.a. an die 18-Jährige Judith Scheytt. Ausgezeichnet wurde sie - wie es in der Begründung hieß - für ihren „medienkritischen Instagram-Kanal“, auf dem sie mit „tiefem Kenntnisreichtum und analytischer Brillanz ... Doppelstandards, Framings, Floskeln und Falschinformationen bis ins kleinste Detail“ dekonstruiere. Monate später, vor wenigen Tagen, wurder ihr der Preis aberkannt und zwar aufgrund einer „systematische(n) Verzerrung und selektive(n) Kontextualisierung des israelisch-palästinensischen Konflikts“. Eine 39 Seiten umfassende Analyse ihrer Beiträge habe aufgezeigt, dass Scheytt Gewaltakte asymmetrisch bewerte, Israels Sicherheitsbedürfnisse ignoriere und durch „selektive Kontextualisierung und terminologische Verharmlosung terroristischer Gewalt antisemitische Narrative“ rekonstruiere. Den Ball ins Rollen gebracht hatte übrigens die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (die Scheytt als „kleiner christlicher Verein mit Verbindungen zum Zentralrat“ bezeichnet), die sich wegen des tendenziellen Antisemitismus in Scheytts Beiträgen die Preisvergabe als erste beschwert hatte: "Kein Preis für Judenhass".

In einem Beitrag für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG schildert Richard C. Schneider einmal mehr die nach dem 7. Oktober 2023 durch offene Judenfeindschaft sich dramatisch veränderte Lage der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, deren jüngster Höhepunkt die in dieser Form bislang einmalige Kritik an Israel durch den Bundeskanzler und Teile der SPD fand:
"Nach dem ersten Schock des 7. Oktober und nach dem zweiten Schock des explodierenden Antisemitismus im Land ist der Eindruck, dass Deutschland sich zunehmend von seiner besonderen Verantwortung gegenüber Israel distanziert, damit der dritte Schock, der weite Teile der jüdischen Gemeinschaft fundamental verunsichert. Die neue politische Rhetorik wirkt wie eine semantische Entwertung jüdischer Sicherheitsbedürfnisse."
Im Ergebnis habe dies - "nichts Neues in der jüdischen Geschichte" - dazu geführt, "dass sich Juden wieder einmal fragen, ob sie ihre Koffer packen sollen."

Im TAGESSPIEGEL spricht die Politologin Maria Kanitz im Interview über Antisemitismus im Pop, worüber sie soeben gemeinsam mit dem Soziologen Lukas Geck das Buch "Lauter Hass: Antisemitismus als popkulturelles Ereignis" veröffentlicht hat. Ihr Befund ist ebenso ernüchternd wie erschreckend. Beispielsweise kämen in der popkulturellen Szene heute die "Boykottaufrufe, Drohungen und antisemitischen Ressentiments ... aus ganz unterschiedlichen Milieus. Was BDS vor zwei Jahrzehnten begonnen hat, trägt sich seit dem 7. Oktober quasi von allein weiter." 
Seitdem
"geben sich viele Künstler (...) als Sprachrohr für Frieden und Gerechtigkeit im Nahen Osten aus. Bei einigen wird man leider den Eindruck nicht los, es gehe ihnen nicht darum, auf das Leid im Gazastreifen aufmerksam zu machen, sondern um performativen Widerstand. (...)  Dort findet eine Aneignung des Leids statt, um sich auf der richtigen Seite der Geschichte zu wähnen und damit obendrein Geld zu verdienen. Es geht um die Pose. Auffällig ist dabei das Credo 'Palestine will set us free'. Da wird die Palästinafrage zur Menschheitsfrage erhoben. Der dahinterstehende Gedanke richtet sich indirekt nicht nur gegen Israel, sondern gegen Juden weltweit. Mit Frieden, Menschenrechten oder Humanismus hat das wenig zu tun."

Die Links zu den Themen in der Rubrik
ANTISEMITISMUS.

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Der jüdische Schriftsteller Franz Werfel (*10.09.1890 +26.08.1945) oszillierte zeitlebens zwischen christlicher und jüdischer Glaubenswelt, was sich nicht nur in seinem schriftstellerischen Werk niederschlug, sondern vor allem in seinen im amerikanischen Exil entstandenen "Theologumena" wiederspiegelte. Anlässlich seines 130. Geburstages und 75. Todestages in diesem Jahr greift Lukas Pallitsch vor allem diesen Aspekt in seinem lesenswerten Porträt Werfels auf, das er für FEINSCHWARZ geschrieben hat: "Grenzgänger zwischen jüdischer und christlicher Welt".

