Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331

ONLINE-EXTRA Nr. 318

November 2021

Am 27. Juli 2021 erhielten die sogenannten SchUM-Städte Speyer, Worms und Mainz (www.schumstaedte.de) die Anerkennung als UNESCO-Welterbe. Damit fand die einzigartige Dichte und Vollständigkeit erhaltener Zeugnisse einer lebendigen jüdischen Tradition in dieser Region, die einst als das „Jerusalem am Rhein“ gerühmt wurde, eine willkommene und verdiente Anerkennung. Das Judentum im Rheinland hegte eine jahrhundertealte Tradition und erlebte dort im 11. Jahrhundert seine Blütezeit. Dies änderte sich auf dramatische Weise mit Beginn des ersten Kreuzzugs im Jahr 1096. Zahlreiche Todesopfer und Zwangstaufen erschütterten die jüdischen Gemeinden in ihren Grundfesten. Noch heute erinnern liturgische Gedichte in den Synagogen an die Gräueltaten. Damit wurden die ersten Pogrome am Rhein zu einer Art Urkatastrophe für das aschkenasische Judentum.

Diesem dunklen Kapitel der Religionsgeschichte widmet sich Jakob Matthiessen in seinem vor wenigen Monaten erschienenen historischen Roman »Tod oder Taufe – Die Kreuzfahrer am Rhein«. Anschaulich erzählt er vom Überlebenskampf der Mainzer Juden, die sich zunächst mutig gegen die Angreifer zur Wehr setzten, aber schließlich vor die fürchterliche Alternative gestellt wurden, sich taufen oder töten zu lassen. Eingebettet in einen spannenden Plot rückt er den Zwiespalt zwischen Überleben und Martyrium in den Fokus der Handlung und führt den Lesern die Glaubensfragen der damaligen Zeit vor Augen. Ergänzt wird der Roman von einem ausführlichen Nachwort über die historischen Hintergründe.

Im nachfolgenden ONLINE-EXTRA lernen Sie zunächst den Autor und sein Buch in einem Interview näher kennen. Dem folgt eine Leseprobe aus dem Roman selbst sowie abschließend von Christel Scheja eine Leserstimme, die einem der größten deutschsprachigen sozialen Büchernetzwerke entnommen ist: Loveleybooks (www.lovelybooks.de).

COMPASS dankt dem Autor Jakob Matthiessen für die Genehmigung, Interview und Leseprobe hier zu veröffentlichen sowie Christel Scheja für ihre Leserstimme.

© 2021 Copyright beim Autor 
online exklusiv für ONLINE-EXTRA



Online-Extra Nr. 318


Jakob Matthiessen:

»Tod oder Taufe - Die Kreuzfahrer am Rhein«

Eine Buchvorstellung.



Interview mit dem Autor Jakob Matthiessen
über die Rheinlandpogrome im Jahre 1096


Ihr Roman „Tod oder Taufe – Die Kreuzfahrer am Rhein“ behandelt die Judenverfolgungen im Rheinland während des ersten Kreuzzugs. Was macht die Bedeutung dieser Ereignisse aus?

Jakob Matthiessen (JM): Die Pogrome im Jahre 1096 waren die ersten ihrer Art, sie stellen einen Wendepunkt in der Geschichte des europäischen Judentums dar.

War das Zusammenleben zwischen Juden und Christen bis dahin von einer gewissen Unbefangenheit geprägt, so leitete die Gewalt der Kreuzfahrer eine fundamentale Veränderung ein. Juden mussten seitdem mit der permanenten Angst leben, für jedes mögliche Unheil verantwortlich gemacht zu werden. Ein schwelender Volkszorn bedrohte jederzeit ihren Besitz und ihr Leben. Daher kann man die Ereignisse als eine Urkatastrophe des europäischen Judentums bezeichnen.

Was ist damals geschehen?

JM: Vor dem Hintergrund des Aufrufs von Papst Urban II., die heiligen Städte Stätten in Palästina von »Ungläubigen« zu befreien, bildeten sich im Rheinland und an vielen anderen Orten Europas Heere. Diese wurden angeführt von Rittern, bestanden aber vorwiegend aus Bauern, Wegelagerern und Vertretern anderer gesellschaftlichen Randgruppen. Schnell hat sich unter ihnen die Meinung durchgesetzt: Wenn man schon in Palästina kämpfen sollte, dann müsste man auch die »Ungläubigen« in den Städten des fränkischen Reiches bekämpfen. »Ungläubige« in Palästina waren für die Kreuzfahrer in erster Linie Muslime, im Frankenreich waren es Juden.

