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ONLINE-EXTRA Nr. 25

Februar 2006


COMPASS dankt dem Autor für die Genehmigung zur Online-Wiedergabe an dieser Stelle!


© 2006 Copyright bei Autor und Übersetzerin 
online exklusiv für ONLINE-EXTRA


Online-Extra Nr. 25


Stellungnahme zum gegenwärtigen Konflikt um Karikaturen, die den Propheten Muhammad abbilden

Prof. Dr. MUHAMMAD KALISCH


In den letzten Tagen ist mein Sekretariat mit Anfragen überhäuft worden, eine Stellungnahme zu den Ereignissen bezüglich der von der dänischen Zeitung Jyllands- Posten veröffentlichten Karikaturen abzugeben. Mein Sekretariat bekommt stets Anfragen zu Stellungnahmen, wann immer in der Welt irgendetwas passiert, was den Islam und die Muslime stärker in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rückt. In der Regel antworte ich darauf nicht, weil ich einfach keine Zeit dazu habe. Speziell in diesem Fall habe ich aber auch deswegen nicht geantwortet, weil es mir kaum sinnvoll schien, in der meist sehr knappen Zeit, die einem von den Medien zur Verfügung gestellt wird, etwas wirklich Sachdienliches zu antworten.

Angesichts der Ausmaße, die diese Angelegenheit nun angenommen hat, möchte ich die Gelegenheit nutzen, zu diesem Problem und einigen weiteren Fragen, die mehr oder weniger auch damit zusammen hängen, eine etwas ausführlichere öffentliche Stellungnahme abzugeben, die meinen Standpunkt verdeutlichen soll. Ich hoffe, damit eine Reihe von Fragen zu beantworten, die mir gestellt werden und in der Vergangenheit gestellt worden sind. Ich spreche hier nur für mich selbst als ein muslimischer Theologe. Ich kann und will nicht den Anspruch erheben, „die Muslime“ zu vertreten. Es gibt mittlerweile in Deutschland Verbände, deren Verlautbarungen für sich beanspruchen können, größere Gruppen von Muslimen zu repräsentieren. Ich kann nur immer wieder darauf verweisen, dass wer ein Interesse daran hat, sich mit den Muslimen in der Bundesrepublik auseinanderzusetzen, sich auch mit diesen Verbänden in Verbindung setzen sollte. Diese repräsentieren zwar bei weitem nicht alle Muslime, aber doch eine nicht unbeträchtliche Anzahl.

Gegenwärtig wird die islamische Welt in Aufruhr versetzt durch den Abdruck von Karikaturen in einer dänischen Zeitung. Diese Karikaturen sind später von Zeitungen in anderen Ländern nachgedruckt worden. Ein Sturm der Entrüstung geht durch die islamische Welt und dieser Sturm der Entrüstung scheint von verschiedenen politischen Führungen gezielt angeheizt. Es ist auch zu gewaltsamen Protesten mit Angriffen auf Botschaften westlicher Länder gekommen. Soweit ich die Berichterstattung in den deutschen Medien verfolgen konnte, gab es zum Teil recht differenzierte Darstellungen, die deutlich machten, dass es auch friedliche Proteste gab, dass die gewalttätigen Proteste zumindest teilweise gesteuert waren und dass die Mehrheit der Muslime, gerade auch in Europa, aber nicht nur dort, zwar verärgert ist, aber gar keine Protestaktionen unternimmt.

Die Darstellung des Propheten Muhammad wird im Islam meistens unterlassen und selbst dort, wo man ihn unbedingt darstellen wollte, tat man dies in der Regel ohne das Gesicht zu porträtieren. Der Islam hat eine generelle Abneigung gegen Personendarstellungen ausgebildet, die damit zusammenhängt, dass die Bilddarstellung als Götzendienst oder mindestens Einfallstor für den Götzendienst betrachtet wird. An Stelle der bildlichen Darstellung von Menschen trat im Islam als Kunstform die Kalligraphie. Koranverse, aber auch die kalligraphische Darstellung der Namen des Propheten, seiner Familie oder seiner Gefährten schmücken die Moscheen. Die Darstellung des Propheten wird also grundsätzlich abgelehnt, selbst zum Zwecke der positiven Darstellung. Die Beleidigung und Schmähung des Propheten aber wurde von den muslimischen Juristen als ein Straftatbestand betrachtet, der mit dem Tode bestraft werden muss, wobei dieser Straftatbestand auch auf Nichtmuslime, die auf islamischem Territorium lebten, angewendet wurde.

Für all diese Dinge gibt es keine direkte Grundlage im Koran. Allenfalls die Überlieferung vom Propheten bietet hier Grundlagen, auf die man sich stützen kann. Die Authentizität dieser Überlieferung aber war und ist umstritten, auch unter Muslimen, wenngleich im Laufe der historischen Entwicklung sich bei den Muslimen eher diejenigen durchgesetzt haben, die der Überlieferung recht großes Vertrauen zu schenken geneigt sind.


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Unabhängig von diesen Fragen des islamischen Rechts aber gilt, dass der Prophet Muhammad in der islamischen Welt als das ideale menschliche Vorbild betrachtet und zu ihm eine tiefe Liebe und Verbundenheit empfunden wird. Wer diesen wichtigen Aspekt muslimischer Frömmigkeit verstehen will, dem sei Annemarie Schimmels hervorragendes Werk „Und Muhammad ist Sein Prophet - Die Verehrung des Propheten in der islamischen Frömmigkeit“ empfohlen. Die Beleidigung des Propheten war und ist für viele Muslime eine hochemotionale Angelegenheit. Hierdurch kann in einer freiheitlichen Gesellschaft ein Problem entstehen, das von muslimischer Seite theologisch aufgearbeitet werden muss. Es geht um das Spannungsfeld von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz.

