Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331

ONLINE-EXTRA Nr. 253

März 2017

Am 16. September 2016 war es soweit: nach fünfjähriger Arbeit wurde der neu revidierte Text der Lutherbibel dem Rat der EKD übergeben. Rund 70 exegetische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, praktische Theologinnen und Theologen sowie kirchenleitende Personen umfasste der sogenannte Lenkungsausschuss, der mit der Revision der Lutherbibel befasst war. Nach Abschluss des Projekts konnte somit im Vorfeld der Reformationsjubiläums 2017 die revidierte Luther-Bibel offiziell am 30. Oktober erscheinen.

Zur Beurteilung darüber, ob die Revision der Luther-Bibel als gelungen betrachtet werden kann, sind sicher viele Kriterien relevant. Vor dem Hintergrund der zunehmend problematisierten judenfeindlichen Haltung Martin Luthers und der belasteten Geschichte des Verhältnisses der evangelischen Kirche und Theologie zu Juden und Judentum sollte ebenso gewiss ein zentrales Kriterium darin bestehen, auf welche Weise die revidierte Luther-Bibel mit entsprechend einschlägigen Stellen und relevanten Themenkomplexen in der Bibel umgegangen ist, die für das Verhältnis von Kirche und Israel sowie für Christen und Juden insgesamt von Bedeutung sind.

Um dies genauer zu eruieren, hat der evangelische Theologe und Pfarrer Reiner Fröhlich zu einer besonderen Methode gegriffen: Er hat sich unter der beschriebenen Perspektive einige Zwischenüberschriften im Neuen Testament der revidierten Luther-Bibel angesehen und kritisch hinterfragt. Warum die Zwischenüberschriften? Weil, so argumentiert er, diese "in besonderer Weise die systematischen Vor-Einstellungen der Übersetzer" deutlich machen und zugleich dem Leser in gewisser Weise die "Leserichtung" vorgeben, anhand derer er den eigentlichen Text in der Folge wahrnimmt. Die Zwischenüberschriften geben gewissermaßen die Tonart an, in der die gespielte Melodie dann gehört wird - Dur oder Moll...

Das Ergebnis seiner Analyse hat Reiner Fröhlich dankenswerter Weise COMPASS zur Verfügung gestellt - und sei nachfolgend als ONLINE-EXTRA Nr. 253 hier präsentiert: "Lutherbibel 2017: Die heidenchristliche Kirche ersetzt immer noch die Juden".

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Online-Extra Nr. 253


Lutherbibel 2017: Die heidenchristliche Kirche ersetzt immer noch die Juden


REINER FRÖHLICH



Die Lutherbibel 2017 ist auf dem Markt, passend zum Reformationsjubiläum 2017. Dieser Beitrag bezieht sich darauf, wie diese Übersetzung in ihren Zwischenüberschriften des Neuen Testaments, die ja zum Verständnis der Texte anleiten, das Thema: „Israel und Kirche“ bzw. „Juden und Christen“ behandelt.

A. Die Zwischenüberschriften zeigen in besonderer Weise die systematischen Vor-Einstellungen der Übersetzer und sind in noch größerem Maße dafür verantwortlich, wie ein Text vom Leser verstanden wird, als es die gewählten deutschen Übersetzungsworte der eigentlichen Übersetzung der griechischen Begriffe etc. im Text selbst sind.

B. Bei der eigentlichen Übersetzung ist zu bedenken,

a) dass es zum einen darum geht, welches deutsche Wort einem griechischen Wort gemäß ist.
b) Zum anderen ist zu überlegen, welche Wirkung ein deutsches Wort in der Geschichte der Lutherbibel seit 1521 gehabt hat und ob diese Wirkung dem im griechischen Text Gemeinten entspricht.
c) Drittens ist in die Reflexion einzubeziehen, was die neutestamentliche und systematische Forschung in den Jahren seit der letzten Revision 1984 an neuen Erkenntnissen über die Texte und deren Umfelder bzw. das Verständnis der Texte und deren Umfelder entdeckt hat.
d) Viertens ist zu überlegen, welche Traditionslinien der Auslegung, in denen wir stehen und die uns prägen, uns mittlerweile neu bewusst geworden sind. Diese Traditionslinien müssen in den Prozess der Übersetzung mit einbezogen werden.

