Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331
19.10.2015 - Nr. 1604

ACHTUNG

Die nächste Tagesausgabe erfolgt am Freitag, 23. Oktober 2015!


Guten Tag!

Nr. 1604 - 19. Oktober 2015



Vor dem Hintergrund der nicht abreißenden Welle palästinensischer Messer-Attentate berichtet Gil Yaron von einer gespaltenen Haltung zu den Anschlägen innerhalb der palästinensischen Gesellschaft. In einem Beitrag für die WELT beschreibt er einerseits, wie die radikal-islamische Terrororganisation Hamas in Videos Ratschläge zum Morden gibt, andererseits aber auch Stimmen laut werden, die vor den fatalen Konsequenzen einer dritten Intifada warnen: "Geht nicht in den Tod – Palästina braucht euch lebendig!", lautet etwa der Titel eines Kommentars eines mutigen palästinensischen Journalisten, der sich gegen den Strom stellt.
Ebenfalls in der WELT (am Sonntag) wirft Daniel-Dylan Böhmer einen genaueren Blick auf die neue Generation der palästinensischen "Kämpfer", die oft noch Kinder und Jugendliche sind und analysiert den Unterschied zu früheren Anschlagswellen:
"Doch etwas ist anders diesmal: Eine neue Generation zieht extrem früh in den Kampf. Die Jungen befeuern einander über die sozialen Netzwerke, sie handeln nicht mehr auf Befehl. Es könnte ein Ausbruch aus dem Ritual sein oder die extrem gefährliche Mutation eines Konflikts, den wir zu kennen glaubten."
Unterdessen meldet der SPIEGEL, dass es in der israelischen Bevölkerung zu einer auffallenden Gegenbewegung kommt: Offenbar wollen sich viele Zivilisten bewaffnen, tausendfach gehen Anträge auf Waffenscheine bei den Behörden ein.
In der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN WOCHENZEITUNG hat sich Lukas Dreifuss schließlich den Opfern zugewendet und der Frage, wie insbesondere wie man in Israel mit den Kindern umgeht, deren Eltern oder andere Angehörige zu Opfern geworden sind: "Sinn finden im Leid"
Die Links zu den genannten und weiteren Beiträgen in den Rubriken ISRAEL AKTUELL, ISRAEL UND NAHOST HINTERGRUND sowie ISRAEL INTERN.

Erstmals gab es 1996 im Regierungsbezirk Stuttgart einen deutsch-israelischen Lehreraustausch, der jedoch irgendwann einschlief. Vor zwei Jahren jedoch wurde er vom Schulreferat des Regierungspräsidiums neu belebt. Vor diesem Hintergrund war nun die israelische Pädagogin Ruth Almog, die in Haifa am renommierten Leo Baeck Education Center unterrichtet, an zwei Schulen im Kreis Böblingen: am Herrenberger Schickhardt-Gymnasium und am Technischen Gymnasium des Leonberger Berufsschulzentrums. Gerlinde Wicker-Naber hat sie für die STUTTGARTER ZEITUNG begleitet und berichtet über die Erfahrungen und Eindrücke der israelischen Lehrerin: "Vom sicheren deutschen Alltag".
Der Link dazu in der Rubrik ISRAEL, DEUTSCHLAND, EUROPA UND DIE WELT.

"Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Länder und Völker gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus. Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben."
So lautet die vielleicht bekannteste Passage des "Stuttgarter Schuldbekenntnisses" der Evangelischen Kirche, das heute vor 70 Jahren verabschiedet wurde. (Den vollständigen Wortlaut kann übrigens hier nachlesen: http://www.sonntagsblatt-bayern.de/news/aktuell/2015_41_19_02.htm). An die alles andere als unumstrittene Erklärung erinnert ein Beitrag im SONNTAGSBLATT sowie eine kritische Betrachtung von Kirsten Serup-Bilfeldt für DEUTSCHLANDRADIO: "Wir klagen uns an".
Die Links dazu in der Rubrik VERGANGENHEIT...

