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ONLINE-EXTRA Nr. 180

März 2013

Seit gut einem Jahr ist er im Amt..., aber all zuviel weiß man eigentlich noch nicht über ihn: Der israelische Botschafter in Berlin Yakov Hadas-Handelsman. Vor diesem Hintergrund ist das nachfolgend wiedergegebene Interview mit dem Botschafter ebenso interessant wie bemerkenswert, gibt Hadas-Handelsman doch bereitwillig Auskunft über sich selbst und seine Familie und schildert gleichfalls offen seine ersten Eindrücke von Deutschland und Berlin.

Weitere Themen des Interviews sind die politische Lage nach den Wahlen in Israel, das israelisch-palästinensische Verhältnis sowie das irgendwie doch sehr deutsche Problem, wo die Grenze zwischen legitimer Kritik an Israel und einer als antisemitisch einzustufenden Kritik verläuft.

Das von Martin Jehle geführte Interview ist in gedruckter Fassung in der aktuellen März-Ausgabe der "Jüdischen Zeitung" zu lesen und erscheint heute online-exklusiv als ONLINE-EXTRA Nr. 180.

COMPASS dankt Martin Jehle für die Genehmigung zur Online-Wiedergabe des Interviews an dieser Stelle!


© 2013 Copyright beim Autor 
online exklusiv für
ONLINE-EXTRA



Online-Extra Nr. 180


Die Vergangenheit im Hinterkopf

Yakov Hadas-Handelsman, israelischer Botschafter in Deutschland, über Erinnerungen an Berlin, Israelkritik in deutschen Medien und die Wahlen in seinem Heimatland.


Ein Interview von MARTIN JEHLE



Die israelische Botschaft in Berlin.
Architekt: Orit Willenberg Giladi, Tel Aviv


Das Gelände der israelischen Botschaft im ruhigen Berliner Stadtteil Wilmersdorf ist gewaltig. Für die Einlasskontrolle gibt es ein eigenes Häuschen. Nach zehn Minuten geht es weiter in das Hauptgebäude.

Vor der Tür zum Botschafter geht es geschäftig zu. Mitarbeiter kommen und gehen, das Sekretariat nimmt Anrufe entgegen. Der Botschafter empfängt in seinem Büro und bittet, in einer Sitzecke für Besucher Platz zu nehmen. Sein Schreibtisch sieht nach Arbeit aus, an den Wänden hängen Bilder, unter anderem von der Fußballmannschaft der Botschaft.

Das Gespräch findet in Anwesenheit einer Mitarbeiterin aus der Presseabteilung des Botschafters statt. Der Botschafter spricht fließend Deutsch, wechselt nur selten ins Englische. Hadas-Handelsmann ist unprätentiös, spricht offen und direkt.



Herr Botschafter, in diesem Monat sind Sie seit einem Jahr Botschafter des Staates Israel in Deutschland. Wie fällt Ihre kurze persönliche Zwischenbilanz aus?

Sehr gut. Erstaunlicherweise sehr gut.
Deutschland ist Ihre siebte Auslandsstation. Gibt es etwas, das Deutschland von allen Ländern, in denen Sie vorher tätig waren, unterscheidet? Etwas, das die Arbeit hier besonders beziehungsweise zu einer besonderen Herausforderung macht?

Ja, das gibt es. Erstens, die Vergangenheit, die sehr eng mit der Gegenwart verbunden ist. Zweitens, Deutschland ist heutzutage eine Supermacht, in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht. Vor allem in Europa, aber auch außerhalb. Dazu kommen die vielfältigen und hervorragenden Beziehungen zu Israel in vielen Bereichen. Von Kultur, Forschung bis Handel. Um zur Vergangenheit zurückzukehren: Das Schicksal zwischen unseren Völkern und Ländern ist für immer verbunden. Ob wir, die Israelis oder die Deutschen, das wollen oder nicht. Und deswegen gibt es ein zusätzliches Element in unseren Beziehungen. Neben den Gemeinsamkeiten, den Inhalten, gibt es die Vergangenheit. Und da gibt es eine Verantwortung auf Seiten Deutschlands, keine Schuld mehr, besonders nicht für die jüngere Generation. Aber eine Verantwortung für die Vergangenheit wird es für immer geben. Das ist das Besondere an Deutschland.