1. Die positiven Veränderungen bei den Zwischenüberschriften


Die gute Nachricht zuerst: Etliche - das Verständnis anleitende - Zwischenüberschriften zum Thema „Israel und Kirche“ bzw. „Juden und Christen“ sind verändert worden, insbesondere im Römerbrief. Statt einer tendenziell juden-kritischen oder juden-feindlichen Tendenz, die oft mit einer Enterbungs- oder Ersetzungstheologie einherging (d.h. die heidenchristliche Kirche beerbt oder ersetzt das abgeschriebene Volk Israel / die Juden), gibt es Anzeichen, dass die Lutherbibel 2017 an vielen Stellen von diesem Schema abgeht.

a) Römer 2, 17-29: „Die Anklage gegen die Juden“ (1984) wird geändert in „Fragen an die Juden“ (2017). - Hier wird der Begriff „Anklage“ fallengelassen. Nicht bedacht ist m.E. aber, wer der Adressat dieser Verse ist. Es ist ja völlig unsinnig, dies pauschal auf „die Juden“ insgesamt zu beziehen. Da wären wir wieder bei einer latenten pauschalen Abstempelung nach Rasse. Paulus meint damit ganz bestimmte Juden in den ganz bestimmten Jesus-Synagogen von Rom um das Jahr 56 u.Z. Er meint nicht alle Juden zu seiner Zeit an allen Orten. Er meint erst recht nicht „die Juden“ zu allen Zeiten und an allen Orten. Besser wäre: „Fragen an Juden

b) Römer 9,1-5: „Israels Gotteskindschaft“ (1984) wird geändert in „Die bleibende Erwählung Israels“ (2017). - Diese Konkretisierung ist ein großer Fortschritt, der die Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte anerkennt und als Anleitung dem Text voranstellt. Paulus sieht Israel als erwählt an. Diese Erwählung durch den Gott Israels ist für ihn eine bleibende. Sie wird nicht durch das Handeln oder Nicht-Handeln von Menschen außer Kraft gesetzt oder in Kraft gehalten1.

c) Römer 9,6-13: „Die Kinder der Verheißung als das wahre Israel“ (1984) wird geändert in „Kinder der Verheißung“ (2017). - Hier war bislang klar, dass von den Übersetzern aus gesehen „in Christus“ die (Heiden-) Christen und die (heidenchristliche) Kirche die Position des wahren Israel innehaben. Israel wurde somit mithilfe der Konstruktion „wahr – falsch“ enterbt. Man leitete die Römerbriefleser an, den Text Röm. 9,6-13 in diesem Sinne zu verstehen. Diese Konstruktion hat die Lutherbibel 2017 revidiert. Das ist gut so!

d) Römer 9,30-10,13: „Gesetzesgerechtigkeit und Glaubensgerechtigkeit“ (1984) wird geändert in „Die Suche nach Gerechtigkeit“ (2017 bis V. 15). - Mit dieser Änderung wird die Anleitung zum Verständnis der Paulusverse als pauschalisierende Abstempelung und Festlegung: die Juden und die Gesetzesgerechtigkeit dort hinten im Dunklen, wir Christen und die Glaubensgerechtigkeit hier im Lichte, zurückgenommen. Das ist ein Fortschritt. Wohlgemerkt: es geht darum, wie wir Heiden - Christen mit der Jahrhunderte alten Tradition: „Wir sind die Guten, die wir durch den Glauben gerechtfertigt uns fühlen, dort sind die bösen, ungläubigen und enterbten Juden“, wie wir im Jahre 2017 angeleitet werden, dass wir den Römerbrief verstehen sollen. Deshalb ist das eine sehr hilfreiche Änderung.

e) Römer 10,14-21: „Israel hat keine Entschuldigung“ (1984) wird geändert in „Warum ist Israel nicht zum Glauben gekommen?“ (2017 ab V. 16) - Die Anleitung zum Verständnis des Abschnittes als abschließende Verurteilung Israels wird umgewandelt in eine offene Frage. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Leider bleibt die Pauschalisierung: „Israel“. Zum einen ist mit der Anleitung zu dieser Pauschalisierung ausgeblendet, dass Paulus zu einem bestimmten Zeitpunkt schreibt. Es geht nicht um Israel zu allen Zeiten. Außerdem meint Paulus ab Röm. 11,1 nur einen Ausschnitt aus dem Judentum seiner Zeit. Er und die vielen messianisch jüdischen Missionare des Evangeliums sind ja auch Israel. Und sie sind zum Glauben an den Messias gekommen.
Dies darf eine Zwischenüberschrift nicht konterkarieren. Also müsste es heißen: Warum sind viele Juden nicht zum Glauben gekommen? Sonst wird eine verkappte Enterbungs-Theologie transportiert: Wir (Heiden-) Christen haben Israel beerbt.

f) Römer 11,1-10: „Nicht ganz Israel ist verstockt“ (1984) wird verändert in „Gott hat sein Volk nicht verstoßen“ (2017). - Hier wird der Begriff „Verstockung“ herausgenommen. Damit ist dieses seit Jahrhunderten festlegende (heiden-) christliche Urteil über ganz Israel zu allen Zeiten zurückgenommen und der Fokus auf V. 2 gelegt. So kann man die folgenden Verse als Bekenntnis des Paulus zur Erwählung Israels verstehen. Das ist gut so.

2. Die hochproblematischen Beibehaltungen bei den Zwischenüberschriften

Es gibt aber in der Lutherbibel 2017 ebenso Zwischenüberschriften (vor allem in der Apostelgeschichte), die die Tendenz der Enterbung oder Ersetzung Israels / der Juden durch die (heiden-) christliche Kirche ungebrochen fortsetzen und die Leser dazu anleiten, dies weiterhin zu tun.