Es ist im Zusammenhang mit dem jetzigen Karikaturenstreit wie auch vielen anderen Konfliktfeldern zwischen dem Islam und den westlichen Gesellschaften sowohl von muslimischer wie von nichtmuslimischer Seite einiges an Selbstkritik und Lernprozess zu leisten. Das Problem liegt darin, dass es auf beiden Seiten Personen gibt, die nur einseitig ihre Position und Perspektive betrachten. Sie sehen nur die Fehler der anderen Seite, nicht aber die eigenen Fehler. Diese Denkweise muss zum Konflikt führen und ich habe leider den Eindruck, dass es auf beiden Seiten Kräfte gibt, die diesen Konflikt auch wollen.

Spätestens seit der Rushdie-Affäre weiß man in Europa, wie gekränkt Muslime auf etwas reagieren, dass sie als Beleidigung des Propheten empfinden. Die Zeitung Jyllands- Posten hat dies gewusst. Aus der nicht gerade rühmlichen Vergangenheit dieses Blattes und seiner Rolle in der dänischen Gegenwartspolitik ist zu schließen, dass diese Zeitung genau das beabsichtigt hat, was nun passiert ist. Man wusste, dass viele Muslime so reagieren würden, wie sie nun reagieren und genau das war sicher auch beabsichtigt. Nun kann man sie vorführen als fanatische Irrationalisten, die eine Gefahr für die Meinungsfreiheit der westlichen Welt darstellen. Indem man dies tut, nämlich eine in der Tat irrationale und rein emotionale Ebene bei den Muslimen reizt, um diese zu irrationalen Handlungen zu verleiten, beabsichtigt man, bei den Nichtmuslimen genau diese Ebene ebenfalls zu aktivieren, die man den Muslimen - in diesem Fall völlig zu Recht ! - vorwirft, nämlich eine irrationale und rein emotionale Ebene, die sich nun bei Nichtmuslimen als Islamophobie, die keine kritischen Fragen oder Differenzierungen mehr kennt, äußert. Es geht um Hetze und die Ausschaltung von differenziertem Denken. Bei der bisherigen politischen Linie von Jyllands-Posten habe ich keine Bedenken, genau diese Strategie zu unterstellen.

Es haben insgesamt nur wenige Muslime gewaltbereit und fanatisch reagiert und es scheint vor allen Dingen so zu sein, dass so manche Regierung im Nahen Osten versucht, durch Anheizung des Themas von innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken. Dennoch wird seit Tagen immer wieder vom „Kampf der Kulturen“ gesprochen und es wird davon geredet, wie zurückgeblieben der Islam doch sei, der das hohe Gut der Meinungsfreiheit nicht so zu schätzen wisse wie die aufgeklärten Europäer. Gerade die Konservativen singen dieses hohe Lied der Aufklärung. Es sind dieselben Konservativen, die es in ihrer Liebe zur Meinungsfreiheit und Toleranz nicht ertragen können, wenn Kindergärtnerinnen ein Kopftuch tragen, die das Zitat „Soldaten sind Mörder“ (halte ich zwar so absolut formuliert nicht für richtig, aber angesichts der Realität von Kriegen für nachvollziehbar) unbedingt strafrechtlich verfolgt wissen wollten, und die seit Jahren versuchen, den mittelalterlichen Gotteslästerungsparagraphen 166 StGB noch zu verschärfen! Auch in der Bundesrepublik kann man nämlich mittels des § 166 StGB als Karikaturist zum Straftäter werden, wenn man sich z.B. das Christentum oder die Kirche als Objekt vornimmt.

Somit nun zum eigentlichen Kern des Problems im gegenwärtigen Streit. Wie soll eine Gesellschaft mit der Verletzung religiöser Gefühle umgehen? Wie soll das Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und religiösen Empfindungen gelöst werden? Ich muss gestehen, dass ich die emotionale Aufwallung vieler Muslime nicht verstehen kann. Ich finde die Karikaturen geschmacklos und sie sagen viel aus, über das mangelnde Niveau desjenigen, der sie gezeichnet und veröffentlicht hat. Aber warum sollte es mich treffen? Ich weiß, dass viele Menschen den Islam und die Muslime nicht mögen. Der Prophet Muhammad wird vielfach verunglimpft und selbst die Wörter „Mörder“ und „Kinderschänder“ werden immer wieder gerne im Zusammenhang mit ihm genannt. Was macht es für einen Unterschied, ob diese Leute ihren Hass für sich behalten, ihn aussprechen oder in Form von Karikaturen verbreiten? Ich weiß, dass der Prophet nicht so gewesen ist und ich weiß, dass der Islam anders ist, als viele Gegner des Islam (für manche von ihnen ist das Wort „Hassprediger“ durchaus angebracht) ihn darstellen, wenngleich ich mir der Tatsache bewusst bin, dass es natürlich auch Muslime gibt, die durchaus dem Bild entsprechen, das viele sich im Westen von den Muslimen machen. Der Islam ist eine Weltreligion mit unterschiedlichen theologischen und regionalen Ausprägungen wie alle anderen Religionen auch und wie in allen anderen Religionen gibt es auch im Islam gewaltbereite intolerante Fanatiker. Diese Fehlvorstellungen vom Islam zu korrigieren, ist kaum möglich, wenn wir Muslime genau den Vorstellungen entsprechend reagieren, die sich andere über uns machen. Diejenigen, die den Islam verunglimpfen, weil sie es nicht besser wissen, wird man nur dadurch vom Gegenteil überzeugen, dass man einen anderen Islam vorlebt als den der radikalen und gewaltbereiten Fanatiker. Diejenigen, die falsche Vorstellungen über den Islam verbreiten und dies wissentlich und willentlich, also vorsätzlich, tun, wird man von ihrem Hass ohnehin nicht abbringen können.

