Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331
02.03.2015 - Nr. 1556

ACHTUNG

Von Dienstag, 03. März 2015, bis einschließlich Freitag, 06. März 2015, erscheint KEIN COMPASS!

Die nächste Tagesausgabe erfolgt am Montag, 09. März 2015.


Guten Tag!

Nr. 1556 - 02. März 2015



Nun ist es also soweit: Benjamin Netanjahu, der israelische Ministerpräsident, ist zu seinem umstrittenen Besuch in Washington eingetroffen, wo er morgen im Kongress eine Rede halten und vor allem für seine Iran-Politik werben will. Die Kommentatoren rekapitulieren im Vorfeld den spannungsgeladenen Besuch, bei dem Netanjahu schon jetzt nicht gut wegkommt. Besonders interessant ist jedoch das Psychogramm des Regierungschefs, das der in der Schweiz geborene und in Israel lebende Existenzialpsychoanalytiker und Philosoph Carlo Strenger von Netjanjahu in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG entwirft. U.a. schreibt Strenger:
"Netanyahu lebt psychologisch in einem Bunker, in dem er unfähig ist, kritische Stimmen wahrzunehmen: Er, nur er alleine, sei der Seher und Prophet, der sieht, in welcher Gefahr Israel und die Welt als Ganzes sei; er, und er Alleine sei die ungehörte Stimme, die davor warnt wie gefährlich der Iran sei. Sogar Israels militärische Führungsspitzen begriffen die Tiefe der Gefahr nicht, und wenn die Welt zum Punkt kommen wird, endlich zu sehen, dass Benjamin Netanyahu der einzig hellsichtige Kopf auf Erden gewesen sei, dann könnte es schon zu spät sein. Diese tiefe Überzeugung, absolut recht zu haben und die Unfähigkeit, andere Gesichtspunkte auch nur ernst zu nehmen, auch wenn sie von Fachleuten vertreten werden ist eine beängstigende psychologische Tendenz."
Der Link zu Strengers Artikel sowie weiteren Kommentaren zur USA-Reise Netanjahus in den Rubriken ISRAEL AKTUELL sowie vor allem ISRAEL UND NAHOST HINTERGRUND.

Fast mehr als ein halbes Jahr nach dem Krieg zwischen Israel und der Hamas fehlt es im Gaza-Streifen an allem, wie einem Gespräch des TAGESSPIEGEL mit Samy Ajjour von SOS-Kinderdörfer zu entnehmen ist. Ajjour äußert sich über den schleppenden Wiederaufbau, zögernde Geldgeber und um sich greifende Hoffnungslosigkeit. U.a. stellt er fest:
"Es fehlt eigentlich an allem, um den Alltag halbwegs zu meistern. Strom zum Beispiel. Medikamente sind auch Mangelware. Von Lebensmitteln ganz zu schweigen. Für viele Familien geht es deshalb um ganz Existenzielles: Wie kommen wir an Trinkwasser? Was können wir heute kochen? Wo finden wir ein Dach über dem Kopf? Seit dem Ende des jüngsten Krieges gegen Israel hat sich für die Menschen nichts verbessert. Im Gegenteil. Die Leute sind enttäuscht und frustriert. Ihr Leben liegt wortwörtlich in Trümmern."
Der Link zum Interview in der Rubrik ISRAEL UND NAHOST HINTERGRUND.

In der FAZ schildert Sandra Kegel ebenso informativ wie anschaulich, "warum dem israelischen Schriftsteller Etgar Keret das Lachen vergeht, sein Kollege David Grossman an traurige Comedians denkt und Meir Shalev lieber wilde Pflanzen in der Wüste züchtet". Anders gesagt: wie sich Israels Autoren und Künstler zunehmend mit Ironie vor Selbstmitleid und Hoffnungslosigkeit in Anbetracht der Lage in Israel schützen. Auch die Tochter von Amos Oz, Fania Oz-Salzberger, kommt zu Wort. Auf die Frage, wie sie die Situation in Israel einschätzt, antwortet sie, ihr Ideal für Israel sei Haifa, "die Stadt im Norden, an deren Universität sie unterrichtet. Warum? Weil Haifa das Glück gehabt habe, von drei Männern niemals heimgesucht worden zu sein: von Moses, Jesus und Mohammed."
Der Link zum Beitrag - "Kommt ein Pferd in eine Bar" - in der Rubrik ISRAEL INTERN.