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Exkurs: „Gemeinde“ und „Ekklesia“, jüdische Jesus-Jünger und „Christen“

Beim Pfingstfest / Wochenfest kamen laut Apg. 2 ungefähr 3.000 Juden zum Glauben an Jesus, den Messias, d.h. die Gemeinschaft der jüdischen Jesus-Jünger und deren Umfeld wuchsen nach Pfingsten in einem enormen Ausmaß. Es ist dabei darauf hinzuweisen: alle Beteiligten waren und blieben: Juden. Kein einziger Nicht-Jude / Heide ist dabei. Und kein Jude unter den Jesus-Jüngern nach Pfingsten lässt sein Jude-Sein zurück, niemand konvertiert zu irgendetwas anderem, so dass man von „ehemaligen Juden“ reden könnte.

Weiter: Normalerweise nannte man damals und nennt man heute Zusammenkünfte von Juden zu einem religiösem Zweck „Syn-agoge“ (d.h. Zusammenkunft).

Wenn nun Lukas, Paulus und andere Autoren des NT diesen Ausdruck für die jüdischen Jesusjünger und deren Umfeld vermeiden und stattdessen das Wort „Ekklesia“ gebrauchen, müssen wir uns genau überlegen, wie dieses neue Wort zu übersetzen ist. „Ekklesia“ hat die Bedeutung: „Versammlung“ und kommt vom Wortstamm „Kaleo“ = rufen. Im profanen Griechisch meint es die aktuelle Zusammenkunft von freien Männern zu einem öffentlichen Zweck2. Wenn wir dieses Wort mit dem deutschen Begriff „Gemeinde“ übersetzen, tun wir unbewusst etwas Hochproblematisches: Wir tragen unsere heutige Bedeutung des Begriffes „Gemeinde“ in den Text des NT (ins Damals) ein.

Für uns heute bedeutet „Gemeinde“ im christlichen Kontext:

1. die Versammlung der Heiden - Christen (also der nicht - jüdischen Christen) vor Ort zum Gottesdienst.
2. „Gemeinde“ bedeutet auch das soziale Gebilde aller Heiden - Christen vor Ort, also: „Kirchengemeinde“.

Das alles bedeutete es in der Apg. aber auf keinen Fall. In den ersten Kapiteln der Apg. bedeutet „ekklesia“: Versammlung der Juden, die an Jesus glauben, zum Gottesdienst. Keine Heiden, nur Juden! Auch später in der Apg. und im Römerbrief bestehen die Versammlungen der Gläubigen aus Juden und Heiden. Über das Verhältnis von beiden ist in der Forschung heute meist kein Konsens da.

Auf jeden Fall: Wenn wir „Ekklesia“ mit „Gemeinde“ übersetzen und in den Zwischenüberschriften die Leser dazu anleiten, bestimmt Texte der Apg. als Texte über „Gemeinde“ zu lesen, dann rauben wir den von Lukas beschriebenen sozialen Gebilden somit ihre Jüdischkeit. Wir setzen uns Heiden-Christen (also uns nicht-jüdische Christen) an ihre Stelle. Das müssen wir zuerst einmal erkennen und einen Schritt zurücktreten, d.h. aus einem Abstand heraus unsere bislang unbewusste Tradition bewusst betrachten3.

Unsere unbewusste Prägung sagte uns: „Das waren damals alles (Heiden-) Christen und nur ehemalige Juden. Das war damals eine nicht - jüdische Gemeinde wie wir.“ Wir müssen diese unbewusste Prägung als erstes erkennen, als zweites müssen wir diese dann korrigieren.

Nun könnte man meinen, dass sei eine übertriebene Spitzfindigkeit. Das Gegenteil ist der Fall. Die Ersetzung Israels / der Juden durch die heidenchristliche Kirche hat über viele Jahrhunderte nicht nur eine Arroganz der Kirchen gegenüber dem Judentum, sondern auch Verfolgung der Juden bis hin zum Holocaust bewirkt. Diese (geschichtlich Ungutes wirkende) Ersetzung Israels / der Juden durch uns Heiden - Christen speist sich eben auch aus solchen (Zwischenüberschrift-) Anweisungen, die die Leser anleiten, Israel / die Juden direkt am Anfang der Geschichte der Nachfolger des Messias Jesus zu enterben und uns Heiden- Christen an ihre Stelle zu setzen. Die Bibel, die wir zu Hause lesen, ist somit schon mit anti-jüdischen Verstehensanleitungen gespickt, die die Übersetzer der Lutherbibel hineingesetzt haben, ohne dass sie das selbst merken.

Demnach gab es in Jerusalem keine Jesus-Synagoge, keine jüdische Jesus-„Versammlung“, sondern eine heiden - christliche „Gemeinde“. Doch die von uns Heiden-Christen sogenannte „Ur-Gemeinde“ war in Wahrheit eine Synagoge. Eine Synagoge, die „Ekklesia“ genannt wurde. Dort kamen nur Juden zusammen. Wenn wir sie „Ur-Gemeinde“ nennen, rauben wir den gläubigen Juden von damals ihr Jüdischsein. Die Jesus - Jünger bleiben dann in unserer Vorstellung weiterhin (d.h. auch mit der Übersetzung 2017): Heiden-Christen.