In zwei Beiträgen beleuchtet die JUNGLE WORLD den Antisemitismus in Spanien und die besorgniserregend Entwicklung zunehmender Kooperationen zwischen islamistischen und neonazistischen Bewegungen. Neben einem aktuellen Bericht dazu gibt es ein interessantes Interview mit Alejandro Baer über die Merkmale des spanischen Antisemitismus zu lesen. Baer ist Professor für Soziologie und leitet das Center for Holocaust and Genocide Studies an der Universität von Minnesota. Er forscht unter anderem zu gesellschaftspolitischen Folgen von Erinnerungsdiskursen und untersuchte den Antisemitismus in Spanien und anderen Ländern: "Es gibt in Spanien kein Tabu".
Die Links zu den Beiträgen in der Rubrik ANTISEMITISMUS.

In der JÜDISCHEN ALLGEMEINEN WOCHENZEITUNG gibt Christine Schmitt einen Einblick in das Berliner Projekt »Interreligiöse Peers« der Initiative Juga (Jung, gläubig und aktiv), in deren Rahmen Muslime und Muslima, Christen und Christinnen sowie Juden und Jüdinnen Schulklassen besuchen und mit den Jugendlichen über Religion sprechen. Finanziert wird das Projekt unter anderem von der Berliner Landeskommission gegen Gewalt und dem Bundesinnenministerium: "Gemeinsam gegen Vorurteile. Junge Juden, Muslime und Christen stellen sich der Diskussion in Schulen"
Der Link zum Bericht in der Rubrik INTERRELIGIÖSE WELT.

Ein bewegender, eindrücklicher, völlig ungewohnter Moment: Darin sind sich alle Kommentatoren einig, die über die Verleihung des deutschen Friedenspreises an den Schriftsteller Navid Kermani am gestrigen Sonntag in der Frankfurter Paulskirche berichten, wie beispielsweise Richard Kämmerlings in der WELT:
"So war es eine Überraschung, fast ein Schock, aber doch zugleich absolut konsequent von Kermani, das Publikum am Ende zum Gebet aufzufordern, "für Pater Paolo und die zweihundert entführten Christen von Qaryatein". Auch wer nicht religiös sei, solle doch mit seinen Wünschen bei den Entführten sein, und: "Was sind denn Gebete anderes als Wünsche, die an Gott gerichtet sind?" Dann bat er noch im Gestus eines Geistlichen darum, sich zu erheben, "damit wir den Snuffvideos der Terroristen ein Bild unserer Brüderlichkeit entgegenhalten". Spätestens hier mussten viele Zuhörer ihre Tränen verbergen. Es war ein Moment höchster Ergriffenheit, wie ihn der Friedenspreis in seiner jüngeren Geschichte noch nie erlebt haben dürfte. Zugleich ein Moment tiefer Trauer, aber auch der Hoffnung. Navid Kermani hat uns einen Augenblick der Rührung abverlangt, der uns alle in die Pflicht nimmt."
Zuvor war Kermani in seiner außergewöhnlichen Dankesrede u.a. auch auf die Ursachen der Verwerfungen in der islamischen Welt eingegangen. "Die islamische Welt" so fasst Jürgen Kaube in der FAZ Kermanis Gedanken zusammen, "werde nämlich in Wahrheit von einer inneren Auseinandersetzung erschüttert, einem Krieg gegen sich selbst, gegen seine besten Eigenschaften. Hier steht also nicht ein finsterer Traditionalismus gegen eine aufgeklärte Moderne. Was einst auf der Grundlage des Korans an Glaube, Moral und Intellektualität möglich gewesen sei, hat im Orient vielmehr gerade der moderne Islam verloren."
Links zu Berichten und Kommentaren über Kermanis Dankesrede sowie zur Rede im Wortlaut selbst in der Rubrik INTERRELIGIÖSE WELT.

Und wer mag, kann sich ergänzend noch einen Eindruck von der Dialogik Kermanis verschaffen: Das Magazin der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG veröffentlicht ein Gespräch, das Kermani mit dem Katholiken Martin Mosebach geführt hat, ein Gespräch über falsche und echte Toleranz - und einmal mehr darüber, wie der Islam im Westen missverstanden wird: »Natürlich ist Religion erst mal Pflicht«
Der Link zum Gespräch in der Rubrik INTERRELIGIÖSE WELT.