Manche Muslime leben in der irrigen Vorstellung, dass solche Aktionen, wie sie derzeitig vorkommen, den Respekt vor dem Islam erhöhen würden. Das ist natürlich falsch und eine Verwechselung von Angst und Respekt. Die Nichtmuslime bekommen keinen Respekt vor uns, sondern Angst. Sie halten uns einfach für gemeingefährliche Irre und das kann man ihnen angesichts der Reaktionen mancher Muslime nicht einmal übel nehmen. Der Koran hingegen ermahnt uns, sich nicht auf das schlechte Niveau anderer herabzulassen:


„Die gute Tat und die schlechte Tat sind nicht gleich. Wehre mit einer besseren Tat ab, dann wird der, zwischen dem und dir Feindschaft herrscht, wie ein enger Freund“ (Sure 41, Vers 34)


Meines Erachtens zeigt uns alle historische Erfahrung, dass ein besonderer strafrechtlicher Schutz von Religion stets missbraucht wurde und im Übrigen mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Freiheit der Wissenschaft nicht zu vereinbaren ist. Ich bin daher auch für eine ersatzlose Streichung des § 166 StGB, der ein Relikt aus dem Mittelalter darstellt und einer Gesellschaft, die sich rühmt, den Prozess der Aufklärung durchgemacht zu haben, unwürdig ist. Wir Muslime sollten nicht versuchen, diesen Paragraphen nun auch für unsere religiösen Belange zu nutzen, obwohl sein Tatbestand hier erfüllt wäre, sondern wir sollten uns im Interesse der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit für seine Streichung engagieren.

Ein strafrechtlicher Schutz von Religion und religiösen Gefühlen ist schon deswegen unsinnig und abzulehnen, weil sich der Tatbestand niemals genau definieren lässt und dadurch automatisch immer in die Nähe von Willkür gelangt. Willkür aber ist für einen rechtsstaatlichen Juristen das schärfste Unwerturteil überhaupt. Diese Undefinierbarkeit des Tatbestandes ist die Folge der Tatsache, dass jeder Mensch eine unterschiedliche Wahrnehmung davon hat, wann er sich in seinen religiösen Gefühlen beleidigt fühlt. Bei religiösen und philosophischen Auffassungen kommt nun noch das Problem hinzu, dass das, was für den einen blanker Unsinn ist, für den anderen eine unumstößliche Wahrheit darstellen kann.

Darf die Evolutionstheorie nicht mehr gelehrt werden, weil sich Kreationisten dadurch beleidigt fühlen? Dürfen der Papst oder Ayatollah Khamenei nicht mehr kritisiert werden, weil ihnen blind ergebene Anhänger darin eine Beleidigung ihrer religiösen Gefühle sehen? Schon diese Beispiele zeigen, wie absurd der Schutz des religiösen Bekenntnisses durch das Strafrecht ist. Wo ist die Grenze und wer sollte sie ziehen? Sollen wirklich Rabbiner, Priester und Mullahs über die Grenzen der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit entscheiden dürfen? – Gott bewahre! Der § 166 StGB wird derzeit eng ausgelegt und vor allem die wissenschaftliche Kritik in sachlicher Form wird ausgenommen. Das alles aber ist lediglich Auslegung eines „Gummiparagraphen“, die auch anders ausfallen könnte und auch darüber, was wissenschaftliche Kritik in sachlicher Form ist, kann man sich streiten.

Wer den Papst für einen Verbrecher oder Muhammad für einen Mörder hält, der muss dies auch sagen dürfen. Wer eine Gesellschaft will, die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit anerkennt, der muss damit leben, dass es Menschen gibt, die seine weltanschaulichen Auffassungen nicht teilen und Dinge für Unsinn halten, die er selbst als Wahrheiten betrachtet. Wer dabei aufrichtig ist, der wird versuchen, die Gefühle anderer Menschen so wenig wie möglich zu verletzen. Ganz vermeiden wird man es kaum können, wenn man Dinge für falsch oder unsinnig hält, die anderen Menschen heilig sind. Man kann allerdings bei aller Kritik an inhaltlichen Fragen versuchen, dem Gegenüber zu verstehen zu geben, dass man ihn trotz dieser Kritik als Menschen in seiner Würde Ernst nimmt und sich bemühen, einen Weg für Kritik zu wählen, der möglichst wenig verletzt.