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2.1 Die Zwischenüberschriften der Lutherübersetzung 2017 in der Apostelgeschichte:

a) Apg. 2,37-47: „Die erste Gemeinde“ (1984 und 2017).
Lukas berichtet hier vom Wachstum und vom Leben der Ekklesia der jüdischen Jesusjünger. Die Zwischenüberschrift „erste Gemeinde“ macht aus den Juden, die an Jesus glauben, Heiden (Nicht-Juden). Denn bei uns gehören zu einer „Gemeinde“ keine Juden. Somit leitet diese Überschrift weiterhin zur Enterbung und Ersetzung Israels durch uns (Heiden-) Christen an. Schade!

b) Apg. 4,23-31: „Das Gebet der Gemeinde“ (1984 und 2017).
Hier gilt das Gleiche wie in Apg. 2,37-47. Schade!

c) Apg. 4,32-37: „Die Gütergemeinschaft der ersten Christen“ (1984 und 2017).
Hier zeigt sich nun die unbewusste systematische Theologie der Übersetzer/innen und Zwischenüberschriftschreiber/innen ganz offen: Die Mitglieder des sozialen Gebildes in Jerusalem sind „Christen“. Sie sind vom Judentum zum Christentum übergetreten und nur noch ehemalige Juden, d.h. eigentlich, dass sie Heiden-Christen geworden sind. Auch wenn dies nicht explizit formuliert ist und die Kommissionsmitglieder das heftig abstreiten werden: wer heute das Wort „Christ“ gebraucht, meint „Heiden-Christ“ (d.h. nicht-jüdischer Christ) und leitet andere dazu an, den bezeichneten Menschen als „Heiden-Christ“ zu sehen. Wir sehen um uns herum ja nur Heiden-Christen (d.h. nicht-jüdische Christen). Dies ist diesmal eine ausdrückliche Ersetzung Israels / der Juden. Denn dieses soziale Gebilde in Jerusalem bestand ausschließlich aus Juden. Die Lutherübersetzung 2017 raubt den Jerusalemer Juden, die an Jesus glauben, ihre Jüdischkeit. Aus Juden werden auch im Jahre 2017 immer noch: Nicht-Juden / Heiden. Schade! Nein: Schlimm! Besser wäre: „Die Gütergemeinschaft der Messias - Juden“.

d) Apg. 8,1b-3: „Die Verfolgung der Gemeinde in Jerusalem“ (1984 und 2017).
Hier gilt wieder das Gleiche wie in Apg. 2,37-47. Schade! Dazu kommt, dass die Überschrift nicht differenziert, dass die Versammlung der jüdischen Jesus-Jünger in Jerusalem aus zwei Teilen bestand. Es gab eine hebräisch-sprechende jüdische Versammlung von Jesus-Jüngern um Petrus und ebenso eine griechisch-sprechende jüdische Versammlung um den Märtyrer Stephanus4. Wenn Zwischenüberschriften etwas erhellen sollen, dann könnte dies angedeutet werden. Die Überschrift könnte lauten: „Die Verfolgung der griechischsprachigen Jesus - Juden“.

e) Apg. 9,1-19a: „Die Bekehrung des Saulus“ (1984 und 2017).
Der Ausdruck „Bekehrung“ kommt im Text nicht vor. In der Geschichte der Auslegung des NT wird dies verstanden als „Bekehrung vom Saulus zum Paulus“. Aus dem Gesetzes - Juden Saulus sei durch die Begegnung mit dem auferstandenen Christus der ehemalige Jude und jetzige „Christ“ Paulus geworden. „Christen“ sind aber immer Heiden-Christen. „Bekehrung“ hat manchmal die Bedeutung, dass jemand in seiner Konfession von einem Mitläufer zum glühenden Gläubigen wird. Im Zusammenhang mit Saulus / Paulus hat dieses Wort immer die oben genannte Bedeutung gehabt: Aus dem Juden Saulus wird der Christ Paulus, d.h. aus einem Juden wird ein Nicht-Jude bzw. ehemaliger Jude. Hier gilt ja das Gleiche wie zu Apg. 4,32-37: Wir Heutigen kennen als Christen nur Nicht-Juden und verstehen unter „Christ“ dann: „Nicht-Jude“.