Sie heißen «Hadas-Handelsman». Welche Bedeutung hat dieser Doppelname? Wo liegen die Wurzeln Ihrer Familie?


Hadas ist ein hebräischer Zusatz. Als ein Erbe der Ära von David Ben-Gurion mussten früher alle Bediensteten Israels im Ausland ihren Namen entweder hebräisieren, also wechseln, oder einen entsprechenden Zusatz wählen. Ich habe mich für Hadas, das bedeutet Myrthe, entschieden. Es ist eine Pflanze, die schon in der Bibel erwähnt wird und zu den vier Pflanzenarten im Feststrauß beim Laubhüttenfest gehört. Handelsman ist der eigentliche Name meiner Familie, die ursprünglich aus Polen stammt. Meine Mutter stammt aus Südostpolen in Tomaszów Lubelski in der heutigen Woiwodschaft Lublin in der Nähe der ukrainischen Grenze. Mein Vater stammt aus einer kleinen Ortschaft in der Nähe von Kielcza.
Meine Eltern sind Ende 1938 als Poniere nach Palästina eingewandert. Sie waren vorher in einem religiös-zionistischen Vorbereitungslager, wo sie für landwirtschaftliche Arbeit ausgebildet wurden. Dort haben sich meine Eltern kennengelernt. Meine Mutter bekam schließlich ein Visum für Palästina, mein Vater musste illegal einreisen. Sie haben dann auch geheiratet. Meine Mutter hat aber nur für kurze Zeit in einem Kibbuz gelebt, dann ist sie mit meinem Vater nach Tel Aviv gezogen.



Botschafter Yakov Hadas-Handelsman in seinem Büro der israelischen Botschaft in Berlin. (Foto: Martin Jehle)



Wie und wann hatten Sie die ersten Berührungen mit der deutschen Sprache?

Schon als Kleinkind habe ich zu Hause Jiddisch gehört. Meine Eltern haben die Sprache immer dann gesprochen, wenn meine Geschwister und ich sie nicht verstehen sollten. Aber nach einer Weile habe ich angefangen, einiges davon zu verstehen und mir einen jiddischen Wortschatz aufgebaut. Als das meine Eltern gemerkt haben, sind sie ins Polnische gewechselt. Der jiddische Wortschatz hat mir natürlich dabei geholfen, Anschluss an die deutsche Sprache zu finden, als ich an der Universität einen Deutschkurs belegte.


Und wann waren Sie dann das erste Mal in Deutschland?


Nachdem ich 1983 in das israelische Außenministerium eintrat, wurde ich schon zwei Jahre später das erste Mal nach Deutschland geschickt, um am Goethe- Institut in Murnau in Bayern für zweieinhalb Monate meine Sprachkenntnisse zu erweitern. Nach Beendigung des Kurses im Herbst sollten wir noch ein langes Wochenende irgendwo in Deutschland verbringen. Ein Kollege und ich entschieden uns, nach West-Berlin zu fahren.


Wie waren Ihre Eindrücke dort?


Es war sehr mysteriös und faszinierend für uns. Als Israelis hatten wir viel über den Kalten Krieg gelesen und gehört. Aber die drastischen Unterschiede zwischen Ost und West konnten wir erst in Berlin richtig sehen und spüren. Offiziell konnten wir als Israelis, zumal mit diplomatischen Pässen, nicht nach Ostberlin fahren. Aber jemand gab uns den Tipp, mit einer bestimmten UBahn- oder S-Bahnlinie über- oder oberirdisch, sozusagen heimlich, den Ostteil der Stadt zu sehen. Zum damaligen Zeitpunkt war das meine bedeutendste Lebenserfahrung: Dieser riesige Unterschied. Allein schon die von Ostberlin betriebene S-Bahn mit ihren hölzernen Bänken und dem eigenartigen Geruch von Lysol, einem Reinigungsmittel. Das hat mich sofort an meinen Militärdienst erinnert. Innerhalb von zwei Minuten Fahrzeit war der Himmel plötzlich grau, weil alle mit Kohle heizen mussten. Als ob man sich in eine Zeitmaschine gesetzt hat.


Und ab diesem Zeitpunkt wollten Sie eines Tages wieder, für längere Zeit nach Berlin?


