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Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit

Deutscher Koordinierungsrat

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Koordinierungsrat





ONLINE-EXTRA Nr. 207

September 2014

Der kleine und sicher hart umkämpfte Markt jüdischer Zeitungen in Deutschland hat Nachwuchs bekommen: Seit Anfang Juli erscheint die "Jüdische Rundschau" als Monatszeitung im Handel, 48 Seiten stark im handlichen Tabloid-Format, gedruckt auf dünnem Papier für 3,70 Euro und einer Startauflage von 7000 Stück. Inwieweit sie sich vor allem neben neben der "Jüdischen Allgemeinen", dem Organ des Zentralrats der Juden in Deutschland, sowie der seit fast zehn Jahren ercheinenden "Jüdischen Zeitung" des russisch-deutschen Verlegers Nicolas Werner wird etablieren können, bleibt freilich abzuwarten. Eigenen Aussagen zufolge sollen konservative, orthodoxe wie auch liberale Strömungen gleichermaßen in den Artikeln berücksichtigt werden. Politisch versteht man sich als "unabhängig", Schwerpunkte sollen u.a. die Israelberichterstattung und Bekämpfung des Antisemitismus sein.

Inzwischen sind nun zwei Ausgaben erschienen, die u.a. jeweils auch mit einem Interview aufwarteten. COMPASS freut sich, Ihnen diese beiden Interviews heute präsentieren zu können. Beide Interviews geben einen interessanten Einblick in Teile des inner-israelischen Spektrums, die hierzulande eher selten im O-Ton zu hören sind, und beide Interviews berühren u.a. die international umstrittene Siedlungs- und Wohnbauproblematik in Israel und den besetzten Gebieten. ONLINE-EXTRA Nr. 207 gibt ein Interview mit dem israelischen Architekten Thomas M. Leitersdorf wieder, der vor allem in dem Projekt Ma?ale Adumim involviert ist. Dieses Interview, geführt von Martin Jehle, erschien in der Erstausgabe der "Jüdischen Rundschau", Nr. 1, Juli 2014.

Das zweite Interview, das Sie in ONLINE-EXTRA Nr. 208 finden, präsentiert ein Gespräch mit mit dem Siedlungsaktivisten, Juristen und Ex-Politiker Elyakim Haetzni (geboren 1926 als Georg Baumbach in Kiel, seit 1937 im damaligen Mandatsgebiet) über jüdisch-arabische Koexistenz im Westjordanland, unterschiedliche historische Narrative und vor allem die völkerrechtliche Situation der jüdischen Siedlung im Westjordanland. Mit Haetzni sprachen der israelische Schriftsteller Chaim Noll und der Architekt Ulrich Jakov Becker, abgedruckt in der "Jüdischen Rundschau", Nr. 2, August 2014.

COMPASS dankt Martin Jehle, Chaim Noll und Ulrich Jacov Becker für die Genehmigung zur Online-Wiedergabe der Interviews an dieser Stelle!

© 2014 Copyright bei den Autoren
online exklusiv für ONLINE-EXTRA



Online-Extra Nr. 207


"Der Negev wird sich entwickeln"

Der israelische Architekt Thomas M. Leitersdorf über sein Berufsleben, die Verdoppelung von Abidjan, das Projekt Ma?ale Adumim und das Verhältnis von Politik und Stadtplanung.


Ein Interview von MARTIN JEHLE



Zur Person:

Thomas M. Leitersdorf, Jahrgang 1937, wurde in der damaligen Tschechoslowakei geboren. Ein Jahr später wanderte seine Familie mit ihm nach Palästina aus. Er stammt aus einer Familie mit sehr kreativen Berufen: Der Vater war Architekt, die Mutter erfolgreiche Modedesignerin. Nach einem Studium der Architektur in London begann Thomas M. Leitersdorf schon in den 1960er Jahren an internationalen Bauund Stadtplanungsvorhaben mitzuwirken, so beispielsweise an der Erweiterung der Hauptstadt der Elfenbeinküste, Abidjan. Zurück in Israel, war er bald auch an öffentlichen Bauvorhaben beteiligt. Eines seiner größten Projekte wurde die Planung der israelischen Stadt Ma?ale Adumim im Westjordanland, heute die dort größte jüdische Siedlung. Immer wieder folgten für Leitersdorf auch attraktive Herausforderungen im Ausland, so Wohnanlagen, touristische Infrastruktur und Hotels in den USA, Großbritannien, der Ukraine und der Tschechischen Republik. Ab 2005 war Thomas M. Leitersdorf an den Planungen für die Wiederansiedlung der aus dem Gaza-Streifen evakuierten jüdischen Siedler beteiligt. Bis heute ist er mit seinem eigenen Planungs- und Architekturbüro in Tel Aviv aktiv. Leitersdorf, ein freundlich und bescheiden auftretender Zeitgenosse, ist verheiratet und hat drei Kinder.