50 Jahre ist es nun her, dass Israel und die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen aufnahmen. Davor herrschte ein nahezu unüberwindbarer Abgrund, eine geradezu "rituelle Distanz", wie Dan Diner in einem Vorab-Auszug in der WELT aus seinem dieser Tage erscheinenden Buch schildert. In vorliegendem Auszug macht er die Problematik vor allem an einer Formulierung in der Rede des damaligen Außenminsters Sharett bei der Vertragsunterzeichnung in Luxembourg deutlich, in der es um den Begriff der "kaum denkbaren Sühne" ging, welcher die tiefen "theologisch-politischen Abgründe im deutsch-jüdischen/israelischen Verhältnis" exemplarisch verdeutliche, so Diner: "Am Anfang stand der Bann gegen Deutschland".
Der Link zum Buch-Auszug in der Rubrik ISRAEL, DEUTSCHLAND, EUROPA UND DIE WELT.

Pläne sind eben doch nur Pläne: Denn eigentlich hätte das neue NS-Dokumentationszentrum in München, gelegen am authentischen Ort der einstigen Parteizentrale der Hitler-Bewegung in der Maxvorstadt, schon 2010, dann 2011 und 2012, schließlich 2014 eröffnet werden sollen. Aber nun ist es offenbar tatsächlich soweit, wie die WELT berichtet: Am 30. April 2015 wird es mit einem Festakt eingeweiht, in Anwesenheit von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, Kulturstaatsministerin Monika Grütters und zahlreichen Honoratioren: "Münchens neues 'Braunes Haus' ist strahlend weiß".
Der Link zum Bericht in der Rubrik VERGANGENHEIT...

Fast ein halbes Jahrhundert hat der vermutlich bedeutendste deutsche Künstler der Gegenwart, Gerhard Richter, damit gekämpft, Fotografien aus Konzentrationslagern künstlerisch zu verarbeiten. Im Ergebnis sind vier Gemälde dabei entstanden, die jetzt in Dresden zu sehen sind. Für FAZ hat sich das Julia Voss genauer angesehen und schildert ihre Eindrücke: "Ein Mahnmal für die Häftlinge von Auschwitz".
Der Link dazu in der Rubrik VERGANGENHEIT...

Die Warnung des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, in einigen überwiegend von Muslimen bewohnten Stadtvierteln keine Kippa mehr zu tragen, hat allerlei Wirbel verursacht und stößt nicht nur auf Zustimmung, wie den zahlreichen Kommentaren und Reaktionen zu entnehmen ist. Der Berliner Bürgermeister Michael Müller beispielsweise sieht kein Problem beim Kippa-Tragen in Berlin, was Christian Böhme im TAGESSPIEGEL gänzlich anders sieht: "Der Antisemitismus auf den Straßen Berlins". In der BERLINER ZEITUNG berichtet Katja Tichomirowa sogar, dass auch Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, durchaus Verständnis für die Ängste der Juden vor zunehmender Gewalt zeigt - jedoch gleichzeitig davor warnt, die sozialen Spannungen zu „islamisieren“. Auf einen anderen Aspekt der Diskussion macht wiederum Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung in der BERLINER ZEITUNG aufmerksam. Sie stößt sich an dem zentralen "Mythos der deutschen Geschichte", dass es stets das Extreme war, "aus dem das Böse kriecht, versus der guten Mitte, in der die Welt ihr Gleichgewicht findet. So haben die Deutschen den Nationalsozialismus weit von sich selbst wegdefiniert und einigen Verbrechern zugeschrieben, von deren Taten niemand wusste. Nicht die Kippa in Neukölln ist das Problem, sondern eine infantile und aggressive Gesellschaft, aus deren Mitte es Hass hagelt, während sie mit dem Finger auf andere zeigt. Ganz besonders, wenn das Wort Jude fällt." Und entgegen der Äußerung Schusters betont Arno Widmann in der BERLINER ZEITUNG, "der Antisemitismus ist in Deutschland leider nicht angewiesen auf Immigranten, auch nicht auf den Nahostkonflikt."
Links zu den genannte Kommentaren sowie weiteren Reaktionen in der Rubrik ANTISEMITISMUS.