Davon habe ich nicht geträumt, dass ich als Vertreter des Staates Israel in einem ungeteilten Berlin als Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands arbeiten würde. Das konnte niemand prophezeien. Das Leben ist voller Überraschungen, manche sind gut und manche sind schlecht. Dass ich hier bin, ist zweifelsohne eine sehr positive Überraschung in meinem Leben.


Sie waren acht Jahre bei der israelischen Armee, also mehr als die allgemeine Wehrpflicht vorsieht. Welche Aufgaben haben Sie in dieser Zeit wahrgenommen? Waren Sie 1982 am Libanonfeldzug, in Israel auch Operation «Frieden für Galiläa» genannt, beteiligt?


Ich war bei der Infanterie. Im Libanon war ich als Offizier, aber nur für einige Wochen. Dann war ich im Hauptquartier tätig. An unmittelbaren Kampfhandlungen war ich nicht beteiligt. Beim Militär konnte ich parallel studieren. Ich war in dieser Zeit auch für ein Jahr als Rucksacktourist in Südamerika unterwegs.


Wie gefällt es Ihnen in Berlin? Was machen Sie in ihrer Freizeit?


Berlin bietet eine riesige Mischung an kulturellen Angeboten. Meiner Meinung nach ist Sport auch eine Art von Kultur. Ich gehe gern zu Hertha BSC in das Olympiastadion, aber auch zu Union in die Alte Försterei. An den beiden Fußballclubs bilden sich Traditionen ab, sie ergänzen sich. Auch bin ich gerne in der Oper oder im Konzerthaus. Spazierengehen in der Stadt macht mir auch Spaß, vom Prenzlauer Berg bis zum Grunewald.




JÜDISCHE ZEITUNG



Das Judentum in Deutschland verändert sich demographisch stark und gewinnt ständig an Facettenreichtum. Diesen Prozess der Pluralisierung begleitet unsere Zeitung aufmerksam, unabhängig und kritisch.

Wir richten uns einerseits an die deutschsprachige jüdische Gemeinschaft, aber auch an alle am Judentum und jüdischen Fragen Interessierten.

Zu unseren Themenfeldern gehören:

* Aktuell-politisches, religiöses - nicht nur jüdisches - gesellschaftliches, kulturelles und wirtschaftliches Geschehen in ganz Deutschland
* Weltgeschehen und Diaspora
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* interreligiöse Dialoge
* Meinungen und Dispute zu aktuellen Fragen des Judentums und vielen allgemein-gesellschaftlich relevanten Themen
* Aktuelle jüdische Kunst und Kultur
* Wissenschaft und Bildung im jüdischen Kontext
* Geschichte des Judentums

Gegenwärtige Strömungen im deutschsprachigen Raum, Europa und den USA begleiten wir umfassend. Besonderen Wert legen wir auf authentische Berichterstattungen aus und über Israel.

Wir freuen uns auf Ihre Resonanz zu unserer gedruckten
wie unserer Online-Ausgabe und erwarten gerne
Ihre Anregungen und Themenvorschläge.
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Israel befindet sich gerade in der Phase der Bildung einer neuen Regierung, nachdem am 22. Januar Parlamentswahlen stattfanden. Wie interpretieren Sie das Ergebnis? Welche Entwicklungen oder Akzentverschiebungen sehen Sie? Was sind die vordringlichsten politischen Themen?

Erstens, das Hauptthema des Wahlkampfs war die soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation in Israel. Zweitens, die Israelis nehmen ihr Schicksal in die eigenen Hände. Die Wahlen haben gezeigt: Wenn die Israelis nicht zufrieden sind, wirkt sich das auf die Wahlentscheidung aus. Die Israelis sind sich der Bedeutung des Wahlrechts und der damit verbundenen Möglichkeiten sehr bewusst. Insbesondere die neue Partei «Yesch Atid» unter der Führung von Yair Lapid hat davon profitiert. Die «Kadima»- Partei hatte das letzte Mal 28 Sitze errungen, diesmal nur zwei. Das heißt, die israelischen Wähler sind sehr konsequent in ihrer Reaktion auf Enttäuschungen.