Dabei spielten jedoch nicht nur religiöse Ideen eine Rolle. Der Weg zu schnellem Reichtum war sicherlich auch für viele eine Motivation. Und ein Kreuzzug musste finanziert werde. Plünderungen waren neben den Zwangstaufen und Morden an den Juden daher an der Tagesordnung.

Wie hat sich die Kirche gegenüber den Juden verhalten?

JM: Die Bischöfe haben zunächst versucht, der Gewalt Herr zu werden. Dies gelang weitgehend noch in Speyer. In Worms wurde bereits der größte Teil der jüdischen Gemeinde ermordet bzw. zwangsgetauft. Aufgrund des chaotischen Zusammenrottens der Kreuzzugsheere waren die Prozesse für die Kirche schwer kontrollierbar.

Was war der Grund für den Hass gegenüber den Juden?

JM: Die Gewalt der Kreuzfahrer war in erster Linie religiös begründet. Die Vorstellung, dass Juden Christus und damit Gott getötet hatten, war ein genereller Konsens, der durch die Osterfeierlichkeiten in der mittelalterlichen Gesellschaft jedes Jahr neu verankert wurde. Dass sich diese religiöse Grundeinstellung irgendwann in Terror entladen würde, war wohl nur eine Frage der Zeit. Die Kirche hat durch ihre Ideologie ein Gewaltpotential geschaffen, das sie schließlich nicht mehr kontrollieren konnte und zuweilen wohl auch nicht mehr wollte.

In meinem Roman ist es die Figur Rotkutte, ein fanatischer Priester, der dieses Gewaltpotential entfesselt, indem er das Motiv der Juden als Gottesmörder propagiert. Nur durch Einwilligung zur Taufe konnten die Juden ihr Leben retten. „Tod oder Taufe“ war der Schlachtruf der Kreuzfahrer.

Wie haben die Juden auf diese Bedrohung reagiert?

JM: Den jüdischen Quellen nach hat sich der größte Teil der Juden der Taufe verweigert und den Tod willig in Kauf genommen. In späteren Phasen, so auch in Mainz, haben sich viele der Juden selbst oder gegenseitig getötet, bevor sie in die Hand der Kreuzfahrer fallen konnten. Dies wurde als Kiddusch ha-Schem, als Heiligung des Namens Gottes, bezeichnet.

In den jüdischen Chroniken wird das Kiddusch ha-Schem als eine Art rituelles Opfer beschrieben. Es erscheint zuweilen, als wolle man Gott so zum Eingreifen bewegen. Im Roman ist es der Rabbi Mosche, der ein solches Opfer propagiert und die Jüdin Rachel ist bereit, sich selbst und ihre Kinder zu töten. Der Roman beschreibt ein Ereignis, dass sich tief in die jüdische Erinnerung eingegraben hat: An die Opfer der Verfolgungen im Jahre 1096 wird heute immer noch in den Synagogen in aller Welt erinnert.

Die getöteten Juden wurden also als Märtyrer verstanden?

JM: In der Tat. Dies ist jedoch eher untypisch für das Judentum, welches in einer sympathischen Weise weitaus mehr auf das Diesseits als auf das Jenseits ausgerichtet ist. In diesem Zusammenhang wurde über Wechselwirkungen zwischen jüdischen und christlichen Glaubensvorstellungen spekuliert. Das Selbstopfer Jesu spielt ja auch im christlichen Abendmahl eine wichtige Rolle.

Ein nicht kleiner Teil der Juden hat sich dem Druck wahrscheinlich gebeugt und sich zwangstaufen lassen. Dafür spricht, dass die jüdischen Gemeinden schnell wieder zu neuer Blüte gefunden haben. Unterstützt von seiner Frau Jehudith spricht sich der Rabbi Chaim in dem Roman gegen die Selbstopferung aus. In den zwei Rabbis und den zwei starken jüdischen Müttern Rachel und Jehudith wird der Zwiespalt nachvollziehbar, in dem sich die Juden damals befunden haben mussten.