Aber das Gegenteil ist der Fall: Saulus / Paulus bleibt Zeit seines Lebens ein Jude5. Noch im Römerbrief betont er dies vehement. Wer das Wort „Bekehrung“ im Zusammenhang mit der Lebenswende des Saulus / Paulus verwendet, raubt ihm sein Jude-Sein und ersetzt es durch unsere Nicht-Jüdischkeit. Israel / die Juden werden ersetzt und enterbt. Wir Heiden-Christen (d.h. nicht-jüdischen Christen) nehmen ihren Platz ein, und sei es auf dem Wege, dass wir Saulus / Paulus entkernen und unsere Nicht-Jüdischkeit an den Platz seines jüdischen Wesens setzten. Die Lutherbibel 2017 bleibt bei diesem Wort und leitet die Leser weiterhin an, die Lebenswende von Saulus / Paulus so zu verstehen. Schade! Nein: Schlimm! Besser wäre: „Die Berufung des Paulus“.

f) Apg. 11,19-30: „Erste Christen in Antiochia“ (1984 und 2017).
Das Evangelium kam durch die aus Jerusalem vertriebenen Juden nach Antiochia, die Mitglieder der griechisch-sprechenden Versammlung um den Märtyrer Stephanus gewesen waren (sogenannte Hellenisten). Sie stammten z.T. aus Antiochia (Nikolaus aus Antiochien6) und waren vormals aus religiösen Gründen nach Jerusalem gezogen. Nun flohen sie wieder zurück in ihre alte Heimat7 und in ihre ehemaligen jüdischen Nachbarschaften und Synagogen oder flüchteten zusammen mit Geschwistern aus Antiochia dorthin. Die Einwohnerzahl der Stadt wird zwischen 150.000 und 600.000 geschätzt, 200.000 könnte realistisch sein8. In Antiochia gab es eine große Zahl von Juden9. Als die aus Jerusalem geflüchteten Jesus-Juden dort auftauchten, gab es bestimmt bald Unstimmigkeiten wegen ihres Glaubens an den Messias Jesus, der in den Augen vieler anderer nur ein gekreuzigter Verbrecher war.

Die Synagogen in Antiochia waren (anders als in Rom) nicht in einem Bezirk konzentriert, sondern verteilten sich über das Gebiet der ganzen Stadt10. Deshalb ist die Entwicklung der Menschen und Gruppen, die an den Messias Jesus glaubten, für Antiochia völlig im Dunklen. Ob diese Jesus - Juden in den Synagogen, in denen sie ankamen, bleiben konnten und sich dann (wie in Jerusalem) zusätzlich hin und her in den Häusern trafen11 oder ob und wann sie aus den Synagogen verwiesen wurden, weiß niemand. Fest zu stehen scheint, dass es in Antiochia nicht eine, sondern mehrere Ekklesiai (Versammlungen) gegeben hat, da die Juden über das gesamte Gebiet der Stadt verteilt waren und die messianisch Gläubigen deshalb auch an mehreren Orten ansässig wurden12. Lukas hat das Bild einer einmütig beieinander seienden Ekklesia (Apg. 11,26), so wie er auch in Jerusalem nur eine einzige, einmütig beieinander seiende Versammlung sieht. Auf jeden Fall aber gab es in Antiochia keine „Christen“ in unserem Sinne, d.h. die Versammlungen bestanden nicht nur aus Heiden-Christen. Die Ekklesiai von Antiochia bestanden aus Juden und Griechen. Sie waren als eigenständige jüdische Synagogen (falls sie aus den Synagogen verwiesen worden waren) oder als Sondergruppen innerhalb von existierenden Synagogen organisiert und nannten sich „Ekklesia“ statt „Synagoge“. Über das Zahlenverhältnis von Juden und Griechen darin kann man streiten. Die Überschrift „Christen“ ist auf jeden Fall irreführend. Sie trägt durch die Terminologie uns Heiden-Christen von heute in das Damals der jüdisch-griechischen Ekklesiai ein und merzt das Jüdische aus. Schade! Nein: Schlimm! Besser wäre: „Die Zahl der Gläubigen in Antiochia wächst“.

g) Apg. 15,30-35: (1984 und 2017) Die Benachrichtigung der Gemeinde in Antiochia.
Auch wenn das Verhältnis der Juden und Griechen der antiochenischen Ekklesiai sich mittlerweile in Richtung der Griechen verschoben hat, gilt das zu Apg. 11,19-30 gesagte. Schade, dass die Zwischenüberschrift die Jüdischkeits - Anteile der Gläubigen in Antiochia durch unsere Nicht - Jüdischkeit ersetzt! Ob diese Griechen dann Gottesfürchtige sind, die schon seit Jahren zu einer Synagoge gehört haben, oder wie viele Griechen dazu gehören, die völlig ohne bisherigen Kontakt zum jüdischen Glauben und zur Synagoge waren, kann nur gemutmaßt werden.