Welche Bedeutung messen Sie dem Wahlerfolg der Partei «Yesch Atid» bei, die bei ihrem ersten Wahlantritt gleich 19 Mandate errungen hat?


Der Erfolg für diese Partei war keine Überraschung. Das war abzusehen. Die einzige Überraschung ist, dass es gleich 19 Sitze in der Knesset geworden sind. Der Erfolg ist Ausdruck des Wunsches der Wähler, sich wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Themen zuzuwenden – und dem Friedensprozess. Die neue Regierung wird sich dieser Schwerpunkte annehmen. Insgesamt kann man sagen, dass die Wahlen ein Beweis für das Funktionieren und die Vitalität der israelischen Demokratie sind.


Woran liegt es, dass in der neuen Knesset nunmehr weniger Abgeordnete mit einem Hintergrund aus dem früheren sowjetischen Raum vertreten sind? Könnte das ein Zeichen dafür sein, dass die russischsprachigen Einwanderer nicht mehr in dem Ausmaße nach dem Merkmal «Herkunft» ihre Wahlentscheidung treffen? Das könnte man ja als Zeichen einer weiter voranschreitenden Integration dieser großen Einwanderergruppe sehen?


Die Partei «Israel Beitenu», die bewusst die Wählerklientel mit Wurzeln in der früheren Sowjetunion anspricht, hat an Einfluss verloren. Das Bündnis mit dem «Likud» hat dazu geführt, dass beide zusammen ein Viertel ihres Stimmenanteils verloren haben, von 42 Sitze auf 31 Sitze. Es gibt in der Politikwissenschaft diverse Analysen der Wahlergebnisse, die sich zum Teil auch unterscheiden. Aber man geht davon aus, dass die Hinwendung vieler Wähler zur Partei von Yair Lapid auch damit zusammenhängt, dass viele Wähler mit einer Herkunft aus der früheren Sowjetunion vor allem eins wollen: Israelis sein. Und was drückt das besser aus, als eine Partei mit ihrem Spitzenkandidaten zu wählen, der genau dafür beispielhaft als Symbol steht: Für das gegenwärtige, säkulare Israel. Sozusagen als eigene Bestätigung, Selbstvergewisserung, zu wissen, dass man dazu gehört, Israeli ist. Aber auch das ist natürlich nur eine Vermutung beziehungsweise Behauptung aus der Politikwissenschaft. Aus meiner Sicht aber nicht ganz fernliegend.


In Israel gibt es nur eine Zwei-Prozent- Hürde für den Einzug in die Knesset, in Deutschland sind es 5 Prozent. Mit einer entsprechenden Hürde wie in Deutschland gäbe es sechs Parteien weniger in der Knesset, sechs statt zwölf. Sehen Sie in der Zersplitterung der Parteienlandschaft einen Nachteil bzw. eine Schwächung des politischen Prozesses? Wird dadurch Partikularinteressen zu mehr Geltung verholfen? Immerhin gibt es in Israel Parteien, die thematisch sehr eingegrenzt sind bzw. nur bestimmte Bevölkerungsgruppen im Blick haben.


Über dieses Thema wird in Israel regelmäßig diskutiert. Auf der einen Seite ist klar, dass wenn die Hürde sehr klein ist, viele Parteien in die Knesset einziehen. Aber selbst bei der aktuellen Hürde ist der Verlust von Stimmen, noch hoch, also die Anzahl der Stimmen, die an Parteien gegangen sind, die am Ende unter der Zwei-Prozent-Hürde geblieben sind. Wenn die Hürde höher wäre, wäre es schwieriger für bestimmte Sektoren der israelischen Gesellschaft, überhaupt in der Knesset repräsentiert zu werden. Wichtig ist das Recht, Minderheiten eine Vertretung zuzubilligen. Demokratie heißt nämlich auch, die Rechte der Minderheit zu respektieren. Am besten wäre es – das ist nun meine persönliche Meinung – das deutsche Wahlsystem auf Israel zu übertragen. Eine Mischung aus Wahlkreis- und Listenkandidaten, also Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht. Aber auch die gegenwärtige Situation, also mit den vielen Fraktionen in der Knesset und zum Teil extremen Schwankungen der Wahlergebnisse, ist dennoch kein Zeichen von Instabilität des politischen Systems. Im Gegenteil: Das ist ein Beweis für die Lebendigkeit der israelischen Demokratie. Übrigens, es hat von der Staatsgründung bis 1977 gedauert, dass Israel das erste Mal eine nicht von der Arbeiterpartei geführte Regierung hatte.


