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Online-Extra Nr. 197


Getauft, ausgestoßen und vergessen?

Zum Umgang der evangelischen Kirchen in Hessen mit den Christen jüdischer Herkunft im Nationalsozialismus.

Ein Arbeits-, Lese- und Gedenkbuch

(Hrsg.) HEINZ DAUME, HERMANN DÜRINGER, MONICA KINGREEN und HARTMUT SCHMIDT
Redaktion: Renate Hebauf und Hartmut Schmidt




Der Verrat an der Taufe

Von WERNER SCHNEIDER-QUINDEAU und HERMANN DÜRINGER


In diesem Buch wird die Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung von Christinnen und Christen jüdischer Herkunft in Hessen während des Nationalsozialismus dokumentiert. Menschen, die das Sakrament der Taufe empfangen hatten, wurde der Zugang zur Kirche verwehrt, die Mitgliedschaft in der Gemeinde aberkannt. Ein Vorgang, dessen grundsätzliche und weitreichende, bis in die Gegenwart wirkmächtige Bedeutung noch nicht in angemessener Weise in das kirchliche Bewusstsein eingedrungen ist.

In einer Erklärung der sieben von „Deutschen Christen“ geführten evangelischen Landeskirchen im Dezember 1941, in der der Ausschluss der „rassejüdischen Christen“ aus der Kirche gefordert wurde heißt es unter anderem: „Durch die christliche Taufe wird an der rassischen Eigenart eines Juden, seiner Volkszugehörigkeit und seinem biologischen Sein nichts geändert. Eine deutsche evang. Kirche hat das religiöse Leben deutscher Volksgenossen zu fördern. Rassejüdische Christen haben in ihr keinen Raum und kein Recht.“ Es war nichts weniger als ein Verrat an der Taufe und damit an Christus als dem Grund der Kirche.

In den „Blättern aus der Fichardstraße“ (Nr. 5 und 6), die von dem Frankfurter Pfarrer Willy Veit herausgegeben wurden, findet sich ein erschütterndes Dokument der Auseinandersetzung um die Frage, ob „Nichtarier“ auch weiterhin zur „Gemeinschaft der Gläubigen“ gehören. Hans Geisow, später Vorsitzender des Kirchenvorstandes der Katharinengemeinde, schreibt dort unter anderem: „Die Kirche (...) handelt widernatürlich und damit widergöttlich, wenn sie Ehen zwischen Juden und Deutschen einsegnet und dabei bei der Verbastardisierung unseres Volkes mitarbeitet.“ Pfarrer Veit veröffentlichte als Antwort den Brief eines Gemeindegliedes unter dem Titel „Ein religiöser Aufschrei“, der die tiefe Glaubensnot so genannter „nichtarischer Christen“ deutlich macht, die ganz und gar in ihrer Kirche beheimatet waren und nun zu Verfemten wurden. In dem Brief beschreibt das Gemeindemitglied seine familiäre und religiöse Herkunft und verweist darauf, dass seine Eltern bereits in die evangelische Kirche übergetreten sind. Zu der Bewegung der „Deutschen Christen“ heißt es in dem Brief an Pfarrer Veit: „Sie (die Bewegung der Deutschen Christen) will die Glaubensfragen durch die Rassenfrage dergestalt regeln, dass sie in Deutschland unterscheidet zwischen vollwertigen „deutsche Protestanten“ und minderwertigen „Juden-Christen“, zu welchen demnach zu zählen meine liebe, uns vorbildliche Mutter, meine drei Geschwister und ich selbst ‚die Ehre haben’ (...) Ich habe bis jetzt das Christentum als etwas gesehen, das von einem Volke für sich nicht in Erbpacht genommen werden kann, vielmehr als etwas, das für alles da ist, was Menschen- und Gottesantlitz trägt, das nichts zu tun hat mit vergänglichen Landesgrenzen oder genauso vergänglichen Nationen und Völkern. Mein Glaube war bis jetzt, dass wir alle (...) vor unserem Herrgott gleiche Kinder sind, und da bei Gott nicht unterschieden wird nach Rasse, Rang, Geburt oder Vermögen, so hielt ich bislang dafür, dass ich als Christ in jedem meiner Mitmenschen den Bruder oder die Schwester zu ersehen und zu finden habe.“