2.2 Die Überschriften der Lutherübersetzung 2017 im Römerbrief

a) Römer 1,1-7: „Paulus, Apostel der Heiden“ (1984 und 2017).
Hier wird die Tradition weitergeführt, in der wir Heiden - Christen den Apostel Paulus als Missionar der Heiden ansehen, der das gesetzesfreie Evangelium predigt und heiden-christliche Gemeinden gründet. Paulus ist aber nicht der Apostel der Heiden, sondern der Missionar im Gebiet der Heiden. Paulus berichtet in Galater 2, 7-10 über die Abmachungen des sogenannten Apostelkonzils in Jerusalem zur Frage der Beschneidung der zum Glauben gekommenen Heiden. Diese Abmachung ist nicht so zu verstehen, dass Paulus / Barnabas / die Antiochener nur die Nicht-Juden missionieren dürften. Paulus geht immer zuerst in die Synagogen. Es ist vielmehr so zu verstehen, dass Paulus / Barnabas / die Antiochener im Gebiet der Heiden13, d.h. in der jüdischen Diaspora, missionieren sollen, Petrus dagegen im urjüdischen Gebiet. Paulus ist und bleibt Jude und schuldet das Evangelium allen Menschen, zuerst den Juden14. Lukas hält in seinen Erinnerungen an Paulus in der Apostelgeschichte fest, dass Paulus immer zuerst in die Synagoge15 einer Stadt ging, um das Evangelium zu predigen. Paulus selbst betont in Römer 1,16, dass das Evangelium eine Kraft Gottes sei, die alle rettet, die glauben: Die Juden zuerst und auch die Griechen.

b) Römer 7,1-6: „Freiheit vom Gesetz“ (1984 und 2017).
Hier stellt sich die ganze Frage der torafreien Heidenmission. Hat Paulus die Tora zur Seite gelegt? Hat Paulus die Tora für die Heidenchristen zur Seite gelegt? Oder hat Paulus die Tora ihrer soteriologischen Bedeutung entkleidet und sie nur zum Maßstab des Lebens aus dem Glauben gemacht? Die Frucht des Glaubens brauchte ja inhaltliche Anhaltspunkte. Die Zwischenüberschrift „Freiheit vom Gesetz“ bleibt ganz in der alten Vorstellung, dass Paulus die Tora über Bord geworfen habe. Das ist in der heutigen Zeit nicht mehr der Konsens der neutestamentlichen Wissenschaft16. Deshalb wäre als Anleitung zum Verstehen von Röm. 7,1-6 hilfreicher: „Freiheit vom Gesetz der Sünde“.

Paulus schreibt einige Verse weiter: „Wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist, ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft.“ (Römer 7,14)

c) Römer 12,3-8: „Die Gnadengaben im Dienst der Gemeinde“ (1984 und 2017).
Der Glaube an den Messias Jesus kam nach Rom auf dem Wege von Handelsbeziehungen und Familienbanden. Dort lebten die an Jesus glaubenden Juden in den Synagogen, in denen es dann Streitigkeiten gab. Viele Forscher beziehen das Claudius - Edikt, das Sueton überliefert, auf diese Streitigkeiten17. Ob die an den Messias Jesus glaubenden Juden in den Syna gogen bleiben konnten oder aus ihnen verwiesen wurden, darüber gibt es keinen Konsens in der Forschung18. Sie trafen sich aber (wie in Jerusalem) zusätzlich zu den synagogalen Gottesdiensten auch noch als Ekklesia (Versammlung) des Messias Jesus. In Rom bestand jedoch wie in Antiochia nicht eine einzige Ekklesia von Juden und Nicht-Juden, sondern es gab mehrere Hausversammlungen (Ekklesiai)19. In Römer 16 sind mehrere dieser „Häuser“ aufgezählt. Auf jeden Fall bestanden diese aus Juden und Heiden. Über das Zahlenverhältnis zwischen Juden und Heiden in den Ekklesiai besteht keine Einheitlichkeit in der Forschung20. Auf jeden Fall haben zu den Ekklesiai, an die Paulus schreibt, Juden gehört. Die Zwischenüberschrift21 „Gemeinde“ in der Lutherbibel 2017 merzt leider weiterhin den jüdischen Anteil der Ekklesiai von Rom aus und setzt uns Heiden-Christen an die Stelle der Juden (denn die Leser kennen nur heiden-christliche Gemeinden). Schade!

d) Römer 12,9-21: „Das Leben der Gemeinde“ (1984 und 2017).
Hier gilt das Gleiche wie in Römer 12,3-8. Schade!

2.3 Die Überschriften der Lutherübersetzung 2017 im 1. Korintherbrief

a) In den Zwischenüberschriften im 1. Korintherbrief wird an vielen Stellen wiederum der Begriff „Gemeinde“ benutzt (4,14-21: „Paulus, der Vater der Gemeinde in Korinth“, 1,10-17: „Spaltungen in der Gemeinde“, 16,1-4: „Geldsammlung für die Gemeinde in Jerusalem“), was problematisch ist.