Ein guter Teil der Juden ist vermutlich im Rahmen der Verfolgungen geflüchtet, meist in Richtung Osten. Die jüdischen Gemeinden von Speyer, Worms und Mainz, die sich als sogenannte „SchUM-Städte“ miteinander verbunden hatten, waren von einer außergewöhnlichen Gelehrsamkeit geprägt. Durch die Fluchtbewegungen hat sich das Wissen dieser Gemeinden insbesondere nach Osteuropa ausgebreitet. Dies ist mit ein Grund dafür, dass die UNESCO die SchUM-Städte im Sommer 2021 als Weltkulturerbe anerkannt hat, wurden sie doch so zu einer Wiege des europäischen Judentums.

Inwieweit sind die Ereignisse, wie sie im Roman beschrieben werden, historisch verbrieft?

JM: Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Uns liegen drei jüdische Chroniken vor, die Jahrzehnte nach den Verfolgungen entstanden sind. Diese sind jedoch interpretationsbedürftig, da sie die Ereignisse in einer idealisierten Form darstellen. Der Zwiespalt zwischen Überleben und Martyrium, von dem ich soeben gesprochen habe, tritt darin in den Hintergrund. Die Menschen – inklusive der Kinder – gingen den jüdischen Berichten zufolge meist freudig in den Tod, wie wir es ja auch von christlichen Märtyrerlegenden kennen. In meinem Roman versuche ich ein realistisches Bild der Gefühle zu geben, die die Juden damals gehabt haben mussten.

Beim Lesen der jüdischen Chroniken ist die ohnmächtige Wut auf die Verfolger spürbar. Man wollte durch den Fokus auf das Martyrium sicherlich auch ein Zeichen der Standhaftigkeit setzen. Die jüdische Identität stand seitdem schließlich unter ständiger Bedrohung.

Im Roman kämpfen der Domdekan Raimund und der Rabbi Chaim für das Überleben der Juden. Dabei führen diese beiden Gelehrten Gespräche über ihren Glauben, in denen sie sich nahekommen.

JM: Mir war es wichtig, dass nicht nur die destruktive Auseinandersetzung zwischen Judentum und Christentum sichtbar wird. Der jüdische Gelehrte Martin Buber hat einmal gesagt: „Jesus habe ich von Jugend auf als meinen großen Bruder empfunden.“ Raimund und Chaim kommen sich in etwas nahe, was heute „der jüdische Jesus“ genannt wird. Dies meint, dass man Jesus in seinem jüdischen Kontext wahrnimmt; Jesus hat sich schließlich immer als Jude verstanden.

In einer solchen Sichtweise sehe ich eine Perspektive für die Kirche heute und auch für das Verständnis der europäischen Kultur generell. Die jüdisch-christlichen Werte sind die Basis, auf der Europa sich entwickelt hat. Dies zu vergessen, würde unserer Gesellschaft meiner Meinung nach nicht guttun.



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Jakob Matthiessen
Tod oder Taufe
Die Kreuzfahrer am Rhein


Roman
Gmeiner Verlag, Meßkirch 2021

630 Seiten
Preis: EUR 16,00


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Mainz, im Jahre 1096. Ein mächtiges Kreuzfahrerheer steht vor den Toren der Stadt und fordert Einlass. Aufgehetzt von dem fanatischen Priester Rotkutte, wollen die Krieger die jüdische Gemeinde auslöschen. Wer nicht seinen Glauben verrät soll sterben. In ihrer Verzweiflung sieht sich Rachel, starke jüdische Frau und Mutter, zu einer furchtbaren Tat gezwungen.

Rabbi Chaim und Domdekan Raimund, in ihrem Glauben einander freundschaftlich zugetan, suchen in der belagerten Stadt nach einem Weg, Blutvergießen zu verhindern. In Rotkutte steht ihnen jedoch ein Meister der Intrige gegenüber …

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Jakob Matthiessen:
Tod oder Taufe. Die Kreuzfahrer am Rhein


LESEPROBE


Prolog  
Dienstag, der 27. Mai Anno Domini 1096 / 3. Siwan 4856
Mainz - Bischofspfalz, in der Johanniskirche


