ACHTUNG:

Guten Tag!
"Das Völkerrecht hat sich zu einem Volkssport entwickelt – wie Jogging, Yoga oder Kampftrinken. Die Zahl der 'Völkerrechtsexperten' wird von Tag zu Tag größer." Gewohnt süffisant beginnt Henryk M. Broder mit diesen Worten seinen Beitrag in der WELT zu einer hierzulande beinahe ausufernden Debatte um die Rechtmäßigkeit des israelischen (und amerikanischen) Angriffs auf die Atomanlagen des Terrorregimes im Iran. (Erste gute Überblicke bieten z.B. Beiträge auf DEUTSCHER WELLE, T-ONLINE.NEWS und der HUMANISTISCHE PRESSEDIENST.) Den diversen Einwänden gegen das Vorgehen der Israelis, wie sie u.a. Sarah Wagenknecht vorbringt, entgegnet Broder:
"Was würde Wagenknecht tun, wenn einer ihrer Nachbarn Unmengen von Sprengstoff auf seinem Grundstück lagern und damit drohen würde, Wagenknechts Haus in die Luft zu jagen? Würde sie hoffen, dass er nur blufft? Ihre Sachen packen und wegziehen? Oder dem Nachbarn „Verhandlungen“ anbieten, um den „Konflikt“ friedlich zu lösen? Der Iran unter seiner gegenwärtigen Regierung ist eine der Spezies, die aus Schaden nicht klug, sondern noch böser wird."
Das Problem ist diffizil, was man auch schnell merkt, wenn man die diversen Einschätzungen einer ganzen Schar von Völkerrechtsexperten liest, die von den deutschen Medien aufgetrieben werden. In der TAZ etwa kommt der Göttinger Straf- und Völkerrechtsexperte Kai Ambos zu dem deutlichen Urteil, Israels Angriff auf Iran sei völkerrechtswidrig, weil - wie es das Völkerrecht festlegt - es keinen bewaffneten Angriff Irans gegeben und ein Angriff nicht unmittelbar bevor gestanden habe. Dem hält freilich Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN WOCHENZEITUNG, empört entgegen:
"Die beiden Großangriffe des Iran auf Israel im vergangenen Jahr mit ballistischen Raketen und Drohnen werden kurzerhand ausgeblendet. Ebenso wie die finanzielle, materielle und personelle Unterstützung der Terrororganisationen Hamas, Hisbollah und jener der Huthi, die in den 7. Oktober 2023 mündeten."
Und er schlussfolgert:
"Israel eskaliert nicht. Israel reagiert. Israel provoziert keinen Krieg. Israel ist der Krieg schon längst erklärt worden."
Ähnlich auch Reinhard Müller in der FAZ:
"Aber erstaunlicherweise wird in dieser Debatte dauerhaft vergessen oder unterdrückt, dass Israel seit Langem angegriffen wird. Von der Hamas, der Hizbullah und den Huthis – alles mehr oder weniger verlängerte Arme Irans. Wenn man das so sieht, verteidigt sich Israel gegen den Urheber, gegen das Mastermind jener fortgesetzten Attacken: das Regime in Teheran."
Den nicht wenigen Stimmen, die sogar jeden Präventivschlag ablehnen, hält wiederum Alexander Haneke ebenfalls in der FAZ entgegen, dies würde beispielsweise im Fall Israel-Iran faktisch bedeuten, "dass sich Israel gegen einen iranischen Atomschlag erst zur Wehr setzen dürfte, wenn Teheran bereits die erste Atomrakete in Richtung Israel schießt." Eine absurde Vorstellung. Vor diesem Hintergrund verweist Haneke sodann auf ein Votum des amerikanischen Juristen Michael Schmitt in den Jahren nach dem 11. September 2001. Dessen Argumentation beruhte
"auf der Annahme, dass es im Falle von Massenvernichtungswaffen weltfremd sei, dass Staaten abwarten müssten, bis ein Angriff unmittelbar bevorstehe. Das entscheidende Kriterium sei hingegen, ob es sich um die letzte Gelegenheit handele ..., einem bevorstehenden Angriff wirksam entgegenzutreten. Israel hatte in dem Punkt argumentiert, dass es nicht abwarten könne, bis Iran die Bombe habe, da dann jeder Präventivschlag zu einer nuklearen Eskalation führen könne. Schmitt hatte sich in der vergangenen Woche als einer der ersten Völkerrechtler hinter das israelische Vorgehen gestellt."