Es waren vom Ausschluss aus der Kirche Betroffene und eine Minderheit der Kirchenmitglieder, denen bewusst wurde, was da eigentlich passierte. Es gereicht dem Landesbruderrat der zur Bekennenden Kirche gehörenden Gemeinden in Nassau-Hessen zur Ehre, dass wenigstens er erkannte, was sich ereignete. In einem Schreiben vom August 1942 bezeichnet er den Ausschluss der „Nichtarier“ als „Verrat an der Taufe“ und spricht einer Kirche, die dies vollzieht, ihre Existenzberechtigung ab:

„Die Verordnung verneint die göttlichen Grundlagen, die Jesus Christus seiner Kirche gegeben hat, und damit ist eine LK, in der diese VO gilt, keine christliche Kirche mehr. Sie verstößt zunächst gegen den Taufbefehl, den ihr Christus selbst aufgetragen hat und an den sie sich gebunden weiß: ,Gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe' (Matth. 28, 19-20). Jesus Christus hat keine rassischen und völkischen Grenzen gezogen, als er seiner Kirche die Mission auftrug. Gerade die Weite des Taufbefehls bezeugt auch die Weite des Evangeliums. Nirgends sind Gottes Gnade Grenzen gezogen. ,Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden' (Mark. 16,16) und ist durch die Taufe Glied des Leibes Christi geworden. ,Wieviel euer auf Christum getauft sind, die haben Christum angezogen. Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib; denn ihr seid allzumal einer in Christo' (Gal. 3, 27-28). Eine Grenzziehung nach rassischen Gesichtspunkten ist nichts anderes als die Proklamierung einer Nationalreligion, die mit der christlichen Kirche nichts mehr zu tun hat. Denn eine Kirche, die mit Judenchristen oder christlichen Nichtariern keine Gemeinschaft haben will, verläßt den Weg, den Gott selbst in seiner Weisheit und Barmherzigkeit zur Rettung der Völkerwelt beschritten hat. Der göttliche Auftrag seiner Kirche besteht darin, das Evangelium Jesu Christi unverkürzt so zu verkündigen, wie es sich im AT und NT offenbart hat. Diesen Auftrag könnte sie dann als Zeuge des heute wirkenden Christus heute wie gestern und in Ewigkeit im Gottesdienst, in Predigt und Sakrament nicht mehr ausführen, ebenso wie sie keinen Missionsauftrag mehr hätte. Die VO hebt das Ordinationsgelübde in gleicher Weise auf wie den Art. 1 der Verfassung der DEK, die uns beide an Bibel und Bekenntnis binden. Die VO ist außerdem ein Übergriff der kirchlichen Verwaltungsbehörde, die in Fragen des Kultus und der Lehre nicht zuständig ist.“

In ähnlich deutlichen Worten hatte Karl Barth bereits in seiner Kampfschrift vom 25. Juni 1933 unter dem Titel „Theologische Existenz heute!“ die evangelischen Kirchen in Deutschland vor der Übernahme der nationalsozialistischen Rassevorstellungen und ihrer staatlichen Gesetzgebung in der Kirche gewarnt. Er schreibt: „Die Gemeinschaft der zur Kirche Gehörigen wird nicht durch das Blut und also auch nicht durch die Rasse, sondern durch den heiligen Geist und durch die Taufe bestimmt. Wenn die deutsche evangelische Kirche die Judenchristen ausschließen oder als Christen zweiter Klasse behandeln würde, würde sie aufgehört haben, christliche Kirche zu sein.“

Im Blick auf die große Mehrheit in den evangelischen Kirchen wurde in erschreckender Weise deutlich, wie gering ihr Verständnis von der Bedeutung der Taufe war. In ihren Gemeinden waren es nur ganz Wenige, denen dieser Verrat bewusst wurde und die den betroffenen Menschen beigestanden haben. Die Meisten standen deren Schicksal gleichgültig gegenüber. Kirchenleitungen haben ihren Ausschluss aktiv betrieben.

Wie war das möglich?