Der Lappen in seinem Mund schmeckte fischig. Mit Mühe konnte er dem Würgereiz widerstehen, den der Knebel in ihm auslöste. Der Strick schnitt sich tief in seine Handgelenke, die man ihm hinter dem Rücken zusammengebunden hatte. Seine Finger waren inzwischen taub.
Rabbi Chaim stand in einer langen Reihe vor dem Altarkreuz. Diejenigen, die es noch in die Bischofspfalz geschafft und am heutigen Tag nicht den Tod gefunden hatten, warteten auf das nun Unvermeidliche.
Chaim wandte sich um. Dies war also der Rest seiner einst so blühenden Gemeinde. Die meisten der Seinen senkten die Köpfe voller Scham, vereinzelt gewahrte Chaim Blicke des Vorwurfs. Rachel, ihr blitzte der Zorn aus den Augen. Sie war bereit gewesen zum Kiddusch Ha-Schem, dem höchsten Opfer zur Heiligung Seines Namens.
Chaim war es nur recht, dass auch ihr der Mund verschlossen war. Er wollte Rachels Beschimpfungen jetzt nicht hören, dafür war später Zeit genug. Aber viele in seiner Gemeinde empfanden Erleichterung. Das hatte er gespürt, selbst wenn die Wenigsten dies zugeben würden. Darauf ließe sich aufbauen. Darauf setzte Chaim all seine Hoffnung.
Er rieb seine gebundenen Hände gegeneinander, damit er sie wieder spüren konnte. Sie blieben jedoch taub. Chaim drehte seinen Kopf nach rechts. Jehudith hockte mit ein paar der Ihren gefesselt an der Wand unter dem Kreuz mit dem Gehängten. Ihr sonst so schönes lockiges Haar war strähnig und zerzaust. Aber in ihrem Blick fühlte er auch jetzt die Wärme, die ihm in den letzten Tagen Kraft gegeben hatte.
Ach, Jehudith, meine geliebte Rose von Scharon. Du hast den schweren Gang schon hinter dir.
Chaim schloss die Augen. Nun war es an ihm.
Zwei Wachen zerrten ihn nach vorn. Die Beine drohten, ihm zu versagen, aber die beiden Hünen, die ihn fest unter den Armen packten, gaben Chaim Halt. Er spürte eine weite, schwammige Leere. Wie aus großer Ferne vernahm er die sanfte Stimme seines Freundes Raimund. „Glaubst du an Gott, den allmächtigen Vater?“
Chaim wollte den Kopf schütteln, mit dem bisschen Kraft, das noch in ihm war. Doch zwei Hände pressten sich gegen seine Ohren und Wangen. Dann wollte er sein Haupt eben gar nicht bewegen. Schließlich musste er sich dem Druck fügen, der seinen Kopf einmal nach oben und nach unten führte.
Warum auch nicht? Er glaubte an den allmächtigen Vater. Alle Juden glaubten daran.
„Glaubst du an Christus, Gottes Sohn?“ Raimunds Frage erscholl in der Weite des Raumes in ungewohnter Fülle. Doch war da dieses schwache Zittern, das sich immer dann in die Rede seines Freundes einschlich, wenn dieser seinen Worten selbst nicht trauen mochte.
Was habt ihr Christen aus dem Nazarener gemacht? Einen Gott! Einen Gott, der gekreuzigt wurde!
Selbst über solch heikle Themen hatte er mit Raimund sprechen können. Zwischen den Reben auf den Hügeln am Ufer des Rheins waren sie umhergegangen. Und in den Stunden des hitzigen Disputs verriet jenes leise Zittern die Zweifel seines Freundes, der sonst seine Worte so geschickt zu setzen wusste.
Chaim machte sich ganz steif. Aber die zwei Pranken, die sich wie die zwei Backen eines Schraubstocks in seine Schläfen pressten, waren stärker als das, was von seinem Willen nach all den Strapazen übrig geblieben war. Sie zwangen ihn erneut zu einem Nicken.
„Glaubst du an den Heiligen Geist?“
Der Ewige ist eins, nicht drei! Moses und die Propheten sagen es immer wieder. Der Ewige ist nicht teilbar, er ist eins!
Aber Chaims Aufbäumen war nicht mehr als der Flügelschlag eines Spatzen, schon ließ er seinen Kopf bereitwillig führen.
Mit einem Ruck wurde er nach unten gebeugt. Er öffnete die Augen.
Sein Spiegelbild starrte ihn aus dem Wasser des runden Beckens an. All die Zweifel hatten tiefe Furchen in sein Gesicht gegraben.
Würde er je vor dem Gericht des Herrn bestehen können? Er selbst war es ja gewesen, der dies alles von Raimund verlangt hatte. Nicht nur für sich selbst. Und nicht nur für Jehudith und seinen Sohn David. Für den ganzen Rest der Gemeinde hatte er gesprochen.
War es Weisheit? War es Torheit? Oder war es nur die schäbige Angst um sein kleines bisschen Leben? Würde er all dies seinem Schöpfer erklären können?
Chaim, du Dummkopf. Der Ewige braucht keine Erklärungen, der Ewige weiß.
Tropfen bildeten sich auf seiner Stirn. Der Schweiß kroch in sein rechtes Auge, rann quälend langsam den Nasenflügel hinunter und tropfte in das Becken. Das Angesicht, auf das er schaute, verschwamm in der Unruhe der Wasserfläche.
Raimunds Stimme besiegelte den Frevel. „So taufe ich dich im Namen des Vaters.“
Die Hände pressten seinen Kopf in das Becken. Chaim hielt den Atem an. Das Wasser war angenehm warm. Und noch während er sich über seine Erleichterung darüber wunderte, wurde er wieder nach oben gerissen.
Er wollte einen tiefen Atemzug nehmen.
„Im Namen des Sohnes.“
Sein Haupt wurde nochmals in den Bottich getaucht. Chaim verschluckte sich am Wasser, das an dem Knebel vorbeirann.
Endlich erlaubten ihm die fremden Hände, nach Luft zu schnappen. „Und im Namen des Heiligen Geistes“, hörte er Raimund wie durch eine Blase verkünden.
Da war sein Kopf ein weiteres Mal unter Wasser, und Chaim prustete hilflos in das Becken.
Die Hände rissen ihn hoch, diesmal so, dass er aufgerichtet dastand. Röchelnd schaute Chaim in das Gesicht seines Freundes.
Raimund blickte zur Seite, als wolle er Trauer und Scham verbergen.
Die Hände lösten sich von Chaims tropfnassen Wangen, dann schleifte man ihn weg.
Er hatte es so erwartet, doch war da ein Rest Furcht in ihm gewesen. Aber weder hatte das Wasser seine Haut verbrannt noch hatte ein Blitz vom Himmel sein Herz zerfetzt.
Und es roch genau so, wie Wasser riechen sollte: nach nichts.