b) 1. Korinther 10,1-13: „Das warnende Beispiel Israels“ (1984 und 2017). Paulus beschreibt im Text Episoden aus der Wüstenzeit des Volkes Israel, die er frei kombiniert. Es sind Episoden, in denen im Buch Numeri verschiedene Verfehlungen des Volkes in der Wüste dargestellt werden. Paulus bezeichnet dabei die Israeliten als „unsere Väter“ und mahnt die Gläubigen in Korinth, sich von ähnlichen Verfehlungen fern zu halten. Die Überschrift steht in der Tradition der Arroganz der heidenchristlichen Kirche gegenüber den Juden. Die Juden werden pauschalisiert: „Israel“ genannt. Gemeint ist damit das Israel aller Zeiten, das, wie man im gesamten Alten Testament sehe, die dunkle Folie ist, von der sich die helle heiden-christliche Kirche abhebe. Gemeint ist somit (unbewusst) die Enterbung der Juden, die ja „alttestamentlich“ seien. So die alte Meinung, die unbewusst in dieser Formulierung steckt. Es ist nicht verstehbar, dass die Übersetzungskommission diese Überschrift aus Luther 1984 übernimmt und damit den Ballast der pauschalisierenden Stigmatisierung und Enterbung ganz Israels. Besser wäre: „Mahnungen aus der Geschichte der Väter“.

2.4 Die Überschriften der Lutherübersetzung 2017 im 1. Petrusbrief

1. Petrus 2,1-10: „Das neue Gottesvolk“ (1984 und 2017). Die Krönung der anti-jüdischen Zwischenüberschriften in der neuen Lutherbibel findet sich hier. Natürlich sind die Verse auf Heidenchristen bezogen. Die an Jesus Gläubigen werden im Text als auserwähltes Geschlecht, ein Volk zum Eigentum bezeichnet. Sie seien einst nicht Gottes Volk gewesen, nun aber Gottes Volk. Damit ist aber auf keinen Fall eine Ablösung des Judentums vom Heil bezeichnet. Mit keinem Wort ist von einem neuen Gottesvolk die Rede. Das neue Gottesvolk und die Enterbung Israels existieren allein in der unbewussten Substitutionstheologie der Übersetzer der Lutherübersetzung 2017, die die alte Überschrift von Luther 1984 ohne Not übernehmen. Wenn es ein neues Gottesvolk gibt, dann gab es auch ein altes Gottesvolk, das durch das neue Gottesvolk abgelöst wird. So werden die einfachen Bibelleser weitere Jahrzehnte dazu angeleitet werden, die Verse aus 1. Petrus als Enterbung Israels zu verstehen. Schlimm! Besser wäre als Überschrift: „Die zum Gottesvolk Dazugekommenen“.

3. Summa

Die neue Lutherübersetzung mag in vielem ausgezeichnet sein und einerseits die Sprache der Zeit treffen, andererseits manches Originelle der Sprachkraft Luthers wieder zurückgebracht haben. In puncto Aufarbeitung der unheiligen Geschichte auch der ev. Kirche in Bezug auf das Judentum ist sie in erschreckender Weise in vielen unheiligen Traditionsbahnen geblieben.