Mit der Taufe werden Menschen aufgenommen in die Gemeinschaft derer, die ihr Leben ausrichten an der bedingungslosen und alle Menschen umfassenden Liebe Gottes, wie sie in Jesus Christus begegnet. Der Getaufte bekennt sich zu dem Gott Israels, der in Jesus Christus eine Gemeinschaft von Menschen jenseits ihrer genetischen, ethnischen und kulturellen Zugehörigkeiten gestiftet hat.

Es gibt auch andere Motive, weniger dezidiert theologische Gründe, die im Blick auf die Taufe immer eine Rolle gespielt haben und spielen: Es war und ist die Suche nach Schutz und Geborgenheit in der christlichen (Mehrheits-)Kultur. Es ist der Wunsch nach kirchlich-religiöser Begleitung eines Familienfestes: Taufe als ein religiöses Ritual, ein rite de passage zur Geburt eines Kindes. Auch diese Motive sind legitime Aspekte eines christlichen Taufverständnisses, wenn sie abgeleitet oder in Verbindung gebracht werden mit der zentralen Bedeutung der Taufe als einer Gemeinschaft mit Christus, die alle anderen Bindungen relativiert und neu bestimmt.

Die zentrale, Kirche konstituierende Bedeutung der Taufe war denen, die über die Zugehörigkeit zur Gemeinde nach ethnischen oder „rassischen“ Kriterien entscheiden, beziehungsweise eine solche Entscheidung kritiklos hinnahmen, offensichtlich vollständig abhanden gekommen. Sie haben nicht erkannt, dass die christliche Kirche ihren Glauben und ihre Hoffnung verrät, dass sie sich zur Liebe nicht fähig erweist, wenn sie Getaufte aufgrund ihrer „andersartigen“ Herkunft ausschließt.

Damit hörte sie auf Kirche zu sein.

Wie aber konnte die Taufe ohne viel Aufhebens durch eine Blut- und Boden-Ideologie ersetzt werden? Warum hat das Verständnis der Taufe nicht imprägnierend gegen Fremdenhass und Rassismus und zum Eintreten für rassisch Verfolgte gewirkt?

Karl Barths fragmentarisch gebliebene Tauflehre kann als eine theologisch verantwortete Reaktion auf diese Frage gelesen werden. Er verweist darauf, dass schon mit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion in der Spätantike ein tiefgreifender Wandel der Kirche sich vollzogen habe. Er spricht von einem „Ein- und Übergang der Kirche in eine ontologische Einheit mit dem Volk, der Gesellschaft, dem Staat (...) Mit der Regel der Kindertaufe stand und fiel die Kontinuität und so die Existenz der Kirche im Rahmen jener Einheit.“ (KD IV/4 S.185)

Dieses Muster einer Homogenität von Nation/Staat einerseits und Kirche andererseits hat sich über die Jahrhunderte verstärkt zu einer bis in die Gegenwart in vielen Ländern und Konfessionen wirksamen, unseligen Liaison von Nationalismus und Religion. Sie war bestimmend auch in der Zeit des NS-Staates, interessanterweise in der (evangelischen) Kirche stärker als unter ideologischen Nationalsozialisten, denen die Kirche als Spross des Judentums nicht wirklich geeignet war, für die ideologische Einheit der „Volksgemeinschaft“ zu sorgen.

Über Jahrhunderte hinweg verknüpfte sich die Einbindung der Taufe in ein politisches Einheitskonzept von „Volk“ und Kirche mit einer engen Verbindung von Taufe und natürlicher Geburt. Die Nähe der Taufe zur natürlichen Geburt hat ihr einen familiären Charakter gegeben. Unter diesem Aspekt kann sie als Passageritus gesehen werden, bei dem es primär um die Aufnahme eines Neugeborenen in die Familie geht und sekundär um die Aufnahme in die Gemeinschaft der Glaubenden. Dieser eher anthropologisch-pagan bestimmte Sinn, ist wenig widerstandsfähig, wenn er – und das lag immer verführerisch nahe weitergedacht wird als Bestätigung der „von Natur aus“ gegebenen Herkunftsbeziehungen wie Volk, Rasse, Nation.