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Jakob Matthiessen:
Tod oder Taufe. Die Kreuzfahrer am Rhein


Eine Leserstimme


Christel Scheja



Jakob Matthiesen lebt nun seit 20 Jahren in Skandinavien. Als Ausgleich zu seiner wissenschaftlichen Arbeit begann er mit dem Schreiben und schätzt dabei vor allem Stoffe, die er nach gründlicher Recherche zum Leben erwecken und mit Gegenwartsfragen verbinden kann, so wie es auch seine Lieblingsautoren taten. Sein aktuellstes Werke „Tod oder Taufe – Die Kreuzfahrer am Rhein“ greift ein bisher wenig beachtetes Thema auf – die Progrome gegen Juden in den Städten am Rhein im Jahr 1096.

Noch scheint alles in Ordnung zu sein, Juden und Christen leben friedlich in Mainz zusammen und tauschen nicht nur Waren aus, sondern auch Wissen. Rabbi Chaim pflegt sogar einen literarischen Austausch mit Domdekan Raimund, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Psalmen möglichst werkgetreu in eine Sprache zu übersetzen, die auch das einfache Volk versteht.

Doch dann ziehen dunkle Wolken über der Stadt auf, denn ein Kreuzfahrerheer nähert sich der Stadt, ein Haufen, der bereits in anderen Städten wie Worms ein wahres Blutbad unter den Juden angerichtet hat. Wird es den Verantwortlichen in Mainz gelingen, das hier zu verhindern oder müssen auch sie sich der Grausamkeit und dem Fanatismus stellen, die mit Rotkutte einen wahren Meister der Intrige hervorgebracht haben?

Auch wenn er umfangreich wirkt, der Roman umfasst nur wenige Tage und schildert einen kleinen Ausschnitt aus dem Grauen, das sich damals im Jahr 1096 und später auch immer wieder durch Europa zu, nur weil religiöse Fanatiker und Glücksritter mit Feder und Schwert scheinbar edle Ansinnen für ihre Zwecke nutzten.

Mit „Rotkutte“ kommt eine fiktive Figur ins Spiel, die aber für die vielen echten Prediger steht, die in ihrem Fanatismus das einfache Volk und die Soldaten aufstachelten, und teilweise nicht einmal ahnten, dass sie damit den Mächtigen in die Hände spielten, die sich nur bereichern wollten.