Wenn man weiß, dass Muslime eine bildliche Darstellung des Propheten als besonders verletzend empfinden, dann sollte jemand, der Kritik am Islam hat und sich in einem ehrlichen Dialog mit Muslimen über seine Kritik auseinandersetzen möchte sich fragen, ob er seine inhaltliche Kritik in gleicher Schärfe vielleicht nicht mit einem Mittel ausdrücken könnte, das sein Anliegen genauso klar zum Ausdruck bringt aber die Gegenseite weniger verletzt. Dies ist eine Frage des Anstands und des Stils. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass dabei auftretende Konflikte nicht mit dem Strafrecht gelöst werden können und dürfen. Im Spannungsfeld von Meinungsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit einerseits und Religion andererseits muss es eine absolute Freiheit der Meinung und der Wissenschaft geben, auch wenn dies religiöse Gefühle verletzen mag. Jeder Versuch, hier zu begrenzen, ist mit dem Wesen der eben genannten Grundfreiheiten nicht zu vereinbaren und alle historische Erfahrung zeigt, dass dabei nichts Gutes herauskommen kann.

Dennoch gibt es Grenzen. Diese Grenzen betreffen aber nicht das religiöse Bekenntnis von Personen, sondern ihre Personenwürde. Wenn die Anhänger irgendeines religiösen Bekenntnisses, seien es Juden, Christen, Muslime, Hindus, Bahais oder wer auch immer, in Karikaturen oder anderen Meinungsäußerungen so dargestellt werden, dass sie als eine bloße Masse erscheinen, der unterschiedslos ohne jegliche individuelle Differenzierung unbestritten als negativ begriffene Eigenschaften wie Lüge, Falschheit, Betrügerei oder gar Mordlust zugeschrieben werden, dann ist ohne Zweifel die Würde des Menschen verletzt und es liegt eine hetzende Darstellung vor. Ein Muslim oder Christ muss es hinnehmen, wenn seine Religion als mordlüstern, hinterwäldlerisch oder antidemokratisch bezeichnet wird, auch wenn dies Unsinn ist. Anderenfalls müssten Gerichte über das Wesen des Islam oder des Christentums entscheiden und könnte freie wissenschaftliche Forschung jederzeit unter Zensur gesetzt werden mit dem Argument, es werde eine Religion falsch dargestellt. Umgekehrt aber darf es nicht sein, dass ein Mensch, nur weil er einer bestimmten Religion zugehörig ist, automatisch unter Generalverdacht gestellt und mit den Attributen von Kriminellen versehen wird. Hier ist in der Tat ein energisches Vorgehen des Staates zu verlangen! Die Diskussion über den Islam oder irgendeine andere Religion kann nur als freie und tabulose Diskussion geführt werden, in der einzig die Argumente für die jeweils angeführten Behauptungen zählen. In einer solchen Diskussion werden völlig substanzlose Behauptungen schnell entlarvt. Die Freiheit der Meinung und der Wissenschaft wird hier dafür sorgen, dass Hetzer und Demagogen nicht die Oberhand gewinnen. Es wird viel Unsinn über den Islam geschrieben und es gibt sehr einseitige Darstellungen. Dem stehen aber auch sehr differenzierte und verteidigende Darstellungen gegenüber. Ich bin der festen Überzeugung, dass in einer Gesellschaft, die konsequent die Freiheit der Meinung und der Wissenschaft garantiert, sich auf Dauer immer ein differenziertes Bild einer Religion in der öffentlichen Diskussion ergibt und Darstellungen, die völlig einseitig und bewusst verzerrend sind, immer auf starke Kritik stoßen werden. Es gibt ohne Zweifel Darstellungen des Islam, deren Autoren bewusst Fakten einseitig auswählen und die Dinge verzerren mit dem Ziel, zu hetzen. Daneben gibt es aber auch Darstellungen des Islam, die eine Darstellung und Wertung von Fakten beinhaltet, die von einem Muslim nicht geteilt werden, ohne dass der Autor damit Hetze oder bewusste Verzerrung beabsichtigt. Weil sich aber diese beiden Fälle niemals gerichtlich sicher unterscheiden lassen könnten, muss zur Wahrung der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in Kauf genommen werden, dass diese auch missbraucht werden kann. Die Anhänger einer jeden Religion müssen nun einmal bereit sein, sich auch harte Kritik an ihrer eigenen Religion anhören zu müssen.

Das einzelne Individuum oder eine Gruppe aber müssen auch strafrechtlich in ihrer Würde geschützt werden und dürfen nicht als Kriminelle oder Lügner dargestellt werden, nur weil sie einer bestimmten Religion angehören. Man mag den Islam als eine Religion des Terrors und der Gewalt bezeichnen, was er nicht ist. Eine solche substanzlose Behauptung muss dennoch aus den bereits ausgeführten Gründen im Rahmen der Meinungsfreiheit hingenommen werden. Einem konkreten Menschen oder einer Gruppe von Menschen aber ist grundsätzlich gesetzeskonformes Verhalten zu unterstellen und ein Gesetzesverstoß muss im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens nachgewiesen werden. Dies ist eine Grundlage von Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechten und Pluralismus. Wer wirklich glaubt, dass alle Muslime, alle Juden oder alle Atheisten Verbrecher seien, der kann in dieser Auffassung nicht mehr von der Meinungsfreiheit geschützt werden, weil er die Grundlage, auf der die Meinungsfreiheit selbst beruht, nicht akzeptiert, nämlich die Würde des Menschen und die Vorstellung, dass Schuld immer individuell und nie kollektiv sein kann, mithin es also unsinnig ist, bestimmten Gruppen pauschal unmoralisches und ungesetzliches Verhalten zu unterstellen. Das Menschenbild, auf dem Meinungsfreiheit und Demokratie beruhen, unterstellt zunächst einmal keinem einzelnen Menschen und keiner Menschengruppe pauschal böse Absichten oder gar böse Taten und betrachtet die Vorstellung, dass Angehörige einer bestimmten Volksgruppe oder Religion grundsätzlich böse seien als irrational.