So richtig klug wird man aus der ganzen Debatte nicht wirklich bzw. die inhärenten Paradoxien dieses komplexen Problems scheinen nicht auflösbar. Niemand will, dass sich jenseits allen verbindlichen Regelwerks das Recht des Stärkeren durchsetzt. Aber was, wenn die Stärke des Rechts nicht ausreicht, um jene in Schranken zu halten, die auf die Stärke des Rechts sowieso pfeifen? Was, wenn eine Berufung auf das Völkerrecht und dessen angemahnte Einhaltung nicht ausreicht, um die eigene Bevölkerung vor den Vernichtungsdrohungen eines gesetzlosen Schurkenstaates wirksam zu schützen?
Vielleicht hilft da ein wenig der Hinweis auf Amos Oz, den Esther Shapiera am Ende ihres Essays für die JÜDISCHE ALLGEMEINE WOCHENZEITUNG einbringt. Sie schreibt:
"Schon der große Friedensaktivist und Schriftsteller Amos Oz sagte: »Auch ein Mann des Ausgleichs kann nicht auf die Hamas zugehen und sagen: ›Vielleicht treffen wir uns in der Mitte, und Israel existiert dann eben nur montags, mittwochs und freitags.‹« Es lebt sich grundsätzlich anders mit dem Wissen, dass ein Regime, das den eigenen Tod zur Staatsdoktrin erhoben hat, sich in aller Ruhe daran macht, dieses Ziel zu erreichen."
Was man bei alledem auch nicht vergessen sollte, daran erinnert Ralf Balke in einem instruktiven Beitrag für HAGALIL: Einst waren nämlich Israel und der Iran Partner in der Region. Erst mit der Islamischen Revolution kam die Wende. Seither predigen die Mullahs Hass und Vernichtung. Wie aber sah die Geschichte dieser beiden Länder davor aus? Balke hat sich auf eine Spurensuche aus den vermeintlich besseren Tagen im Verhältnis der beiden Ländern gemacht: „Liebesbeziehung ohne Ehevertrag“.
In einem lesenswerten Gespräch mit dem israelischen Historiker Benny Morris in der FAZ, das zu zwei Dritteln auf eindrückliche Weise die Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts aufdröselt und mit einigen Mythen abrechnet, antwortet Benny Morris auf die Frage, ob Netanjahu mit dem Krieg gegen Iran von Gaza ablenken wolle:
"Das ist Unsinn. Man kann darüber sprechen, ob Netanjahu die letzten 19 Monate den Krieg in Gaza in die Länge gezogen hat, um an der Macht zu bleiben und Neuwahlen zu verhindern, aber das hier ist eine andere Sache. Hier sprechen wir über Netanjahus Obsession: das iranische Atomprojekt. Und nicht nur er war davon besessen, viele Israelis wie ich auch. Die Israelis erhielten kürzlich Informationen darüber, dass die Iraner Fortschritte in der Urananreicherung gemacht haben und sehr bald in die entscheidende Phase eintreten können, in der dieses Uran in Sprengköpfe gebracht wird."
Auch geht Morris auf die Frage ein, ob Israel in Gaza einen Genozid begehe. Er sagt:
"Ein Genozid muss vom Staat organisiert, systematisch und zielgerichtet sein. Und es muss die Absicht geben, ein Volk tatsächlich zu vernichten. Beides gibt es in Bezug auf die Palästinenser nicht - außer bei ein paar israelischen Ministern. Die israelischen Luftangriffe zielen auf Hamas-Kämpfer ab. Man weiß, dass sie sich unter zivilen Einrichtungen verstecken, weshalb auch andere Menschen getötet werden - was nach internationalem Recht sogar erlaubt ist. Es stellt sich dann aber die Frage der Verhältnismäßigkeit."
Und schließlich porträtiert Ulrich Gutmair in der TAZ die beeindruckende Persönlichkeit einer "der wichtigsten politischen Stimmen aus der palästinensischen Exilgemeinde": Hamza Howidy. Ein intellektueller Freigeist der alten Schule, der zu einer "international viel beachteten und geschätzten Stimme geworden (ist), weil er aus der humanistischen Perspektive eines Demokraten sowohl die verbrecherische Politik der Hamas als auch israelische Kriegsverbrechen in Gaza kritisiert." Dabei gerät Howidy zwichen alle Stühle und zwischen die Fronten, was u.a. auch dazu führt, dass vor kurzem sein Asylantrag vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgewiesen wurde, weil er bereits in Griechenland Asyl bekommen hat. Eine Petition gegen seine drohende Abschiebung haben bereits fast 14.000 Menschen unterschrieben: "Hamza Howidy zeigt, dass es auch anders geht".
