COMPASS-Original: Rezension - Yosef Yerushalmi: Israel, der unerwartete Staat

Das schwache Geschlecht der wilden Krieger

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Nachfolgend lesen Sie einen Original-Beitrag der Politikwissenschaftlerin Julia Brauch ("Nationale Integration nach dem Holocaust
. Israel und Deutschland im Vergleich", Campus Verlag 2004), der am 21. November 06 in der Literaturbeilage der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG (SZ)veröffentlicht wurde.
COMPASS dankt der Autorin sowei der SZ für die Genehmigung
zur Online-Wiedergabe an dieser Stelle!
Der nicht vorgesehene Staat
Kaum ein Ort auf der Welt bietet soviel Stoff für moralisches Eiferertum, Mythenbildung und Polemik wie der jüdische Staat. Immer wieder wurde versucht, mit “ausgewogenen" Darstellungen dieser häufig emotionalen Parteilichkeit etwas entgegenzusetzen - mit wenig Erfolg. Vielversprechender scheint es, dem Phänomen selbst nachzugehen. Und spannend wird es, wenn sich mit Yosef Hayim Yerushalmi eine der großen Persönlichkeiten im Bereich der Erforschung jüdischer Geschichte dieser Frage annimmt. Die Rede, die er bei der Verleihung des Leopold-Lucas-Preises der Tübinger Universität im vergangenen Jahr hielt, liegt nun in einer englisch-deutschen Ausgabe vor.
Seit seinem mittlerweile berühmten Buch “Zachor" über das schwierige Verhältnis von jüdischer Geschichtsschreibung und kollektivem Gedächtnis gilt Yerushalmi als Experte für die Fallstricke des notwendig selektiven Gedächtnisses. Um dessen Verselbständigung zu begrenzen, plädierte er damals für eine stärkere Verantwortung der Historiografie für die kollektive Erinnerung. Dieser Forderung kommt er nunmehr nach. In einer historisch ebenso fundierten wie politisch engagierten Rede erklärt er aus der Geschichte des Zionismus die spezifisch messianische Wahrnehmung des jüdischen Staates und warnt vor ihren Folgen.
Sein Ausgangspunkt ist dabei die Feststellung, dass der Zionismus ursprünglich einen “Aufstand gegen den jüdischen Messianismus" bedeutete. Diejenigen Juden, die ihre Hoffnungen auf Assimilation durch Diskriminierung und Antisemitismus enttäuscht sahen, wollten nicht länger auf die messianische Erlösung und die Rückkehr nach Zion warten und nahmen ihr Schicksal selbst in die Hand.
Mit Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 schien diese äußerlich säkulare Revolution ihre Vollendung gefunden zu haben. Doch der Messianismus blieb im Zionismus weiter wirksam. So wie “Amputierte immer noch den Körperteil spüren, der ihnen amputiert wurde", wie Yerushalmi formuliert, lebte der Messianismus in der teil-säkularisierten zionistischen Vorstellungswelt weiter: In Israel durch die biblische Idee der “Einsammlung der Exile", in der Diaspora durch die Erwartung, dass Israel messianischen, also besonders moralischen Ansprüchen genügen sollte. Selbst die christliche Seite erinnerte sich des messianischen Anspruchs und kann sich doch bis heute nicht von der alten Vorstellung von dem in Sünde verstoßenen Volk trennen.
Es sind diese messianischen Erwartungen, die den Blick auf Israel beeinflussen und moralische Maßstäbe bei der Bewertung diktieren, die im politischen Bereich sonst als unrealistisch oder schlicht naiv gelten. Doch Israel, so Yerushalmi, ist eben nicht der “Staat des Messias", sondern eine Art “Übergangsstaat" auf dem Weg dorthin: unvorhergesehen, unerwartet und als Teil der Geschichte auch fehlbar. Wie aber wird man dann diesem unerwarteten Staat gerecht? Das ist die Frage, die Yerushalmi antreibt.
In seinen Augen ist es der nachwirkende messianische Einfluss, der bislang verhindert hat, dass Israel als “normaler" Staat akzeptiert wird und dass an ihn entsprechend übliche Kriterien angelegt werden. Als Historiker ruft er deshalb dazu auf, dem beschriebenen messianischen Einfluss nicht zu erliegen und unvoreingenommen, wenn auch nicht unkritisch auf Israel zu blicken. Als Jude, der sich dem jüdischen kollektiven Gedächtnis verpflichtet weiß, argumentiert er politischer.
Nach der ebenso pointierten wie historisch sachkundigen Darlegung des zionistisch-messianischen Zusammenhangs überrascht es, dass Yerushalmi den jüdischen Anspruch auf das Land Israel etwas schlicht vor allem damit begründet, dass die Juden in “kollektiver Hoffnung" an ihrer “wahren Heimat" immer festgehalten hätten und “nicht als Conquistadores" nach Palästina gekommen seien. Die Legitimität des Zionismus lässt sich differenzierter begründen. Die Zionssehnsucht war ohne Frage ein überragend wichtiger und deshalb namengebender Faktor bei der Entstehung des Zionismus. Die entscheidenden und bis heute überzeugenden Gründe für die politische Existenz des Staates Israel finden sich hingegen woanders. Man mag auf die gescheiterte Beziehungsgeschichte von Juden und Nicht-Juden oder auch auf die bald 60-jährige Realität dieses Staates mit seinen Erfolgen und Misserfolgen verweisen.
Die Plausibilität von Yerushalmis Argumentation bleibt davon unberührt. Seine Analyse, dass Israel immer noch im Wahrnehmungskontext biblischer Erlösungsvorstellungen steht, erklärt so manche hochemotionale Reaktion. Sie erhellt etwa die Wortmeldung von Jostein Gaarder, dem geachteten Autor von “Sofies Welt", die Anfang August in der Osloer Zeitung Aftenposten erschien. Gaarder prophezeite darin im alttestamentarischen Duktus den moralischen und politischen Untergang Israels sowie eine erneute Zerstreuung der jüdischen Bevölkerung ins Exil. Sein erregt formulierter Streitruf kulminierte in der Aufforderung an die Welt, den dann (wieder) schutzlosen jüdischen Israelis Unterschlupf zu gewähren und ihnen “Milch und Honig" nicht zu versagen. Die messianischen Tiefenströmungen sind hier unverkennbar, und sie werden auch nicht von heute auf morgen verschwinden. Zu tiefe Spuren haben sie in der jüdischen, aber auch christlichen und muslimischen Überlieferung hinterlassen. Yerushalmis Aufklärung und seine Bitte, den Blick auf Israel zu entmessianisieren, kommt da zur rechten Zeit.
Yosef Hayim Yerushalmi:
Israel, der unerwartete Staat. Messianismus, Sektierertum und die zionistische Revolution.
Herausgegeben von Eilert Herms.
Mohr Siebeck
Tübingen 2006.
120 Seiten
19 Euro.
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