In einem "Offenen Brief an den Schöpfer in den Tagen des Terrors" zeigt sich Rabbiner Nathan ben Ya’acov Lopes Cardozo, seines Zeichens Experte für jüdische Philosophie und Leiter des David Cardozo Thinktank in Israel, davon überrascht, wie wenige Menschen in religiösen Kreisen das "gigantische religiöse und existenzielle Problem diskutieren", wie Gott diese schrecklichen Attentate nur zulassen kann:  "Kaum jemand fragt, warum Du es zulässt, dass diese Morde geschehen. Anscheinend kam nicht ein Einziger aus der Synagoge, der in diesem Moment eine religiöse Krise durchmachte. Oder haben sie ihre wahren Gedanken und Gefühle verborgen, weil sie es nicht wagten, ihnen Ausdruck zu verleihen?" In seinem "Offenen Brief", der in der JÜDISCHEN ALLGMEINEN WOCHENZEITUNG zu lesen ist, versucht er das Problem zu formulieren und eine Antwort zu gegben: "Gott, wo bist Du?".
Der Link zum Brief in der Rubrik JÜDISCHE WELT.

Gerade mal zwanzig Sekunden ist die Schriftstellerin Kat Kaufmann im Rahmen der Buchmesse beim Deutschlandfunk live auf Sendung, "da hat sie auch schon Kacke gesagt. Weitere drei Minuten später erklärt sie, warum „Ich ficke dich“ in der Skaterszene nicht sexuell konnotiert ist. Der Moderator hängt an ihren Lippen, hat aber auch einen Anflug von Panik im Blick: Was wird diese Frau wohl als Nächstes sagen?" Kaufmann hat ein persönliches Buch voller Gedankengänge mit lässigem Witz geschrieben, "Superposition" - und vieles, was der Protagonistin des Romans widerfährt, hat Kaufmann selbst erlebt. Kaufmanns Familie kam nach Deutschland, weil ihr jüdischer Vater als Theaterregisseur Repressionen ausgesetzt war. Heute steht Küf Kaufmann der israelitischen Gemeinde von Leipzig vor. Julia Bähr hat seine temperamentvolle Tochter für die FAZ porträtiert: "Ich will schon irgendwann einen großen Klassiker schreiben".
Der Link zum Porträt in der Rubrik JÜDISCHE WELT.

Während die Familiensynode im römischen Vatikan noch in vollem Gange ist, intensivieren sich sich Diskussionen um ein mögliches Abschlussdokument des Papstes. Dabei geht es freilich weniger um inhaltliche Fragen, als viel mehr um dessen Form. So erklärte der englische Kardinal Vincent Nichols, er hoffe auf eine zusammenfassende "Exhortation". Oder wird es doch eine "Enzyklika"? Oder eine Bulle? Ein apostolisches Schreiben? Ein Beitrag auf KATHOLISCH.de erklärt, welche Typen päpstlicher Dokumente es gibt: "Wenn der Papst zur Feder greift".
Der Link dazu in der Rubrik CHRISTLICHE WELT.

Der Psychologe Ahmed Mansour, der in wenigen Tagen zusammen mit Hamed Abdel-Samad die diesjährige Josef-Neuberger-Medaille der jüdischen Gemeinde Düsseldorf verliehen bekommt, beschreibt und kommentiert in seinem jüngsten Buch "Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen" seine Erfahrungen mit muslimischen Jugendlichen, die für salafistische Ideologie und Organisationen anfällig sind. Armin Pfahl-Traughber hat das Buch für den HUMANISTISCHEN PRESSEDIENST bereits gelesen: "Generation Allah".
Der Link zur Buchvorstellung in der Rubrik ONLINE-REZENSIONEN.

Dies alles und noch viel mehr wie üblich direkt verlinkt, ergänzt von aktuellen FERNSEH-TIPPS sowie einschlägigen ONLINE-REZENSIONEN im heutigen COMPASS.


Einen angenehmen Tag und eine gute Woche wünscht


Dr. Christoph Münz

COMPASS

redaktion@compass-infodienst.de

(Editorial zusammengestellt unter Verwendung des Teasermaterials der erwähnten Artikel)



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