Dass die Taufe von Menschen jüdischer Herkunft durch „Deutsche Christen“ als „widernatürlich“ charakterisiert werden konnte, hängt neben dem traditionellen Antijudaismus auch mit der missverständlichen Verknüpfung von natürlicher Geburt und Taufe zusammen. So konnte es geschehen, dass die Zugehörigkeit zu einem Volk – mitsamt der problematischen Vorstellung von einer Rasse – wichtiger wird als die Zugehörigkeit zu Jesus Christus.

Ein mündiges Mitglied zu werden in der Gemeinschaft derer, die an den dreieinigen Gott glauben, die durch die Gerechtigkeit Gottes frei gesprochen sind, die aus der Erfahrung der Liebe leben und auf eine Zukunft hoffen, die von Gottes Verheißung bestimmt ist – das vollzieht sich in der Taufe.

Der damalige Verrat der Kirche an der Taufe wirkt nach und ist bis heute nicht aufgearbeitet.
Sie wurde reduziert auf ein triviales oder paganes Schöpfungsritual, und verloren ging das spezifisch christliche Verständnis der Taufe.

Die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft der Kirche, eine Gemeinschaft zu sein, in der Rasse, Rang, Geburt und Vermögen keine Bedeutung haben für Ansehen, Wert und Würde des Einzelnen, ist durch den Ausschluss von Getauften nachhaltig beschädigt worden.

Die Botschaft von der Befreiung aus den „gottlosen Bindungen der Welt“ hat Schaden genommen, nachdem kirchliche Repräsentanten und Behörden sie mit Füßen getreten haben. Das Gedenken an die alleine gelassenen Kirchenmitglieder jüdischer Herkunft während der Zeit der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft erinnert heute daran und verlangt, die christliche Taufe als Begründung einer alle natürlichen und nationalen Bindungen überschreitenden Gemeinschaft der Glaubenden, Liebenden und Hoffenden neu zu bedenken.

Wenn es richtig ist, dass ein wesentlicher Grund für den Verrat an der Taufe im Nationalsozialismus mit der unseligen Vermischung von natürlicher Geburt und geistlicher Neugeburt und der damit einhergehenden Geistlosigkeit zu tun hat, dann wird zu prüfen sein, ob beide – die Segnung unmündiger Kinder und die Taufe als geistliche Neugeburt mündiger Menschen - nicht deutlicher unterschieden werden sollten.


Gekürzte und bearbeitete Fassung eines Vortrags
von Werner Schneider Quindeau
in der Evangelisch-reformierten Gemeinde
Frankfurt am Main am 8. März 2012.




Getauft, ausgestoßen –
und vergessen?

Zum Umgang der evangelischen Kirchen in Hessen mit den Christen jüdischer Herkunft im Nationalsozialismus

Ein Arbeits-, Lese- und Gedenkbuch



Herausgegeben von Heinz Daume, Hermann Düringer, Monica Kingreen
und Hartmut Schmidt

Redaktion: Renate Hebauf/Hartmut Schmidt


CoCon Verlag
Hanau 2013
468 Seiten, Hardcover
29,80 Euro
ISBN 978-3-86314-255-1
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Das Schicksal der evangelischen Christen jüdischer Herkunft in Hessen während des Nationalsozialismus wurde lange verdrängt und ist so weitgehend unbekannt. Nach nationalsozialistischer Definition galten diese Christen als „Juden“ und wurden antisemitisch verfolgt.

In Hessen waren sie einer oft tödlichen Verfolgung ausgesetzt, hunderte wurden im Holocaust ermordet. Die evangelischen Kirchen schwiegen zur Verfolgung der Juden. Auch ihre eigenen Kirchenmitglieder mit jüdischer Herkunft schützten sie nicht und grenzten sie aus. Die Landeskirche von Nassau-Hessen schloss ihre Mitglieder sogar aus der Kirche aus. Das Sakrament der Taufe wurde verraten. Nur einzelne Menschen aus der Kirche standen den Bedrängten zur Seite.

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LESEPROBEN



- Heinz Daume / Hermann Düringer:
Einleitung zum Forschungsprojekt in Hessen


- Werner Schneider-Quindeau und Hermann Düringer:
Der Verrat an der Taufe


- Renate Hebauf:
Wilhelm Ernst und Ernst Ludwig Oswalt: Der Verleger und der Jungscharführer

- vollständiges Inhaltsverzeichnis des Buches


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