Centrum für religiöse Studien
an der Wilhelms-Universtität Münster




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Ziele und Aufgaben des Centrums für Religiöse Studien

An der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster wurde ein Centrum für Religiöse Studien eingerichtet, das der religionswissenschaftlichen Forschung und Lehre an der WWU dienen soll, insbesondere der Vertiefung und Ausarbeitung von interreligiösen sowie interkulturellen Fragestellungen und Forschungsperspektiven.

Die Arbeit des CRS erfolgt in enger Kooperation mit dem Fachbereich Philologie (FB 9) und den beiden Theologischen Fakultäten (FB 1 und 2). Die von den wissenschaftlichen Einrichtungen der WWU erbrachten Lehr- und Forschungsleistungen in den Bereichen Islamwissenschaft, Judaistik, Religionswissenschaft, Religionsphilosophie, Religionspädagogik, Biblische und Systematische Theologie sowie anderer Philologien werden in die Arbeit des CRS mit einbezogen.

Ein Beirat aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und anderen Persönlichkeiten, die in der interreligiösen und interkulturellen Forschung und Praxis tätig sind, soll mit außeruniversitärem Sachverstand die Erfüllung der Forschungsziele mit verantworten. Die Aufgabe des Beirats besteht außerdem darin, mit dem Centrum zusammen Veranstaltungen durchzuführen, die den Austausch von und mit Vertreterinnen und Vertretern orthodoxer, islamischer, jüdischer und christlicher Gemeinschaften fördern. So soll ein dringend benötigtes Forum für interreligiösen Austausch entstehen und in die Gesellschaft hinein wirken. Ziel ist darüber hinaus auch andere Religionen, insbesondere (Diaspora-)Hinduismus und Buddhismus, mit einzubeziehen.


Die Aufgaben des Centrums für Religiöse Studien

Das CRS schafft den Rahmen für religiöse Studien, vornehmlich in den Bereichen Islam, Orthodoxes Christentum und Judentum. Insbesondere werden zwei Lehramtsstudiengänge für die Erteilung "Orthodoxer Religionslehre" und von "Islamunterricht" an öffentlichen Schulen entwickelt und betreut. Der Studiengang "Islamunterricht" ist im WS 2004/2005 gestartet und der Studiengang "Orthodoxe Religionslehre" wird Voraussichtlich zu Beginn des Wintersemesters 2005/2006 gestartet werden.

Darüber hinaus koordiniert das CRS die Durchführung des interfakultären und überkonfessionellen Magisterstudiengangs Religionswissenschaft, der am Seminar für Allgemeine Religionswissenschaft der Katholisch-Theologischen Fakultät angesiedelt ist und in einen BA/MA-Studiengang umstrukturiert wird.

Das CRS veranstaltet interdisziplinäre Lehrveranstaltungen und Tagungen, in denen die Perspektiven interreligiöser und interkultureller Forschung überkonfessionell vorangetrieben werden. So fand am 25. November 2002 in Münster ein Kolloquium zum Islamunterricht in Deutschland statt, an dem mit Vertreterinnen und Vertretern aus den islamischen Verbänden, aus Wissenschaft und Politik über Zukunft und Perspektiven eines Islamunterrichts diskutiert wurde. Darüber hinaus wurden Unterrichtsmodelle aus Süddeutschland und benachbarten Ländern vorgestellt. Eine Dokumentation der Tagung ist bereits im Lit-Verlag erschienen.

Die Bedeutung des interreligiösen Dialogs und von Fragen, die das Zusammenleben von Menschen verschiedener Kulturen betreffen, wächst ständig. Im Rahmen dessen wirkt das CRS daran mit, neue theoretische Ansätze und Modelle in interdisziplinärer Forschung zu entwickeln.