Anmerkungen



1 Michael Wolter (Paulus, 2012, S. 435) sieht die Aussagen von Paulus zur bleibenden Erwählung Israels als einen von zwei Grundsätzen, die einander ausschließen. Der andere Grundsatz sei: Gott rechtfertigt allein durch den Glauben an Christus.
2 Udo Schnelle, Theologie des Neuen Testaments, 2007, S. 303.
3 Vielleicht ist dem ein oder anderen Theologen bewusst, dass es Juden waren. Aber dem einfachen Christen nicht. Der einfache Christ sieht, wie der Theologe Josef Zmijewski (Die Apostelgeschichte, 1994, S. 115), dass die „Kirche aus dem Judentum erwachsen“ ist und dass sich „die ersten Christen“ am Anfang (zu ergänzen ist: noch) an den jüdischen Festkalender hielten (ebd.). Die Kirche sei das neue Gottesvolk (S.155). Hier wird unbewusst die (römisch-katholische) Kirche direkt an den Anfang der Geschichte der Nachfolger des Messias Jesus gestellt und die jüdische Bewegung -von der Terminologie her- somit als nicht-jüdisch bezeichnet, faktisch also ersetzt und enterbt.
4 Josef Zmijewski, Apostelgeschichte, S. 280.
5 Das Bild vom Juden Saulus, der zum Christen Paulus wird, das auch in der Forschung vertreten wurde, wird langsam abgelöst von dem Verständnis, dass Saulus / Paulus sich von einer jüdischen Lebensweise zu einer anderen jüdischen Lebensweise verändert hat (Jörg Frey, Das Judentum des Paulus, in: Oda Wischmeyer (Hrsg.), Paulus, 2/2012, S. 25 ; Ruth Schäfer, Paulus bis zum Apostelkonzil, 2004, S. 91). Luise Schottroff, Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth, S. 10: „Paulus ist durch seine Berufung nicht Christ geworden, sondern ein göttlicher Bote, der die befreiende Botschaft von der Erweckung Jesu verbreitet.“
6 Apg. 6,5.
7 Dietrich – Alex Koch, Geschichte des Urchristentums, 2013, S. 193.
8 Martin Hengel / Anna Maria Schwemer, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien, 1998, S. 275.
9 Hengel (a.a.O., S. 300) rechnet mit 20-35.000 Juden.
10 Ebd. – Anders Wolter (Paulus, S. 32), der davon ausgeht, dass die Juden „im Wesentlichen“ in einem eigenen Stadtviertel gewohnt haben werden.
11 Apg. 2,46.
12 Ähnlich Hengel (a.a.O., S. 300 f), der aber eher mit rasch selbständig werdenden (messianischen) Konventikeln rechnet.
13 Michael Wolter sieht in seinem Römerbriefkommentar (Der Brief an die Römer, 1. Teilband, 2014, S.40) die nicht-jüdischen Christen in Rom als alleinige Adressaten des Römerbriefes. Er tut dies, indem er u.a. die Formel „unter den Heiden“ (Röm. 1,5.13) als auf die Ethnie und nicht auf die Regionen (nämlich: außerhalb von Judäa) bezogen sieht.
14 1. Korinther 9,19-21: Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne.
15 In Philippi gab es entweder keine Synagoge in einem Privathaus (Apg. 16,13) oder das Paulusteam fand sie nicht.
16 Luise Schottroff (a.a.O., S. 10): Paulus habe eine Befreiung vom Tun der Ungerechtigkeit unter der Herrschaft der Sünde gemeint, nicht eine Befreiung von der Tora. Es gehe ihm also um eine Befreiung zur Tora, nicht von der Tora.
17 Wolter, Der Brief an die Römer, S.38f; Udo Schnelle, Paulus, 2003, S.332.
18 Udo Schnelle (Einleitung in das Neue Testament, 7/2010 , S. 133) sieht durch das Claudiusedikt eine endgültige Lösung der „christlichen Gemeinde“ von der Synagoge. K.-W. Niebuhr (Die Paulusbriefsammlung, in: K.-W. Niebuhr / Hg., Grundinformation Neues Testament, 4/2011, S.209) sieht eher, dass es in allen Städten mit Jesusanhängern andauernde Kontakte und Konflikte zwischen diesen und den Synagogen gab, so auch in Rom (ebd.). Er rechnet mit Jesusanhängern innerhalb der Synagogen Roms, zu denen Aquila und Priszilla die Brücke wären (ebd.). Martin Hengel (Das früheste Christentum als eine jüdische messianische und universalistische Bewegung, in: Judaica, Hellenistica et Christiana, 1999, S. 207) warnt davor, für eine „Trennung zwischen der Synagoge und der neuen enthusiastisch-messianischen Jesus-bewegung“ sich „eindeutig auf ein festes und dazu noch gar ein frühes Datum“ (ebd.) festzulegen.
19 O. Wischmeyer, Römerbrief, in: Oda Wischmeyer (Hrsg.), Paulus, 2/2012, S. 295.
20 O. Wischmeyer (a.a.O., S. 296) rechnet damit, dass die „stadtrömischen Christen aufs Ganze gesehen aus dem Paganismus stammen“. Sie geht wie Wolter (s. Anm. 13) davon aus, dass der Ausdruck „unter den Heiden“ auf die Ethnie bezogen ist und nicht auf das Gebiet außerhalb des jüdischen Mutterlandes. Dies ist aber unwahrscheinlich (s.o.). - K.-W. Niebuhr (a.a.O., S. 209) sieht Gruppen von Jesusanhängern innerhalb der Synagogen Roms und andere (wohl mehrheitlich heidenchristliche) Gruppen, an die der Römerbrief geschrieben ist, zu denen aber auch Juden gehören, weil Paulus sie in Kap. 16 grüße.
21 Wolter (Der Brief an die Römer, S. 40) sieht den Römerbrief an eine oder mehrere ausschließlich nicht-jüdische Gemeinden geschrieben. Dazu kommt er (ebd.), indem er nur innerbrieflich argumentiert (Nennung der Heiden in Röm 1,5f.13; 11,13.17-24.28-30-32). Für die zeitgeschichtlichen außerbrieflichen Daten rechnet er wohl mit einem rasanten christl.-jüd. Trennungsprozess. Nach Wolter hat Paulus nur an die heidenchristliche/n Gemeinde/n geschrieben und nicht an die in Röm 16 genannten jüdischen Ekklesiai. Wenn Paulus Unterstützung für seine Spanienmission erwirken wollte, wäre das aber höchst seltsam. Evtl. sind Wolters Ausführungen (ebd.) aber auch so zu verstehen, dass er die jüdischen Gläubigen unter die Heidenchristen subsumiert. Jüdische Gläubige wären dann nur noch ein Anhängsel der Kirche der Völker. Das wäre dann offensichtliche Ersetzung / Substitution der Juden durch Heidenchristen direkt am Anfang.



Der Autor

 Pfr. REINER FRÖHLICH


geb. 1958, Studium der evangelischen Theologie in Wuppertal, Tübingen und Erlangen. 1988 zum Pfarrer ordiniert. Verheiratet, ein Kind. Pfarrer der Ev. Kirchengemeinde Kierspe in der Evangelischen Kirche von Westfalen.


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