Herr Leitersdorf, Ihre assimilierte, bürgerliche Familie stammt ursprünglich aus Prag, schon Ihr Vater war dort als Architekt tätig. Gab es Ende der 1930er Jahre keine attraktiveren Auswanderungsziele als das britische Mandatsgebiet Palästina??

Das kann man wohl sagen. Mein Vater hatte auch zunächst Australien im Blick, er versuchte, dorthin eine berufliche Verbindung aufzubauen. Aber zunächst landeten wir wegen der sich verschlechternden Situation in Europa in Palästina. Dann brach in Europa der Krieg aus, und die Reisemöglichkeiten waren deshalb sehr eingeschränkt. So blieben wir in Palästina, das ja damals ein sehr unterentwickelter, primitiver Ort war. Mein Vater arbeitete wieder als Architekt und plante zum Beispiel mit den Briten Armee-Einrichtungen.


Und Ihre Mutter?

Auch sie blieb ihrem Beruf als Modedesignerin treu, auch wenn sich natürlich das Umfeld dafür völlig verändert hatte. Später war sie die erste Designerin in Israel, für die es eine Werkschau im Tel Aviv Museum gab.

Sie sind dann zunächst in Palästina und nach der Staatgründung in Israel aufgewachsen. Wie ging es dann weiter?


Bis zum Alter von 15 Jahren lebte ich in Israel. Als Kind war ich recht anstrengend, für meine Mutter und in der Schule. Aber es gab einen Onkel, der im Zweiten Weltkrieg für Großbritannien in der Jüdischen Brigade gekämpft hatte und dann nach dem Krieg nach England gegangen war. Er empfahl meinen Eltern, mich in England auf ein Internat zu schicken. Nach der Schule, im Alter von 18 Jahren, hätte ich eigentlich nach Israel für den Militärdienst zurückkehren müssen. Aber meine Mutter riet mir, erst einmal mit dem Studium anzufangen. Und so begann ich, in London Architektur zu studieren. Nach einem Jahr ging ich dann aber nach Israel zum Militär. Im Anschluss daran kehrte ich nach England zurück, um das Architektur Studium fortzusetzen.


Wie ging es nach dem Abschluß weiter?


Ich begann für die für London und Umgebung zuständige Planungsbehörde zu arbeiten, die rund 500 Architekten und Ingenieure beschäftigte. Ein Jahr lang war ich an der Planung von neuen Städten und Vororten des wachsenden Ballungsraums London beteiligt. So kam ich in Berührung mit der Projektierung von größeren, komplexen urbanen Einheiten. Das war zu dieser Zeit, soweit ich weiß, noch einmalig in Europa und für mich natürlich sehr lehrreich. Nach einem Jahr ging ich dennoch zurück nach Israel ?


? um den jungen Staat, in dem es seinerzeit doch auch sehr viele Projekte gegeben hat, gleich wieder zu verlassen?


Ja, sicher hätte es in Israel auch spannende Aufgaben gegeben. Aber ich erhielt plötzlich die Gelegenheit, für ein Jahr in Los Angeles im Büro von William Pareira zu arbeiten. Pareira war damals ein bekannter Architekt. Sein Büro war unter anderem darin spezialisiert, weltweit Universitäten und touristische Projekte zu planen. In seinem Team kam ich auch zur Mit-Planung einer «Afrikanischen Rivera», bei dem die Größe der damaligen Hauptstadt der Elfenbeinküste, Abidjan, verdoppelt wurde. Das war ein riesiges Vorhaben – eine komplett neue Stadt von Grund auf zu planen und zu bauen! Straßen, Wohnge Wohngebiete, Flughafen, einfach alles. Vorher war Abidjan in etwa das «Paris Afrikas» – wegen der kolonialen Vergangenheit Frankreichs dort. Jetzt erhielt die Stadt eine neue, zweite Hälfte.
Während des Projekts bot mir William Pareira an, Partner seines Büros zu werden. Er war gerade dabei, einen Standort in New York zu eröffnen. Das war für mich natürlich eine fantastische Chance. Ich wusste aber, wenn ich dieses Angebot annehme, würde ich nicht mehr dauerhaft nach Israel zurückkehren. Nach zwei schwierigen Wochen des Nachdenkens entschied ich mich aber genau dafür. Das war 1966. Wir kamen dann überein, dass wir das Projekt in Abidjan dennoch weiterführen, ich meinerseits von Israel aus. Wir waren gerade mittendrin in der Erstellung des Masterplans für die Erweiterung der Stadt. Mit diesem Projekt begann ich also mein eigenes Büro in Tel Aviv aufzubauen. Israelis in Afrika, auch in der Elfenbeinküste, waren seinerzeit keine Seltenheit. Nachdem der Masterplan fertig war, bat mich die Regierung auch die detaillierten Pläne zu entwerfen – also Hotels, Golfplätze und weiteres. Am Ende war ich gut zehn Jahre mit der Elfenbeinküste persönlich und beruflich verbunden.