Hier liegt meines Erachtens das wirkliche Problem. Es geht nicht mehr nur um Kritik am Islam. Diese ist, wie dargestellt, selbstverständlich legitim. Das Problem liegt darin, dass wir Muslime vielfach nur noch als eine einheitliche Masse gesehen werden, die ausnahmslos und undifferenziert mit negativen Attributen belegt wird. Der Islam und wir Muslime werden zu einem Feindbild aufgebaut mit Mitteln teilweise übelster Hetze. Es wird nicht mehr differenziert. Eine kleine Gruppe gewalttätiger Terroristen wird mit einer ganzen Religionsgemeinschaft identifiziert. Wir sollen uns ständig von Terror und Gewalt distanzieren, was unterstellt, es sei grundsätzlich zu vermuten, wir würden dies gutheißen. Gegen Muslime wird – leider auch mit Billigung durch Politiker dieses Landes, wie der „Muslimtest“ in Baden-Württemberg zeigt – ein Generalverdacht aufgebaut. Es herrscht eine aus meiner Sicht absurde Diskussion über das Kopftuch, die in der Praxis dazu führt, dass gerade emanzipierte Muslimas vom Berufsleben ausgeschlossen werden. Die konservativen Parteien machen durch ihre Politik unmissverständlich deutlich, dass sie eine Ungleichbehandlung der Religionen befürworten, die meines Erachtens verfassungsrechtlich keinen Bestand haben kann. Dabei ist in letzter Zeit viel von jüdisch-christlichen Grundlagen des Abendlandes die Rede. Interessanterweise verstehen sich Muslime und Juden recht gut, wenn man mal vom Palästinakonflikt absieht, der aber ein politischer Konflikt ist. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum die Christen mit den Juden angeblich so gut klarkommen und mit uns Muslimen nicht, obwohl sich Juden und Muslime theologisch näher stehen als Juden und Christen, was bei jedem religiösen Trialog immer wieder deutlich wird. Es bleibt aber nicht nur beim Verdacht. Faktisch haben Muslime in der Bundesrepublik anscheinend nicht mehr vollen Grundrechtsschutz. Wer als deutscher Staatsbürger in einem syrischen Folterkeller aufwacht, der bekommt, wenn er Muslim ist, keinen Besuch von deutschen Diplomaten, die sich für seine Freilassung einsetzen, sondern von deutschen Kriminalbeamten, die ihren syrischen Kollegen bei der Arbeit behilflich sind. Haydar Zammar ist vielleicht ein Verbrecher und gehört dann dementsprechend bestraft. Aber auch für ihn gelten die Unschuldsvermutung und die sonstigen Grundrechte. Das macht eben einen Rechtsstaat aus, der unter keinen Umständen Unrechtsstaaten bei menschenrechtswidrigen Handlungen Unterstützung leisten darf. Der Staat ist an das Recht gebunden. Der Bundesinnenminister Schäuble hat in letzter Zeit einige besorgniserregende Äußerungen über sein Verhältnis zur Folter gemacht. Überhaupt wird immer wieder versucht, das Folterverbot zur Diskussion zu stellen. Selbst führende Grundgesetzkommentare leiten hier eine Wende ein, die noch vor wenigen Jahren undenkbar schien. Das Konzept des Feindstrafrechts taucht auf. So abstrakt die Diskussionen auch geführt werden, jeder weiß, dass alle diese Überlegungen in erster Linie gegen Muslime gerichtet sind. Deutschland ist dabei, in die amerikanischen Fußstapfen zu treten und das bedeutet, dass genau die politischen Ideale verraten und preisgegeben werden, für die angeblich gekämpft wird. Dann bleiben aber als Kern des westlichen Kampfes gegen den Terror eben doch nur die Sicherung der Rohstoffversorgung und die Wahrung des Wohlstandes der westlichen Welt.

Wenn man all die Äußerungen und Handlungen von Politikern zur Kenntnis nimmt, die uns Muslime stets zur Grundgesetztreue auffordern, dann wünscht man sich, dass diese Politiker es mit dem Grundgesetz genauso ernst meinen, wie sie es von uns immer fordern.

Ich bin ein Befürworter von religiösem Engagement in Politik und Gesellschaft, denn Religionen haben der Gesellschaft etwas Positives zu geben und sie sind in gesellschaftlichen und politischen Fragen eben nicht neutral. Die historische Erfahrung lehrt, dass Religion positive wie negative Einflüsse auf Gesellschaften ausüben kann. Die Gefahr von Machtmissbrauch und Verfolgung Andersdenkender durch Religionsgemeinschaften hat sich in der Vergangenheit wie in der Gegenwart immer realisiert. Diese Gefahr lässt sich nur dann bannen, wenn die verschiedenen Religionen in den einzelnen Gesellschaften an demokratische Regeln und Menschenrechtsstandards gebunden sind. Für den Islam bin ich als islamischer Theologe der Auffassung, dass diese demokratischen Regeln und Menschenrechtsstandards aus dem Islam selbst abgeleitet werden können, mithin ihre Einhaltung und damit die Selbstbeschränkung der Religion Teil der Religion selbst ist. Die gegenwärtige Ideologie islamistischer Organisationen, die einen islamischen Staat anstreben und darunter eine islamische Gesinnungsdiktatur verstehen, betreiben eine Interpretation der Quellen, die sehr einseitig ist und vor allem die Vernunft außer Acht lässt. Die Vernunft aber war einmal im islamischen Denken wesentlich höher im Kurs als dies heute leider der Fall ist und darin liegt die Krise des islamischen Denkens begründet.

Mein muslimischer Lehrer, bei dem ich islamisches Recht und islamische Theologie studiert habe, hat die ihm gestellte Frage, welche Grenzen es im Islam für die Vernunft gebe, ganz klar mit „Keine“ beantwortet. Ich teile seine Auffassung, bin mir aber auch bewusst, dass ich mit diesem extremen Rationalismus innerhalb der islamischen Theologie eine Minderheitenposition vertrete. Dennoch wird von allen Muslimen grundsätzlich die hohe Bedeutung der Vernunft anerkannt. Es gibt, soweit mir bekannt, keine heilige Schrift der Menschheit, in der so oft das Wort „Vernunft“ bzw. „von der Vernunft Gebrauch machen“ vorkommt wie im Koran.