Im Mai diesen Jahres gab der Dachverband der über 80 Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, der Deutsche Koordinierungsrat, bekannt, dass der Jesuit Christian Rutishauser im kommenden Jahr mit der renommierten Buber-Rosenzweig-Medaille für seine Verdienste im christlich-jüdischen Dialog ausgezeichnet werden soll. In einem recht umfangreichen Interview auf den Internetseiten der katholischen Kirche des Kantons Zürich kann man den schweizer Theologen nun näher kennenlernen. Rutishauser erzählt u.a., was ihn auf den Weg zum Priestertum und zu den Jesuiten brachte, woher sein Interesse als katholischer Theologe an der Judaistik kommt und wie er sein Engagement im christlich-jüdischen Dialog begreift:
"Ich bin zutiefst überzeugt, dass in der jüdisch-christlichen Frage ein Menschheitsthema steckt. Dem muss ich nachgehen, ob das gerade en vogue ist oder nicht. Selbst wenn die Mehrheit woanders hinschaut und das Geld woanders hinfliesst, ich muss mich damit auseinandersetzen."

Vergangenes Wochenende wurde begleitet von großer medialer Aufmerksamkeit der mit 15 Jahren an Leukämie verstorbenen Carlo Acutis heilig gesprochen (siehe auch CHRISTLICHE WELT). Der jugendliche Norditaliener, dessen sterbliche Überreste in Assisi liegen, wo er 2020 auch seliggesprochen wurde, wird bereits breit als «Cyber-Apostel» und «heiliger Influencer» verehrt. Ein zentraler Aspekt von Acutis' Frömmigkeit ist seine Verehrung von eucharistischen Wundern. Bereits im April wies der Journalist Otto Friedrich im österreichischen STANDARD kritisch darauf hin, dass sich hinter den "Eucharistischen Wundern" eine ganze Reihe von sogenannten Hostienschändungslegenden verbergen, die wiederum deutlich einem "antijüdischen Topos" folgen: "Einzelnen Juden oder den Juden wurde Diebstahl oder 'Schändung' des in den Leib Christi gewandelten Brotes angelastet – Pogrome waren die Folge dessen." Und auf derlei Vorkommnisse stütze sich freilich die Hostienverehrung von Acutis. Auf dem theologischen Portal FEINSCHWARZ nahm nun kurz vor der Heiligsprechung der Jesuit und nächstjährige Preisträger der Buber-Rosenzweig-Medaille Christian Rutishauser Acutis in Schutz. Acutis habe die von ihm gesammelten Erzählungen über Hostien wunder"neutralisiert", indem er nicht auf Juden als "Täter" hinweise. So seien seine Texte "also nicht direkt antijudaistisch bzw. antisemitisch, sondern a-semitisch, von Juden rein gemacht." Dieser Argumentation widerspricht wiederum Otto Friedrich in einem Leserbrief mit deutlichen Worten. Das Verschweigen der Juden als „Täter“ in den von Acutis gesammelten Hostienschändungs-Legenden "neutralisiere" diese Geschichten keineswegs:
"Es handelt sich vielmehr um Geschichtsklitterung: Indem man die Juden als Subjekte dieser antijüdischen Verwerfungen ver­schweigt, raubt man ihnen einmal mehr die eigene Geschichte. Nein, man darf eucharistische Frömmigkeit nicht auf dem Boden derartiger, heute zu Recht als unchristlich verstandener Geschichten aufbauen." 

Die Links zu den Themen in der Rubrik INTERRELIGIÖSE WELT.

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Heute vor 80 Jahren feierten Überlebende und US-Soldaten den ersten Gottesdienst in der Westendsynagoge nach der Schoah. Anlass für Leticia Witte der größten Synagoge Frankfurts einen Besuch abzustatten, von dem sie auf KATHOLISCH.de berichtet. In der FAZ nimmt wiederum Günter Mick den 75. Jahrestag der Wiedereinweihung der Westendsynagoge am 6. September 1950 in den Blick und schildert anschaulich deren Verlauf. U.a. zitiert er aus der Ansprache von Robert Hanes, seinerzeit Beauftragter des amerikanischen Marshallplans für die Bundesrepublik Deutschland:
„Die Welt kann nicht umhin, den Mut zu bewundern, mit dem Sie Ihre Arbeit und Ihre Berufe wieder aufgenommen haben, mit dem Sie nicht nur Ihre Gotteshäuser, sondern in vielen Fällen auch Ihr Leben von Neuem aufbauen.“
Mick verknüpft seine Erinnerung an den Tag der Wiedereinweihung mit einem anderen Ereignis: gleichzeitig steht nämlich in Frankfurt Heinrich Baab, 41 Jahre alt, vor Gericht. Er war Beamter der Gestapo im Frankfurter Hauptquartier in der Lindenstraße 27. Wenige Monate vor der Wiedereinweihung der Westend-Synagoge wird der Prozess gegen ihn am 6. März 1950 eröffnet: "Hoffnung und Horror nach dem Holocaust."