Und dann kamen die öffentlichen Bauvorhaben in Israel und im Westjordanland?

Das war etwas kurios: Auf einer Konferenz in Turin fragte mich ein Mitarbeiter des israelischen Tourismus-Ministeriums, ob ich Interesse hätte, einen Masterplan für die Entwicklung der touristischen Infrastruktur Israels zu erstellen. Ich sagte zu, und während ich damit beschäftigt war, meldete sich der Wohnungsbauminister Israels bei mir. Er erwähnte die Siedlungen, die damals in vielen kleinen Einheiten hier und da entstanden. Der Minister kam darauf zu sprechen, dass man nun auch nach kompakterer Infrastruktur strebe. Orte für einige Zehntausend Menschen, nicht für 15 Leute auf einem Hügel. So kam ich dazu, Ma?ale Adumim zu planen, das heute zu den großen Siedlungsblöcken gehört.


Wie lief das damals genau ab, und welche Erwägungen waren maßgeblich?


Ma?ale Adumim befindet sich an der historischen Strecke von Tel Aviv, Jerusalem, Jericho und Amman – eine Ost-West-Verbindung. Der politische Gedanke zur damaligen Zeit war, den Raum entlang dieser Route zu entwickeln. Das Konzept dahinter war, auch wenn es sich später als falsch herausgestellt hat oder zumindest kontrovers diskutiert wird, dass, je mehr Entwicklung es in diesem Raum gibt, das einmal umso mehr ein Argument sein wird, wenn im Rahmen einer Friedensregelung die endgültigen Grenzen zwischen Israel und den Palästinensern festgelegt werden. Heute kann man es sich einfach machen und dieses Konzept für dumm halten. Aber es war eben das politische Denken der damaligen Zeit. Es gab den sogenannten Allon-Plan, benannt nach dem israelischen Minister Jigal Allon von der Arbeitspartei. Nach diesem Plan sollte das Westjordanland in bestimmten Gegenden von Israelis besiedelt werden. Ma?ale Adumim sollte ursprünglich als große Siedlung in der Nähe von Jericho gebaut werden. Aber ich hielt diesen Standort für zu entlegen und hatte Zweifel, ob man genügend Leute gewinnen könnte, dort hinzuziehen.




JÜDISCHE RUNDSCHAU




Im Verlagshaus J.B.O. Jewish Berlin Online erscheinen ab Ende Juni 2014 zwei neue jüdische Monatszeitschriften, deren Titel zugleich Programm ist: An russischsprachige Leser wendet sich „Evrejskaja Panorama“ („Jüdische Panorama“), deutschsprachige Leser wird die „Jüdische Rundschau“ erreichen.

Besonderen Platz finden Neuigkeiten aus Israel – dem Land, das für viele zum geistigen, kulturellen und religiösen Zentrum des heutigen Judentums geworden ist. „Evrejskaja Panorama“ und „Jüdische Rundschau“ werden ihren Beitrag dazu leisten, ein heute häufig verzerrtes und unvollständiges Medienbild von Israel sinnvoll zu konterkarieren.

„Evrejskaja Panorama“ und „Jüdische Rundschau“ werden zugleich für jüdische wie nichtjüdische Leser gemacht. Über Politik und Kultur wird ebenso berichtet wie über Religion, jüdisches Gemeindeleben, Israel und die Diaspora.

Die Zeitung erscheint monatlich. Abonnementpreis: frei Haus jährlich 39 € (für Studierende 32 €) einschließlich 7% MwSt.

Weitere Informationen:
http://juedischerundschau.de/





Wie wurde dann eigentlich entschieden?