Die Computer-Spieleindustrie macht jedes Jahr ein Vermögen - und erreicht offenbar Millionen Daddler mit ihren Botschaften. Das brachte jetzt einige Kirchenleute auf die Idee, an diesem PC-Spiele-Boom partizipieren zu wollen. Doch das war gar nicht so einfach, wie Peter Kaiser in seinem Beitrag für DEUTSCHLANDRADIO über Religion im Computerspiel darstellt: "Ballern für die Sache Gottes".
Der Link dazu in der Rubrik INTERRELIIGÖSE WELT.

Viel ist in den letzten Wochen vom "Kirchenasyl" Rede und Streit gewesen. Untergegangen ist dabei, dass es nicht nur die christlichen Kirchengemeinden sind, die Flüchtlingen Asyl gewähren. In Pinneberg etwa fand ein junger Sudanese Zuflucht in der Synagoge und in Glinde bei Hamburg schützten Muslime zwölf afrikanische Flüchtlinge, darunter auch Christen, und gewährten ihnen eineinhalb Jahre Asyl in der Moschee, wie Elisa Rheinheimer-Chabbi für PUBLIK-FORUM berichtet: "Die Religion spielt keine Rolle".
Der Link zu ihrer Reportage in der Rubrik INTERRELIIGÖSE WELT.

Für Gläubige ist der Tod nicht unbedingt das Ende - und in gewisser Weise trifft das auf Gläubige aller Religionen zu. Gleichwohl gehen Buddhisten, Muslime, Juden, Christen und Hindus sehr verschieden mit Tod und Trauer um, wobei ihnen gemeinsam sein mag, dass sie alle zu zeigen versuchen, wie die Gemeinschaft Trost spenden kann. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ist hierzu ein knapper, aber informativer Überblick zu lesen: "Wie die fünf Weltreligionen mit dem Tod umgehen".
Der Link dazu in der Rubrik INTERRELIIGÖSE WELT.

Die Anschläge in Paris und Kopenhagen haben in den jüdischen Gemeinden in Deutschland  - und nicht nur hier - Ängste geschürt. Der Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff erklärt im Interview mit DOMRADIO, warum gerade die jüdische Jugend seines Erachtens nun viel Unterstützung braucht. Zugleich betont er, dass man "nicht müde werden (darf) zu erinnern und aufzuklären. Da passiert schon sehr viel in jüdisch-christlicher Kooperation, etwa durch Informationsmaterial an den Schulen und im Internet - zum Beispiel, was jüdische Feiertage angeht, aber auch die Gedenktage an die Gräuel der Nazi-Zeit. Damit können wir die Erinnerung wachhalten und zugleich die Wachsamkeit stärken."
Der Link zum Interview in der Rubrik INTERRELIIGÖSE WELT.

Ob nun mit Kippa oder ohne: Seit den Pariser Anschlägen und Netanjahus Aufforderung an die europäischen Juden doch nach Israel zu kommen, wird über die Frage "Gehen oder bleiben" heiß diskutiert. Im DEUTSCHLANDRADIO schreibt der Berliner Publizist Sergey Lagodinsky engagiert, die Juden in Deutschland gehörten in diese Gesellschaft und betont: "Das Gerede von einer Auswanderung aus Deutschland ist dabei eine bequeme Ablenkung vom Wichtigsten: Was tun gegen Antisemitismus, hierzulande und sonst wo? Die Juden in Deutschland müssen ein aktiver Teil dieses Gesprächs werden. Ja, wir müssen reden! Aber dieses Gespräch bestimmt nicht unseren Alltag. Wir lassen uns nicht durch den Hass anderer Menschen definieren. Wir leben, wir arbeiten, wir feiern und wir weinen. Im Hier und Jetzt."
Eine andere Stimmung hingegen schildert Stephanie Geiger in der WELT, die sich unter Bayerns Juden umgehört hat und durchaus auf Auswanderungsbereitschaft gestoßen ist: "Gehen oder bleiben – was Juden in Bayern bewegt". Und in der ZEIT rekapituliert der Schriftsteller Rafael Seligmann die Geschichte der oftmals leidvollen jüdischen Präsenz in Europa und beschwört die Gefahr, dass Hitlers Lebensziel von einem "judenfreien Europa" 70 Jahre nach Kriegsende Wirklichkeit werden könne: "Seit der Vertreibung der Juden im Jahre 70 waren die Länder Europas knapp zweitausend Jahre lang die Heimat der meisten Juden. Städte wie Mainz, Prag, Wien, Warschau, Amsterdam, Antwerpen, Saloniki, Riga, Berlin, London, Paris waren und sind teilweise bis heute Zentren jüdischer Religion und Kultur. Die Juden waren – und sind? – Teil der europäischen Identität. Doch das Judentum in Europa ist im Begriff zu erlöschen."
Die Links zu den Beiträgen in der Rubrik JÜDISCHE WELT.