Immerhin waren die Juden meistens wohlhabender und gebildeter als der Rest der Stadtbevölkerung, was aber auch Gründe hatte – sie konnten Dinge tun, die Christen verboten waren und hatten unter den Gemeinden ein großes Netzwerk aufgebaut, das quer durch Europa und den Mittelmeerraum reichte.

Vor diesem düsteren Hintergrund – ein Kreuzfahrerheer macht auf dem Weg nach Jerusalem auch nicht vor den Städten halt und bereichert sich unter dem Deckmäntelchen der Religion an den Judengemeinden, spielt die Geschichte.

Er nimmt sich viel Zeit, das Leben der Menschen zu schildern. Mit Rabbi Chaim und seiner Familie lernt der Leser gleich die wichtigsten Sympathieträger und ihr Umfeld kennen und erfährt einiges über die Gebräuche und den Glauben – Dinge, die sich nur wenig verändert haben dürften.

Chaim wirkt zudem modern, er steht für die vielen liberalen Juden, die die lebensbejahenden Seiten der Gebote sehen und auch keine Probleme hat, sich mit einem Christen auszutauschen. Domdekan Raimund ist sein Gegenpart, ein Mann des Glaubens, der auch zu Diskussion und Offenheit bereit ist und die Toleranz lebt. Dennoch wirken beide nicht aus der Zeit gerissen – Männer wie sie wird es im Lauf der Geschichte immer wieder gegeben haben, auch wenn sie sich damit in Gefahr brachten.

Und dann erhält man auch einen Einblick in das Leben im Kreuzfahrerheer. Ein junger Bauernbursche verliert seine seelische Unschuld, als er sich Rotkutte anschließt und miterleben muss, wie dieser und seine Spießgesellen agieren, um den Hass gegen die Juden zu schüren.

Viele kleine Schicksale ergeben so ein rundes Bild der wenigen Tage Ende Mai 1096, die das Leben in Mainz für immer veränderten und vor allem in einer Gemeinde schweren Schaden hinterließen. Da man viele der Charaktere gut kennen lernt, fiebert man regelrecht mit, wenn das Kreuzfahrerheer marodierend durch die Stadt zieht und nicht einmal mutige Mainzer Bürger und Kirchenleute sie stoppen können.

Gerade durch letzteres bleibt das Buch versöhnlich, zeigt, dass es auf beiden Seiten diejenigen gegeben hat, die das Unrecht sahen und gegen es einstanden, aber eben auch die Fanatiker, die sogar Selbstmord verlangten. Auch das Ende fügt sich da gelungen mit ein.

Die geschichtlichen Hintergründe sind ausgezeichnet recherchiert, gleichzeitig gelingt es dem Autoren aber auch, Denkweisen und Gefühle der Menschen von damals für Gegenwartsmenschen glaubwürdig zu vermitteln. Viele kleine Details bringen Atmosphäre und erwecken die Zeit und auch die Figuren zum Leben, die liebevoll und zugleich auch vielschichtig gezeichnet wurden.

Alles in allem ist „Tod oder Taufe – Die Kreuzfahrer am Rhein“ ein runder Roman, der einfach nur Spaß macht, weil er allen Seiten eine Stimme gibt, das Geschehen anhand vieler unterschiedlicher Schicksale schildert und nicht zuletzt die jüdische Denk- und Lebensweise einfühlsam und interessant zu vermitteln weiß.


(Quelle: Loveleybooks;
mit freundlicher Genehmigung der Autorin)




Der Autor

JAKOB MATTHIESSEN

Jakob Matthiessen lebt seit fast 20 Jahren in Skandinavien. In seiner Jugend verschlang er die Romane von Hermann Hesse, Uwe Timm und J. R. R. Tolkien. Vor einigen Jahren entdeckte er die Liebe zum Schreiben als wohltuenden Ausgleich zu seiner wissenschaftlichen Arbeit. Als Schriftsteller interessieren ihn gründlich recherchierte Darstellungen historischer Ereignisse mit Bezug zu Gegenwartsfragen.

Es ist Matthiessens besonderes Anliegen, in sowohl anspruchsvollen wie unterhaltenden Romanen die jüdischen Wurzeln des Christentums als gesellschaftlich verbindende Kraft des Abendlandes in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. „Tod oder Taufe – Die Kreuzfahrer am Rhein“ ist sein erster Roman.

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