Wie deuten Sie die Israelkritik des Journalisten und Verlegers Jakob Augstein und die öffentliche Diskussion darüber? Handelt es sich um einen «Sturm im Wasserglas» oder ist sie Ausdruck eines sich verdüsternden Israelbildes in den deutschen Medien?


Leider ist es kein «Sturm im Wasserglas». Erstens, und vorab: Man darf Israel kritisieren. Und man soll dafür nicht sofort als Antisemit kritisiert werden, das macht man aber im Übrigen auch nicht. Aber es spielt schon eine Rolle, wer zu welchem Zeitpunkt welche Art von Kritik übt. Zweitens: Deutschland ist etwas Besonderes. Ein deutscher Journalist sollte sensibel sein, er sollte immer die Vergangenheit im Hinterkopf haben.


Sehen Sie in Augsteins Kritik an Israel eine neue «Qualität» der Israelkritik?


Ich glaube, wir haben es hier in Deutschland mit dem Beginn eines eigenartigen Phänomens zu tun. Wenn jemand Kritik an Israel übt und dafür Gegenkritik erhält, heißt es sofort: Israel ist eine heilige Kuh, die nicht berührt werden darf, weil man ja sonst sofort als Antisemit bezeichnet wird. Das stimmt nicht! Man darf Israel kritisieren. Punkt. Es ist doch schon ungewöhnlich, dass es überhaupt diesen Begriff «Israelkritik» gibt. Wo gibt es diese Bezeichnung für ein anderes Land? Bald wird daraus noch ein Fach werden, an den Universitäten und so weiter; ich hoffe, ich übertreibe!


Wie unterscheiden Sie zwischen legitimer Kritik und solcher, die Sie als antisemitisch einstufen würden?


Die Frage ist, ob die an Israel geübte Kritik ein Mittel ist oder ob sie das Ziel an sich ist. Das ist der entscheidende Unterschied. Also, soll mit der Kritik etwas verändert werden oder ist sie reiner Selbstzweck? Letzteres ist leider bei einigen Journalisten in Deutschland der Fall. Ich weiß nicht, ob Jakob Augstein ein Antisemit ist. Ich kann nicht in sein Gehirn reinschauen, bin kein Psychologe. Wenn jemand über Israel obsessiv schreibt, es kritisiert und dann noch sagt, er sei noch nie in Israel gewesen, finde ich das aber ziemlich unprofessionell. Dieser Vorwurf trifft auf Augstein mindestens zu.


Zieht die israelische Botschaft irgendwelche Konsequenzen aus der Diskussion für ihre eigene Arbeit?


Nein, wir legen unsere eigene Agenda fest. Die Augstein-Diskussion wird nichts grundsätzlich ändern. Sorgen macht mir nur, dass die einzigartigen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel banalisiert werden. Dazu trägt die Kritik von Augstein sicher bei. Und das macht mir Sorgen. Israel war nie eine heilige Kuh, aber wir erwarten Fairness. Mittlerweile kommt der Antisemitismus unter dem Deckmantel der Israelkritik daher.



"Es ist doch schon ungewöhnlich, dass es überhaupt diese Begriff «Israelkritik» gibt. Wo gibt es diese Bezeichnung für ein anderes Land?" (Foto: Martin Jehle)



Auf die Frage eines Verbleibs von israelischen Staatsangehörigen auf dem Gebiet eines möglichen palästinensischen Staates hat der Leiter der diplomatischen Mission Palästinas, Salah Abdel-Shafi, in einem Interview in der Jüdischen Zeitung im November des vergangenen Jahres wie folgt geantwortet: «Aber die Prämisse muss klar sein: Erst muss die palästinensische Souveränität [über das 1967 von Israel besetzte Gebiet] anerkannt sein, dann sind wir offen und stehen dieser Option, dass Israelis in ihren Siedlungen wohnen bleiben, positiv gegenüber.» Wie stehen Sie dazu?