"Zeevic Hershs Leben ist gespalten in zwei radikal unterschiedliche Teile. In seinem ersten Leben als ultraorthodoxer Jude war Englisch die Sprache der Anderen, der Ungläubigen. Nun, in seinem zweiten Leben, will Hersh die englische Sprache in die Reihen der Strenggläubigen tragen. Sie soll die verbale Barriere einreißen, die die Orthodoxen selbst errichtet haben, um fremde Einflüsse auszusperren", so schildert es Mareike Enghusen in ihrem bewegenden Porträt des Renegaten Zeevic Hersh in der TAZ, der seine Schläfenlocken abschnitt, die orthodoxe Welt verließ und nun andere Ultraorthodoxe aus der Isolation befreien möchte: "Die Sprache der Ungläubigen".
Der Link zur Reportage in der Rubrik JÜDISCHE WELT.

In der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN WOCHENZEITUNG ist ein hochinteresantes Interview mit dem israelischen Philosophen Omri Boehm zu lesen, der es sich u.a. zur Aufgabe gemacht hat, die Geschichte der Bindung Isaaks völlig neu zu interpretieren. Im ersten Buch Mose, Kapitel 22, fordert bekanntermaßen Gott Abraham auf, seinen Sohn Isaak zu opfern. Als Abraham schon das Messer über Isaak hält, wird er - wie es heißt - von dem »Engel des Herrn« aufgehalten. Boehm gibt dieser Passage einen völlig neuen Dreh und macht dabei aus einer Geschichte über religiösen Gehorsam eine Geschichte über über religiösen Ungehorsam: "Judentum ist Ungehorsam".
Der Link zum Interview in der Rubrik JÜDISCHE WELT.

"Ich bin eng mit der Kirche aufgewachsen und habe die schöne Seite des Gemeindelebens erlebt", sagt die 30-Jährige Kerstin Lohmer aus Siegburg bei Bonn. Auch ihr Mann David erinnert sich "an das volle Programm Kirche". Als Kind habe er all das "gern mitgemacht und nicht hinterfragt". Doch das ist lange her, denn vor gut einem Jahr sind die Lohmers aus der katholischen Kirche ausgetreten. Celina de Cuveland und Bernd Eyermann erzählen im BONNER GENERALANZEIGER die Beweggründe der Lohmers und geben damit Einblick in die Motive der wachsenden Schar jener, die die Kirchen verlassen: "Lobbyisten für den Atheismus".
Der Link dazu in der Rubrik CHRISTLICHE WELT.

In ihrem Buch "Ahnen - Ein Zeitreisetagbuch" spürt die Autorin Anne Weber der Geschichte ihres Urgroßvaters nach, der nicht nur ein Pfarrer war, sondern ein Freund etwa von Walter Benjamin und Martin Buber - und zugleich ein glühender Nazi, der vorschlug, die Insassen einer "Irren- und Idiotenanstalt" zu vergiften. "Ahnen" ist eine glänzende Geschichtsexkursion, urteilt Michael Opitz, der den Roman für DEUTSCHLANDRADIO gelesen hat: "Auf den Spuren des Urgroßvaters".
Der Link zur Buchvorstellung in der Rubrik ONLINE-REZENSIONEN.

Dies alles und noch viel mehr wie üblich direkt verlinkt, ergänzt von aktuellen FERNSEH-TIPPS sowie einschlägigen ONLINE-REZENSIONEN im heutigen COMPASS.


Einen angenehmen Tag und eine gute Woche wünscht


Dr. Christoph Münz

COMPASS

redaktion@compass-infodienst.de

(Editorial zusammengestellt unter Verwendung des Teasermaterials der erwähnten Artikel)



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