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Der Krieg infolge des brutalen Angriffs der Hamas auf Israel ist ein Wendepunkt in der Geschichte des jüdischen Staates - und zwar vor allem, "weil er tiefe psychologische, politische und kulturelle Spuren im Land hinterlassen wird". So Richard Chaim Schneider gleich zu Beginn seines Essays in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, in dem er sich fragt, wie Israel diesem Trauma entkommen kann, ohne seinen demokratischen Charakter einzubüßen. Schneider ist überzeugt, dass Israels Zukunftsfähigkeit auch davon abhänge, wie sich der auf Verteidigung und Überleben ausgerichtete Zionismus erneuern kann:
"Vielleicht ist genau jetzt der Moment gekommen, an dem sich ein neuer Zionismus herausbilden muss: ein Zionismus, der nicht nur auf Verteidigung und Überleben setzt, sondern auch auf demokratische Resilienz und soziale Gerechtigkeit. Ein Zionismus, der Diversität nicht als Bedrohung, sondern als Reichtum begreift. Ein Zionismus, der sich nicht durch den permanenten Ausnahmezustand definiert, sondern durch die Fähigkeit, inmitten der Unsicherheit Gerechtigkeit im durchaus biblischen Sinn zu leben."
Mit einer geradezu lakonischen Melancholie sinniert der israelische Schriftsteller Etgar Keret in der FAZ über Schuld und Unschuld, Täter und Opfer:
"Karma ist ein trügerisches Biest. Wenn man auf einem Teppich sitzt, den man im Treppenaufgang ausgerollt hat, weil das Haus nicht über einen anständigen Luftschutzraum verfügt, und in der Nähe Raketen einschlagen und man das Zittern von Türen und Fenstern spürt, denkt man unwillkürlich an andere Familien, in Gaza und Teheran, die ebenfalls verängstigt auf dem Fußboden sitzen und beten, so wie man selbst, und genauso hoffen, dass dieser Horror möglichst bald vorbei ist. Ja, man kann die Welt in Falsch und Richtig einteilen, in Gut und Böse, in Helden und Schurken. Man kann sie aber auch anders einteilen - in Machtpolitiker, die entschlossen sind, zu einer imaginären alten Größe zurückzukehren, während sie in ihren Atombunkern Befehle erteilen, und die Leidtragenden - in Israel, in Gaza und in Iran, wo die Menschen deutlich schutzloser sind."
Und am Ende seines kurzen Textes schreibt Keret:
"'Es gibt keine Unschuldigen in Gaza', erklärten israelische Minister schon bald nach dem Beginn des Gazakriegs, und auch in Teheran oder im Treppenaufgang unseres bescheidenen Wohnhauses in Tel Aviv gibt es keine Unschuldigen. Nirgendwo gibt es heute Nacht Unschuldige. Wir alle sind heute Nacht legitime Ziele, gerechtfertigte Kollateralschäden in einer Welt, die vollkommen aus den Fugen geraten ist."
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Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der FAZ hat sich das Ansehen Israels bei den Menschen in Deutschland deutlich verschlechtert, wie die JÜDISCHE ALLGEMEINE WOCHENZEITUNG berichtet. Auf die Frage »Haben Sie ganz allgemein ein gutes oder ein schlechtes Bild vom Staat Israel?« antworteten 20 Prozent, sie hätten ein gutes oder sehr gutes Bild. Im Jahr 2022 waren es noch 54 Prozent gewesen. Die Zahl derer, die ein eher schlechtes oder sehr schlechtes Bild von Israel haben, stieg von 23 auf 57 Prozent. Israels Vorgehen gegen palästinensische Terrororganisationen im Gazastreifen hielten 13 Prozent für angemessen. 65 Prozent sahen das nicht so. Im Januar 2024 hielten noch 43 Prozent Israels Reaktion für nicht angemessen und 27 Prozent für angemessen. In der FAZ stellt Thomas Petersen vom Institut für Demoskopie Allensbach die Ergebnisse der Umfrage recht ausführlich näher vor: "Das Befremden über Israel wächst".