Der heutige Islamismus identifiziert eine bestimmte theologische und juristische Auffassung mit dem Islam selbst. Dagegen ist solange nichts einzuwenden, solange das Rechte andere Auffassungen zu vertreten, nicht eingeschränkt wird. Es hat nie einen einheitlichen Islam gegeben, weder im Recht, noch in der Theologie. Es gibt im Islam keine Instanz, die für alle Muslime verbindlich ist. Der Koran sagt „Es gibt keinen Zwang im Glauben“ (Sure 2, Vers 256) und die Mehrheit der muslimischen Theologen lehrt, dass Glaube nur dann gültig ist, wenn er durch persönliches Nachdenken verifiziert worden ist und nicht einfach aus Tradition blind übernommen wurde. Der aus meiner Sicht genialste islamische Denker des letzten Jahrhunderts, Muhammad Iqbal, hat dies einmal in einem Gedicht so formuliert (Übersetzung A. Schimmel):


Schlag mit der eignen Axt die eignen Pfade,
Denn Strafe ist´s, zu gehen auf Andrer Wegen.
Schafft deine Hand dann seltne Meisterwerke
Wär´ es selbst Sünde, würd´ es dir zum Segen


Die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ist meines Erachtens eine essentielle Forderung des Islam selbst. Die islamische Geistesgeschichte hat mit den Mutaziliten, mit Avicenna, Averroes, Suhrawardi al-Maqtul oder den Mystikern genügend eigenes Potential, um mit den großen Herausforderungen, die an eine zeitgenössische moderne islamische Theologie gestellt werden, fertig zu werden. Was die Jurisprudenz angeht, so gibt es seit vielen Jahren eine erfreuliche Tendenz, neuere Wege zu gehen, wenngleich auch hier noch einiges zu tun ist. Was die Theologie angeht, so gibt es auch in diesem Bereich Herausforderungen, die eventuell für manchen konservativen Muslim schockierend sind, die aber dennoch mit Hilfe der Weiterentwicklung von Denkmodellen gelöst werden können, die schon vor vielen Jahrhunderten von Philosophen und Mystikern entwickelt wurden. Wenn die islamische Theologie nicht in einer Liga mit evangelikalen Erweckungspredigern spielen, sondern ernsthaft wissenschaftliche Theologie betreiben möchte, dann muss sie sich den Herausforderungen stellen, die die moderne wissenschaftliche Forschung zur Religionsgeschichte aufwirft. Alttestamentler und Archäologen wie Thomas Thompson, Philip Davies, Niels Peter Lemche oder Israel Finkelstein haben uns in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass wir Abraham, Moses und manche anderen biblischen und koranischen Gestalten aus der Liste der real existierenden historischen Personen streichen können. Solche Erkenntnisse fordern eine Weiterentwicklung der Hermeneutik des Koran, eine neue Beschäftigung mit dem Offenbarungsbegriff und neue Ansätze einer islamischen Theologie der Religionen. Hier kann man insbesondere auf Ansätzen der muslimischen Philosophen und Mystiker aufbauen.

Was die Geschichte des Islam angeht, muss ebenfalls kritisch gedacht werden. Das erste und zweite Jahrhundert der islamischen Zeitrechnung haben uns nur wenige Quellen hinterlassen. Die Rekonstruktion der Geschichte der ersten beiden islamischen Jahrhunderte erfolgt hauptsächlich durch Quellen aus dem dritten und vierten Jahrhundert der islamischen Zeitrechnung. Auch hier aber kann man auf eigene, innerislamische kritische Methoden im Umgang mit Überlieferung zurückgreifen, die es weiterzuentwickeln gilt.

Die islamische Welt steckt in einer tiefen Krise. Diese Krise ist zum Teil selbst verschuldet und kann nur überwunden werden, wenn in der islamischen Welt im islamischen Denken Veränderungen passieren. Wenn morgen die Vereinigten Staaten sich plötzlich völlig aus der Weltpolitik zurückziehen würden, würde das Chaos in der islamischen Welt nicht enden, denn die eigentlichen Ursachen der Krise liegen eben auch in der islamischen Welt selbst. Nur wenn die Muslime dies erkennen und nicht ständig die Verantwortung auf andere schieben, wird es ihnen gelingen, aus der Krise herauszukommen. Das islamische Denken braucht eine Erneuerung.

Tatsache ist aber auch, dass die USA diese Krise der islamischen Welt bis jetzt immer dazu genutzt haben, ihre Interessen auf Kosten der Menschen in der islamischen Welt durchzusetzen. Jede den USA freundlich gesonnenen Diktatur wurde und wird von den USA unterstützt. Saddam Hussein wurde von den USA unterstützt und niemand störte sich an seinen Menschenrechtsverletzungen, bis er sich gegen die USA wandte. Die Taliban, jene fanatische Gruppe, die geradezu zum Symbol einer islamistischen Unrechtsherrschaft geworden ist, hat in Afghanistan nur deshalb jemals die Macht übernehmen können, weil die USA sie aufgebaut haben. Wenn die USA heute über Saddam Hussein oder die Taliban richten, dann richten sie über ihre eigenen Kreaturen und damit über sich selbst!

Die USA sind eine Weltmacht mit widersprüchlichen Tendenzen. Nach innen betrachtet sind die USA ein Rechtsstaat, der bis jetzt immer wieder gezeigt hat, dass er über erstaunliche Selbstreinigungskräfte gegenüber Kräften verfügt, die dies ändern wollten. Es gibt viele Muslime, die in den USA leben und selbst viele Muslime, die gerne über die USA schimpfen, geben oft zu erkennen, dass sie eigentlich nicht ungern dort leben würden. An amerikanischen Universitäten lehren einige bedeutende muslimische Theologen. Man kann als ein radikaler Kritiker amerikanischer Politik, wie etwa Noam Chomsky, in Amerika leben. Die amerikanische Gesellschaft und das amerikani sche Rechtssystem verfügen über einige Aspekte, die man nur als ausgesprochen positiv bewerten kann.