Wenn Israel und die Palästinenser sich über alle Sicherheitsangelegenheiten einig werden, dann ist auch die Siedlungsfrage gelöst. Die Sicherheit entscheidet über die Grenzen. Es ist im Grunde genommen doch eigentlich schon klar, was Israel bleiben wird und was nicht. Und wenn jemand in den Siedlungen, die nicht zu Israel gehören werden, bleiben will, so ist das eine Möglichkeit – nicht auszuschließen! Aber um etwas grundsätzlicher zu werden: Es muss klar sein, warum wir im Westjordanland sind. Nämlich, weil wir den Junikrieg 1967 gewonnen haben. Es gibt ein Buch von Ephraim Kishon, dem großen israelischen Satiriker, mit dem Titel «Pardon, wir haben gewonnen», erschienen ein Jahr nach dem Sechstagekrieg. Genau darauf muss auch mal hingewiesen werden. Es war ein Krieg, der uns aufgezwungen wurde. Und wir haben gewonnen. Doch schon kurz nach dem Krieg hat sich die israelische Regierung in einer geheimen Entscheidung bereiterklärt, alle eroberten Gebiete zurückzugeben als Gegenleistung für ein Friedensabkommen. Die arabische Antwort waren die bekannten drei «Neins» aus der Khartum-Resolution: «Nein» zum Frieden, «Nein» zu einer Anerkennung Israels, «Nein» zu Verhandlungen. Das darf bei allem nicht vergessen werden. Die Konsequenz davon ist nun nicht, dass wir noch mehr Siedlungen bauen sollten. Aber der von Ihnen zitierte Salah Abdel-Shafi verkürzt die Darstellung des Konflikts auf die Siedlungs- und Territorialfragen. Entscheidend ist, dass die Palästinenser an den Verhandlungstisch zurückkehren und nicht weiter Vorbedingungen stellen.

Welche Auswirkungen sind auf der Bühne der internationalen Politik von der Aufwertung der Palästinensischen Autonomiebehörde zu einem „Beobachterstaat“ bei den Vereinten Nationen zu spüren?


Keine. Das war ein symbolischer Akt ohne Inhalt. Statt einseitige Schritte vorzunehmen, hätten die Palästinenser schon viel mehr auf dem Verhandlungsweg erreichen können.


Wie stehen Sie zu der UN-Resolution der Vollversammlung, die Israel am 3. Dezember 2012 aufgefordert hat, sein Atomwaffenprogramm zur Überprüfung durch die Internationale Atomenergiebehörde zu öffnen? Die Jüdische Zeitung hat darüber in ihrer Januar-Ausgabe berichtet.


Diese Forderung ist bekannt und wird immer wieder erhoben. Iran und Nordkorea sind dem Atomwaffensperrwaffenvertrag beigetreten, Nordkorea hat ihn später wieder verlassen. Israel liegt nicht irgendwo zwischen Dänemark, der Schweiz und den Niederlanden, sondern wir sind im Nahen Osten. Ob Israel dem Atomwaffensperrvertrag beitritt oder nicht, ist doch ohne Relevanz. Die Welt muss sich auch so nicht vor Israel fürchten. In Wirklichkeit ist das doch ein marginales Thema, viel wichtiger ist doch der Iran, der sich Atomwaffen beschaffen will.


Herr Botschafter, vielen Dank für das Gespräch.




YAKOV HADAS-HANDELSMAN



Yakov Hadas-Handelsman, Jhg. 1957, ist seit 30 Jahren im diplomatischen Dienst des Staates Israel. Vor gut einem Jahr wurde er zum Botschafter in Deutschland berufen, nachdem er zuvor sein Land bei der EU und der NATO in Brüssel sowie von 2003 bis 2006 in Jordanien vertreten hatte. Von 2006 bis 2011 war er stellvertretender Generaldirektor und Leiter der Abteilung Naher Osten und Friedensprozess im Außenministerium in Jerusalem. Er hat Internationale Beziehungen und Nahoststudien in Tel Aviv studiert, ist verheiratet und hat drei Kinder. Mit seinem jüngsten Sohn und seiner Frau lebt er in Berlin.



DER INTERVIEWER

MARTIN JEHLE

Martin Jehle, geb. 1982 in Berlin, Rechtsanwalt, gelegentliche journalistische Tätigkeit.

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redaktion@compass-infodienst.de


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