„Sprach- und ziellos“ präsentiert sich nach Ansicht des HANDELSBLATTS die AfD in der Debatte über den israelisch-iranischen Krieg und gerät in die Defensive. Ein Kernpunkt der innerparteilichen Auseinandersetzungen, so Friederike Haupt in der FAZ, fokussiert sich auf die Frage, ob man weiter an der Seite Trumps verbleiben will oder sich als radikale Friedenspartei positionieren sollte. Und in der WELT macht Frederik Schindler ausführlich und detailreich eine Absatzbewegung der AfD von der Solidarität mit dem jüdischen Staat aus. Immer mehr Vertreter würden von einer "Israel-Lobby" sprechen und vor einer "Verwestlichung" der Partei warnen. Auch lasse sich die Unterstützung nicht mit dem Kampf gegen den Islamismus rechtfertigen, heißt es: "Die AfD im Israel-Iran-Dilemma".
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Im luxemburgischen Kurort Bad Mondorf betrieb die US Army im Frühsommer 1945 ein spezielles Gefangenenlager für die vormalige Spitze des Dritten Reiches. Zeitweilig untergebracht waren hier etwa Arthur Seyß-Inquart, zuletzt Reichskommissar der besetzten Niederlande, Wilhelm Frick, zehn Jahre lang Hitlers Innenminister, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Ex-Außenminister Joachim von Ribbentrop, der Chef der Deutschen Arbeitsfront Robert Ley, der frühere Nürnberger Gauleiter Julius Streicher und "Stargast" Ex-Reichsmarschall Göring. Dieses Prominentenlager „Camp Ashcan“ war für Außenstehende kaum zugänglich. John Kenneth Galbraith, Ökonomie-Professor in Princeton, Berater des verstorbenen US-Präsident Franklin D. Roosevelt, schaffte es ebenso wie die Thomas-Mann-Tochter Erika Mann, die über das Camp einen Bericht schreiben wollte. Was die beiden dort erlebten und was dieses Gefangenenlager noch auszeichnete, schildert Sven Felis Kellerhoff anschaulich für die WELT: "Ein Passierschein von Gott reichte nicht, um hier hereinzukommen".
Anfang der Siebzigerjahre war der niederländische Klub Ajax Amsterdam mit seinem späteren Spitzenstar Johan Cruyff im europäischen Fußball das Maß aller Dinge. Wichtiger Begleiter des Aufstiegs von Ajax war auch ihr Physiotherapeut: Salo Muller. Mit Beharrlichkeit und neuen Methoden revolutionierte Muller die Pflege und physiotherapeutische Begleitung der Spieler. Für die Fans wurde er zur Legende, der beim Einsatz für verletzte Spieler stets mit einem lang gezogenen „Salooooo“ begrüßt wurde. Dass Salo Muller aber auch noch eine ganz andere, besondere Geschichte hat, zeigte sich etwa bei Spielen gegen die Rivalen aus Rotterdam oder Eindhoven, bei denen Muller verbal als „Scheißjude“ attackiert wurde. Salo Mullers Eltern wurden in Sobibor und Auschwitz ermordet, er selbst erlebte im niederländischen Versteck. Davon hat er Patric Seibel für die FAZ erzählt und auch, warum er heute für die Entschädigung deportierter Juden kämpft: "Fahrschein in den Tod".
Von der Armbanduhr bis zur Unterwäsche Hitlers kommen noch die abseitigsten Objekte unter den Hammer. Wer sammelt Nazi-Waffen? Nicht alle Sammler gewähren solche Einblicke. Vor allem in Deutschland bleibt die Szene gern im Verborgenen, kaum einer will sich vor der Kamera äußern. "Terra X History" begibt sich in einer 45-minütigen Doku weltweit auf Spurensuche und geht der Frage nach, wie die Artefakte verkauft werden, wer daran verdient und wie groß der Markt ist: "Selling Hitler - Das Geschäft mit der bösen Vergangenheit".
Jubelnde Massen, willige Erfüllungsgehilfen: Das ist das Bild, das man vom «Dritten Reich» hat. Der Historiker Peter Longerich vertritt in seinem neuen Buch die These, die meisten Deutschen seien keine überzeugten Nazis gewesen, sondern Konformisten, das NS-Regime habe nie die Mehrheit der Deutschen hinter sich gehabt. Thomas Schmid hat stellt These und Buch in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG vor: "Ein Volk von begeisterten Nazis?"