Es gab eine Regierungsentscheidung für den Standort in der Nähe von Jericho, und in vier Monaten sollte Baubeginn sein. Also schlug ich vor, zwei alternative Pläne vorzubereiten: Einen für den von der Regierung bevorzugten Standort, einen für den von mir ausgesuchten Standort in der Nähe von Jerusalem. Auf dieser Grundlage sollte dann entschieden werden. Ich stellte nur eine Bedingung: Ich wollte genügend Fachleute verschiedener Richtungen – vor allem Ökonomen und Ingenieure. Ich wollte nicht politisch argumentieren, sondern ausschließlich unter Planungsgesichtspunkten. Schließlich präsentierten wir dem Wohnungsbauminister beide Pläne. Der wollte aber nicht alleine entscheiden, sondern bezog andere Minister mit ein, unter anderem Ariel Scharon, der damals Verteidigungsminister war. Besonders Scharon wollte genau wissen, wo die Vorteile für eine Stadt in der Nähe von Jerusalem liegen. Ich sagte ihm, dass dieser Standort eine Entwicklungsperspektive habe, während die Stadt, wenn bei Jericho gebaut würde, ein Punkt auf der Landkarte bliebe. Das überzeugte offenbar Scharon. Ohne einen der anderen anwesenden Minister zu fragen, entschied er, dass die Stadt dort gebaut werden sollte.


Es ging dann sehr schnell los, und für einen jungen Architekten wie mich wurde ein Traum wahr.


Haben Sie sich dabei als einen Pionier gesehen, der Israels Grenzen erweitert?


Nein, ich habe mich nur als Architekt betrachtet, der eine große Möglichkeit erhielt. Als Architekten und Stadtplaner werden wir ja für das Denken und Planen bezahlt.


Also hat sie die Politik weniger interessiert?


Nun, meine Arbeit war es, eine Stadt zu planen, so gut wie möglich. Ohne Rücksicht auf politische Aspekte. Der Standort in der Nähe von Jericho gefiel mir aus fachlicher Sicht überhaupt nicht, nicht aus politischen Gründen. Wenn man bessere Alternativen hat, muss man diese in Betracht ziehen. So war es. Stadtplanung und Politik funktionieren nicht immer zusammen. Man sollte prinzipiell berücksichtigen, eine Stadt so zu planen, dass die Einwohner dort dann auch entsprechende Lebensqualität vorfinden können.


Die Siedlungen im Westjordanland erscheinen oft im wortwörtlichen Sinne wie Blöcke, «Gushim». Ästhetisch ist das nicht unbedingt so ansehnlich.


Der Grund dafür liegt darin, dass es in diesen Siedlungen nicht unbedingt die Forderung nach anspruchsvoller Architektur gibt. Die Regierung weist die Wohneinheiten aus, und dann wird eben recht funktional gebaut. Mit dem von Ihnen beschriebenen Ergebnis. Gewöhnlich ist aus Sicht der Regierung die Anzahl der Wohnungen wichtiger als die Architektur. Und dann spielen natürlich die Kosten noch eine Rolle. Bessere Architektur hat auch einen höheren Preis. Die Leute, die dort einziehen, könnten sich das oft ohnehin kaum leisten. Bei subventionierten Projekten treten Architektur und Stadtplanung häufig ein Stück in den Hintergrund.


Und das, obwohl doch Israel ein großartiges Architektur-Erbe hat, wenn man zum Beispiel an die Bauhaus-Architektur in Tel Aviv denkt. Viele jüdische Architekten kamen in den 1930er Jahren aus Europa. Die Baukultur in den Siedlungen wirkt dazu reichlich kontrastiv.


Ja, aber das hat auch viel mit der Geschichte zu tun. Auch vor der Staatsgründung waren Ansiedlungen von Juden, umso weiter sie sich in der Peripherie zu Tel Aviv oder Jerusalem befanden, heftigen Angriffen ausgesetzt. Das erforderte einfach einen kompakten, simplen, block-artigen Baustil, der auch die Verteidigungsfähigkeit im Auge hatte. Diesen Charakter haben die Siedlungen im Westjordanland bis heute nicht verloren.


Wie sehen Sie die Perspektiven für eine stärkere Besiedlung der Negev-Wüste, was ja die Vision von Staatsgründer David Ben-Gurion war?


Unabhängig davon, ob man in Israel oder in Deutschland Stadtplanung betreibt: Wenn man in entlegenen Gegenden erfolgreich Städte aufbauen will, müssen auch Bildungseinrichtungen, Arbeitsplätze und der infrastrukturelle Zugang, vor allem auch Straßen, vorhanden sein. Der Negev wird sich in diesem Sinne entwickeln, da bin ich sicher. Aber die Regierung muss dafür noch weitere Voraussetzungen schaffen.




DER INTERVIEWER

MARTIN JEHLE

Martin Jehle, geb. 1982 in Berlin, Rechtsanwalt, gelegentliche journalistische Tätigkeit.

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Der Interviewer freut sich über
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Kontakt zu Martin Jehle und/oder COMPASS:

redaktion@compass-infodienst.de


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