Seit zehn Jahren war es ein Vorzeigeobjekt: der "Runde Tisch Frieden" in Köln-Chorweiler. An dem Tisch saßen Protestanten, Katholiken, Muslime, Juden, Aleviten. Auch die Synagogen-Gemeinde Köln (SGK), die älteste jüdische Gemeinde nördlich der Alpen und eine der größten jüdischen Gemeinden in Deutschland, war ebenfalls mit von der Partie. Nach einer Kontroverse um einen geplanten Besuch von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst zieht sich nun die Synagogengemeinde Köln aus dem »Runden Tisch Frieden« zurück. Die JÜDISCHE ALLGEMEINE WOCHENZETUNG und DIE WELT erläutern die Hintergründe und schildern die Beweggründe für den Rückzug der Jüdischen Gemeinde Köln: »Im Stich gelassen«.

Überraschenderweise in den Nachkriegsjahren florierte die jiddische Presse und spiegelte auf beeindruckende Weise die Vielfalt jüdischen Lebens wider. Warum dann ausgerechnet der Aufstieg des Zionismus ihr Ende besiegelte, schidert Jim G. Tobias in der schweizer-jüdischen Wochenzeitung TACHLES. Die in der Schweiz erscheinende »Jüdische Zeitung« hat es wiederum geschafft, seit 35 Jahren als einzige deutschsprachige Wochenzeitschrift charedischer Juden, deren Leserzahl zudem noch wächst, zu überleben, wie Peter Bollag in der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN WOCHENZEITUNG berichtet: "35 Jahre orthodoxe Nachrichten".

Seit den Streamingserien „Unorthodox“ und „Die Zweiflers“ gehört er zu den Lieblingen des deutschen Films und hat sich nicht nur bei uns zum Megastar gemausert: der Schauspieler Aaron Altaras. Wie viel hat seine Schauspielerei mit seinem Jüdischsein zu tun? Das wollte die FAZ u.a. von ihm wissen und sprach mit ihm: „Ich definiere mich nicht nur über mein Jüdischsein, sondern über andere Dinge“.

In Frankreich ist sie die wohl prominenteste Vertreterin des liberalen Judentums: Delphine Horvilleur, die bei uns vor allem durch ihr 2020 erschienenes Buch "Überlegungen zur Frage des Antisemitismus" bekannt wurde. Trotz antisemitischer Angriffe und Hass aus verschiedenen Richtungen setzt sie sich unvermindert für den Dialog ein, wie Christine Longin in ihrem Porträt für die JÜDISCHE ALLGEMEINE WOCHENZEITUNG schildert: "Rabbinerin und Medienstar".

Vicki Baum war eine Starautorin der Weimarer Republik. Vornehmlich als Autorin des Romans »Menschen im Hotel« bekannt und beliebt, ermöglichte ihr der internationale Erfolg dieses Romans die frühzeitige Emigration und literarische Karriere in den USA, wo die 1888 als Tochter eines jüdischen, im Getreidehandel tätigen Prokuristen den Holocaust überlebte. Doch neben ihrem Erfolgsroman verfasste sie noch über 30 weitere Texte, darunter auch Novellen und Theaterstücke, wie die nun vorliegende fünfbändige, kommentierte Werkauswahl bezeugt, die Wilhelm von Sternburg in der FRANKFURTER RUNDSCHAU näher vorstellt: „Ich bin eine erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte“

Die Links zu den Themen in der Rubrik JÜDISCHE WELT.
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Was hat es mit dem Cyber-Apostel Carlo Acutis auf sich, der dieser Tage heilig gesprochen wurde? Ganz zentral bei seiner Heiligsprechung ging es auch um seine eucharistische Verehrung. Welche Rolle spielen dabei die sogenannten Blutwunder? Und ist Acutis wirklich als Heiliger so zeitgemäß, wie die überbordende Verehrung gerade durch die junge Generation es nahelegt? Hierzu gibt es eine Reihe von Beiträgen, die sich teilweise durchaus kritisch mit dem Cyber-Apostel befassen: "Blutende Hostien und ein Herz auf Reisen".

Die Links dazu in der Rubrik CHRISTLICHE WELT.

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Assaf Gavron wurde 1968 geboren, wuchs in Jerusalem auf und studierte in London und Vancouver und lebt heute mit seiner Familie in Tel Aviv. Er hat mehrere Romane und einen Band mit Erzählungen veröffentlicht und ist in Israel Bestsellerautor. Nun liegen zwei seiner Erzählungen in einer neuen Ausgabe in deutscher Sprache vor: "Everybody be cool". Beat Mazenauer hat sie für LITERATURKRITIK gelesen: "Cool zu bleiben ist die Kunst. Assaf Gavron ordnet im Band „Everybody be cool“ den Nahen Osten gesellschaftlich und politisch neu".

Der Link zur Buchvorstellung in der Rubrik ONLINE-REZENSIONEN.

Dies alles und noch viel mehr wie üblich direkt verlinkt, ergänzt von aktuellen FERNSEH-TIPPS sowie einschlägigen ONLINE-REZENSIONEN im heutigen COMPASS.


Einen angenehmen Tag wünscht


Dr. Christoph Münz

COMPASS

redaktion@compass-infodienst.de

(Editorial zusammengestellt unter Verwendung des Teasermaterials der erwähnten Artikel)



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