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Wie israelfeindliche Akteure in Deutschland Stimmen der Vereinten Nationen für ihre eigene Agenda nutzen beschreibt das jüngste Lagebild Antisemitismus der Amadeu-Antonio-Stiftung unter dem Titel: „Resolution Israelfeindschaft: Deutschland, die UN und der 7. Oktober“. Donnerstag vor einer Woche wurde die Studie gemeinsam mit dem Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, vorgestellt. Die UN-Berichterstatterin spiele „für die antisemitische Mobilisierung eine prominente Rolle, auch in Deutschland“, heißt es in dem Papier, das unter anderem der Sozialphilosoph Nikolas Lelle erarbeitet hat und deren Kernpunkte Frederik Schinler in der WELT erläutert: "Wie die Vereinten Nationen Antisemitismus auf deutschen Straßen befördern".
Bei einer pro-palästinensischen Kundgebung am vergangenen Samstag in Berlin, an der laut Polizei 15.000 Menschen teilnahmen, wurden verbotene Parolen gerufen, darunter »From the river to the sea, Palestine will be free!«. Auch wurden »strafrechtlich relevante Symbole« gezeigt. Es gab mehrere Festnahmen. Eine friedliche pro-israelische Gegendemonstration wurde hingegen von der Polizei aufgelöst mit der Begründung, man könne die Sicherheit der Teilnehmer nicht gewährleisten. Im CICERO kommentiert Jan Uphoff: "In der Hauptstadt diktiert jetzt der Mob, wer gesehen wird – und wer nicht."
Kürzlich feierte das österreichisch-jüdische „NU – Jüdisches Magazin für Politik und Kultur“, deren Beiträge immer wieder auch im COMPASS verlinkt sind, sein 25. Jubiläum. Anlässlich dieses Jubiläums hielt die Autorin und Journalistin Mirna Funk eine Rede in Wien, die nun von der österreichischen Tageszeitung DIE PRESSE im Wortlaut veröffentlicht wurde. Funk nutzt die Gelegenheit, um die "tektonischen Verschiebungen" von Antisemitismus und Israelhass in der Folge des 7. Oktobers 2023 zu skizzieren. Bitter konstatiert sie gleich zu Beginn ihrer Rede, "dass die Zeit des Erklärens vorbei" sei. Weiter heißt es:
"Ich habe zehn Jahre lang versucht, Antisemitismus zu vermitteln. Ihn sichtbar zu machen. Ihn zu sezieren, zu benennen, einzukreisen. Ich habe es freundlich getan, aufklärerisch, analytisch. Und ich habe es wütend getan, verzweifelt, unnachgiebig. Es hat nichts genutzt. Und wer es heute noch immer nicht begreift, will es auch nicht begreifen."
Gleichwohl hält sie dem entgegen, dass "jüdisches Leben ... wieder mehr widerständig sein" müsse und erläutert:
"Der Begriff 'Zachor' – erinnere dich! – ist kein nostalgischer Imperativ. Es ist eine Handlungsanweisung. Erinnerung im Judentum ist kein Archiv, sondern Gegenwart. Wer sich erinnert, weiß, woher er kommt. Und wer weiß, woher er kommt, kann entscheiden, wohin er geht. Das ist die jüdische Idee von Zukunft: nicht die Hoffnung auf Harmonie, sondern das Wissen um Verantwortung. Und daraus entsteht: Haltung. Handlung. Entscheidung."
Der Weltkirchenrat, ein Zusammenschluss von 365 protestantischen, anglikanischen, orthodoxen und altkatholischen Kirchen in der ganzen Welt, hat in ungewöhnlich scharfer Form die israelische Politik angeprangert und Israels Vorgehen gegenüber Palästinensern erstmals offen als "Apartheid" verurteilt. In einer Erklärung fordert er Sanktionen und ruft Kirchen weltweit zum Handeln auf, berichtet das SONNTAGSBLATT. Kritik am Apartheids-Vorwurf kommt von der Europäischen Rabbinerkonferenz in München. Deren Präsident Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt wirft dem Weltkirchenrat doppelte Standards vor, wie der BAYRISCHE RUNDFUNK berichtet: "Wer Israel Apartheid vorwerfe, aber die russisch-orthodoxe Kirche in seiner Mitte dulde und sich von dieser größtenteils finanzieren lasse während diese zum heiligen Krieg in der Ukraine aufrufe, sollte lieber schweigen, sagte der jüdische Vertreter dem BR. Der Weltkirchenrat offenbare historisches Unwissen und moralisches Versagen, so Goldschmidt." Thomas Kühn kommentiert das in der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN WOCHENZEITUNG ähnlich: "Allein Israel anzuprangern, hilft ... nicht, vielmehr ist es verlogen, einseitig und dadurch antisemitisch."
Die Links zu den Themen in der Rubrik ANTISEMITISMUS.
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Ob Menschen religiös werden oder nicht, hängt laut einer internationalen Studie entscheidend von ihren Familien ab – insbesondere von den Müttern. Das teilte am Dienstag das beteiligte Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster mit, über deren Ergebnisse KATHOLISCH.de berichtet. Religion werde demzufolge or allem dort weitergegeben, wo eine Familie ein religiöses Selbstverständnis pflege und gemeinsam religiösen Praktiken nachgehe. Insgesamt ließe sich feststellen, dass die „Weitergabe von Nicht-Religiosität ... in Ostdeutschland der Normalfall" ist und "auch in übrigen westlichen Gesellschaften" steigt. Die Studie liefert umfangreiche neue Daten und Erklärungen zu Faktoren der religiösen Erziehung, wobei im Blick auf Deutschland große Ost-West-Unterschiede festzustellen sind: "Vor allem Mütter beeinflussen Religiosität der Kinder".
Neue Zahlen des Bundesamtes für Statistik zur Religionslandschaft in der Schweiz weisen erstmals Konfessionslose mit 35,6 Prozent der Bevölkerung als größte Gruppe aus. Ein Befund, der noch vor wenigen Jahrzehnten schwer vorstellbar gewesen wäre. Die Mehrheit (56,2 Prozent) der Schweizer Bevölkerung ist freilich christlich, wobei die Katholiken (30,7 Prozent) die Mehrheit stellen, gefolgt von den Protestanten (19,5 Prozent) und anderen christlichen Gemeinschaften (6 Prozent). In Anbetracht der Zahlen spricht Jörg Stolz, Professor für Religionssoziologie an der Universität Lausanne, von einer «Generationen des abnehmenden Glaubens». Das heisst: Die Eltern vermitteln ihren Kindern die Religion immer weniger. Dass immer weniger Babys getauft werden und der konfessionelle Religionsunterricht an der Schule an den Rand gedrängt wird, passt ebenso ins Bild, wie die immer leerer werdenden Kirchenbänke in den Sonntagsgottesdiensten. Vielleicht überraschend, dass diese Tendenz allerdings auch bei den Muslimen zu finden ist: 46 Prozent der Muslime bekennen, überhaupt nie eine Moschee zu besuchen! So viele Abstinenzler gibt es bei keiner anderen Religionsgemeinschaft. Mit beinahe bangem Unterton fragt Sebastian Briellmann in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG: "Gibt es überhaupt einen Gott? Der Rückgang des Glaubens setzt sich fort".
Interreligiöse Beziehungen gelten als besonders herausfordernd – doch ist das wirklich so? Erst recht, wenn gemeinsame Kinder da sind, stellen sich viele Fragen: Welche Werte sollen mitgegeben werden? Welche Feiertage werden gefeiert? Die ehemalige Kantonsschülerin Varsha Sivaseelan hat sich für das schweizer Portal RELIGION.ch vertieft mit der Frage beschäftigt, wie Kinder in interreligiösen Familien aufwachsen. Sie hat dazu mit Aziz Khalifa gesprochen, der als Sohn eines muslimischen Vaters und einer christlichen Mutter eigene Erfahrungen mitbringt, sowie mit Tabitha Walther, die selbst in einer interreligiösen Partnerschaft lebt: "Kind einer interreligiösen Beziehung".
Heute kennt kaum noch jemand Günther Harder – dabei gehörte der am 13. Januar 1902 in Groß Breesen geborene und am 14. September 1978 in Berlin verstorbene Theologe zu den Vorreitern der Verständigung von Juden und Christen nach der Shoah, die auch für das Verhältnis von Deutschland zum neuen Staat Israel von Bedeutung war. 1960 wurde er Gründungsdirektor des heute noch aktiven Berliner Instituts "Kirche und Judentum", das an die damalige Kirchliche Hochschule angebunden wird und maßgebliche Forschungen zum christlich-jüdischen Verhältnis auf den Weg brachte, früh schon Vorträge gegen Antisemitismus anbot und Reisen nach Israel organisierte. Für die internationale katholische Zeitschrift COMMUNIO porträtiert Stephan Fichtner den verdienstvollen Theologen, sein bewegendes Leben und seine bleibenden Verdienste: "Günther Harder – ein vergessener Pionier des christlich-jüdischen Dialogs".
Die Kriege der israelischen Regierung gegen die Hamas im Gaza-Streifen und gegen das iranische Regime werfen ethische Fragen auf: Lässt sich das Vorgehen Israels mit seinem Selbstverteidigungsrecht begründen? Wie lässt sich diese Frage aus theologischer Sicht beantworten? Der Angriff Israels auf die atomaren Anlagen des Iran war ein Akt legitimer Notwehr, denn die vollständige Vernichtung des „zionistischen Gebildes“ gehört seit 1979 zur iranischen Staatsdoktrin, schreibt Peter Schallenberg in einem Kommentar für die TAGESPOST und begründet dies mit der katholischen Soziallehre und Lehre vom gerechten Krieg. Ausführlicher und differenzierter widmet sich Franz-Josef Bormann in der internationalen katholischen Zeitschrift COMMUNNIO dem Problem. Aus der moraltheologischen Tradition, so Bormann, ließen sich zwei wesentliche Kriterien heranziehen: Die Selbstverteidigung muss ausschließlich auf den eigenen Schutz ausgerichtet und sie muss verhältnismäßig sein. Bormann stützt sich dabei in seinen Ausführungen inbesondere auf die Scholastiker und Thomas von Aquin: "Wie weit reicht das Selbstverteidigungsrecht wirklich?"
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Derzeit lebt der größte Teil der verbliebenen kleinen jüdischen Gemeinde Irans, schätzungsweise 8.000 Menschen, in Teheran. Mit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und dem Iran sind jedoch viele von ihnen in ruhigere Gebiete nördlich der Stadt geflohen. Nur spärlich dringen Nachrichten von ihnen nach draußen, die Gemeinde hält sich offiziell mit Äußerungen oder STellungnahmen zurück - nicht zuletzt auch aus Furcht vor antijüdischen Aktionen. Hier und da gibt es freilich Verbindungen zwischen Juden im Iran und im Ausland lebenden Freunden und Verwandten, wie Karmel Melamed für ISRAEL HEUTE berichtet: "Jüdische Gemeinde in Iran hält sich während des Krieges bedeckt".
Das Leo Baeck Institute, zentrale Institution jüdischer Geschichtsforschung, feierte kürzlich sein 70. Jubiläum. In der TAZ erzählt Klaus Hillenbrand die Geschichte des Instituts, zu deren Gründer Hans Tramer, Robert Weltsch und Max Kreutzberger gehörten. Eigentlich sind es sogar drei Häuser, in New York, Jerusalem und London:
"Ursprünglich war vorgesehen, dass das Jerusalemer Institut eine Leitfunktion erhalten sollte. Daraus ist nichts geworden, doch entwickelten die drei Institute ein bemerkenswertes Eigenleben. Größtes Renommee genießt heute zweifellos die New Yorker Einrichtung mit ihrem auf Kreutzbergers Initiative zurückgehenden Archiv, gefüllt mit Tausenden Schenkungen jüdisch-amerikanischer Familien ursprünglich deutscher Herkunft - für Forscher eine Schatzkammer zur deutsch-jüdischen Geschichte. London glänzt durch sein Jahrbuch mit wissenschaftlichen Aufsätzen und Jerusalem durch Übersetzungen und Veröffentlichungen im Hebräischen."
Gefeiert wurde das 70-Jährige kürzlich im Jüdischen Museum Berlin. Die Festrede hielt der österreichische Schriftsteller Doron Rabinovici, nachzulesen ist sie in der FAZ. U.a. resümiert Rabinovici auch den bitteren Hintergrund, vor dem das Institut entstand:
"Was mit den Nürnberger Rassegesetzen ausgelöscht wurde, war nicht die Emanzipation, denn die war nie vollzogen worden, sondern alleinig die Hoffnung darauf. Aber nach Auschwitz ist der Glaube an die Mär von der Emanzipation keine schöne Vision mehr, sondern nur noch eine Beschönigung der Vergangenheit. Was einst eine Verheißung für die Juden war, ist nun zur Verhöhnung der Opfer geworden. Die Differenz im Nachhinein zu verleugnen, heißt zu negieren, was zur Vernichtung von Millionen führte."
Am 18. Mai 2025 vor 90 Jahren starb der französisch-jüdische Offizier Alfred Dreyfus. Die nach ihm benannte Dreyfus-Affäre rüttelte nicht nur Theodor Herzl, sondern das gesamte Judentum Europas auf. Daran erinnert derzeit eine Ausstellung in Paris unter dem Titel "Wahrheit und Gerechtigkeit", die Marta Halpert für das österreichisch-jüdische Stadtmagazin WINA besucht hat: "Hauptmann Alfred Dreyfus: Opfer und Kämpfer zugleich".
»Welches Schweinderl hätten’s denn gern?« Die Älteren unter uns wissen sofort, wer diese Kultfrage im abendlichen TV bei seinem immens erfolgreichen "heiteren Beruferaten" immer wieder stellte: Robert Lembke. Was freilich nur wenige wußten und wissen: Robert Lembke, der als Quizmaster der jahrzehntelang im deutschen Fernsehen laufenden Sendung populär wurde, hat als Sohn eines jüdischen Vaters nur mit viel Glück die Verfolgung durch die Nazis überlebt. Zeitweise, von 1937 bis 1944, war er durch eine sogenannte »Mischehe« mit einer »arischen« Frau halbwegs geschützt. Zeitlebens jedoch vermied er es konsequent, seine eigene Geschichte transparent zu machen. Was diese Geschichte war und was die jüdischen Wurzeln seiner Familie für ihn bedeuteten, fächerte kürzlich eine exzellente filmische Biographie auf, die in der ARD ausgestrahlt und nach wie vor in der Mediathek zu sehen ist: "Das Schweigen hinter dem Schweinderl".
Die Links zu den Beiträgen in der Rubrik JÜDISCHE WELT
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Wer steht da eigentlich vorn im Altarraum: Pastor, Pfarrer oder Priester? Für viele Laien verschwimmen die Grenzen zwischen katholischem und evangelischem Gottesdienst – doch die Unterschiede sind tiefgreifend, theologisch begründet und prägen bis heute das Erlebnis als Besucher. Im SONNTAGSBLATT erläutert Eva-Katharina Kingreen: "Was katholische Messe und evangelischen Gottesdienst unterscheidet".
Erst wurde ihm 1991 vom Paderborner Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt die Lehrbefugnis als Theologe entzogen, dann 1992 ein Predigtverbot erteilt, was jeweils für grosse Proteste sorgte: Eugen Drewermann. Zu seinem 85. Geburtstag vor wenigen Tagen am 20. Juni ist das Interesse an Drewermann inzwischen abgeebbt. Seine damalige Kritik am Klerus zeigte sich spätestens mit Beginn des Missbrauchsskandals in Deutschland als erschreckend zutreffend, wie inzwischen auch Bischöfe einräumen. Dennoch ist Drewermann weitgehend aus der breiten Öffentlichkeit verschwunden. REF.ch und FEINSCHWARZ würdigen ihn zu seinem Geburtstag: "Der Rebell, der sich mit der Amtskirche anlegte".
Die Links dazu in der Rubrik CHRISTLICHE WELT.
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Sie alle waren in Kalifornien im Exil: Franz Werfel, Bertolt Brecht, Heinrich und Thomas Mann und Berthold Viertel. Mitsamt ihren Ehefrauen, von denen meist weniger die Rede ist. Damit sich das ändert hat Ursel Braun in ihrem Buch "Exil im Paradies" die Lebensgeschichten von sechs außergewöhnlichen Frauen zusammengetragen und lässt sie aus dem Schatten ihrer berühmten Männer treten: Marta Feuchtwanger, Nelly Kröger-Mann, Alma Mahler-Werfel, Katia Mann, Salka Viertel und Helene Weigel. Christine Brinck hat das Buch für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG gelesen: "Notgedrungen im Paradies: Hinter den deutschen Exilanten im Zweiten Weltkrieg steckten Frauen, die das Leben in der Fremde organisierten".
Der Link zur Buchvorstellung in der Rubrik ONLINE-REZENSIONEN.
Einen angenehmen Tag wünscht
Dr. Christoph Münz
redaktion@compass-infodienst.de
(Editorial zusammengestellt unter Verwendung des Teasermaterials der erwähnten Artikel)

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