Diese freiheitliche und rechtsstaatliche amerikanische Gesellschaft baute aber auch auf, auf der Vernichtung und Ausrottung ihrer Ureinwohner und war lange Zeit eine Sklavenhaltergesellschaft. Die Nachfahren der afrikanischen Sklaven und der indianischen Ureinwohner werden bis heute benachteiligt. In dieser amerikanischen Gesellschaft gibt es eine mächtige Gruppe christlicher Fundamentalisten, die mittlerweile auch mit an der Regierung sitzt und amerikanische Politik beeinflusst. Dies sind Leute, deren Obskurantismus sich von dem der Taliban nicht unterscheidet, wie in den letzten Monaten die Kreationismusdebatte noch einmal deutlich gemacht hat. Leute wie Pat Robertson, der öffentlich zur Ermordung eines ausländischen Staatschefs aufgerufen hat, dokumentieren, dass es sich dabei nicht um eine Gruppe harmloser Frömmler handelt, sondern um gewaltbereite Fundamentalisten, die den Krieg als Mittel ihrer Politik betrachten und auch innenpolitisch nehmen sie sich das Recht zur religiösen Selbstjustiz, wie die Ermordung von Ärzten durch fundamentalistische Abtreibungsgegner zeigt. Die christlichen Fundamentalisten in den USA haben deutlich zu verstehen gegeben, dass sie die amerikanische Verfassung in ihrer jetzigen pluralistischen Offenheit ablehnen und ändern würden, wenn sie dazu in der Lage wären.

Die amerikanische Außenpolitik hat stets mit jeder Diktatur zusammengearbeitet, wenn dies den wirtschaftlichen Interessen der USA diente. Sie nehmen sich das Recht heraus, unter Bruch des Völkerrechts jeden Staat anzugreifen, der ihnen missliebig ist und sie entziehen sich einer internationalen Strafjustiz. Es ist diese verlogene Doppelmoral, die die Muslime in aller Welt aufregt und den fundamentalistischen Verführern neue Anhänger zutreibt. Weil die USA und ihre Verbündeten Demokratie und Menschenrechte oft als Vorwand zu eigennützigen Aktionen missbrauchen, haben radikale Islamisten leichtes Spiel, Demokratie und Menschenrechte als westlichen Betrug zu brandmarken. Wer Demokratie und Menschenrechte als mit dem Islam vereinbar betrachtet, wird als verwestlicht betrachtet.

Doch die Mehrheit der Iraker wie auch der Muslime in aller Welt hat deutlich erklärt, dass sie sich über die Befreiung von der Diktatur Saddam Husseins freut und die Chance zu einem demokratischen Neuanfang begrüßt. Die Iraker und die Muslime in aller Welt sehen aber auch, worum es den USA wirklich geht und sie sehen, wie bereits der nächste Krieg gegen den Iran vorbereitet werden soll. Dass Ahmedinedschad ein Wirrkopf ist und das iranische Regime erhebliche Defizite an Menschenrechten und Demokratie aufzuweisen hat (allerdings weniger als ein so aufrichtiger Verbündeter des Westens wie Saudi-Arabien), soll hier überhaupt nicht bestritten werden. Vor ihm regierte Khatami, dessen Öffnungskurs und Annäherungsversuche von amerikanischer Seite überhaupt nicht gewürdigt wurden, was zwangsläufig die radikalen Kräfte stärken musste, die seit jeher die Auffassung vertreten haben, dass der Westen von der islamischen Welt nur die totale Unterwerfung akzeptiert und dass Öffnung daher sinnlos ist. Man kann sich in der Tat des Eindrucks nicht erwehren, dass dies tatsächlich so ist und dass die USA geradezu glücklich darüber sind, nun Ahmedinedschad an der Regierung im Iran zu sehen, der ihnen die Vorwände liefert, um militärisch eingreifen zu können.

Mir scheint, dass es auf beiden Seiten massive Kräfte gibt, die eine Konfrontation anstreben. Es gibt radikal-islamistische Kräfte, die unbedingt gegen den Westen kämpfen und ihre Vorstellung eines islamischen Staates verwirklichen wollen. Diese Kräfte sind undemokratisch und antipluralistisch. Sie propagieren eine islamische Gesinnungsdiktatur ohne demokratische Legitimation und Meinungsfreiheit und fordern unentwegt Verständnis für ihre Positionen, ohne sich Gedanken über die Sichtweise der Anderen zu machen. Umgekehrt gibt es auf westlicher Seite Kräfte, denen sehr daran gelegen ist, einen Unruheherd im Nahen Osten zu haben und denen nach dem Wegfall des Ostblocks das Feindbild Islam willkommen ist. Auch hier wird ganz selbstverständlich aus einer rein westlichen Perspektive argumentiert, ohne sich über die Sichtweise der Anderen Gedanken zu machen. Wenn westliche Politiker über westliche Interessen etwa in der Golfregion reden, dann wird dies ganz selbstverständlich und ohne jede Verwunderung hingenommen. Warum eigentlich? Man stelle sich einmal vor, der iranische Außenminister würde über iranische Interessen in der Nordsee reden! Jeder würde dies als absurd empfinden, doch die westlichen Interessen im Golf sind in Wirklichkeit nicht minder absurd. Hinter dieser simplen Redeweise steckt eine Denkweise, die mit Selbstverständlichkeit davon ausgeht, dass der Wohlstand der westlichen Welt um jeden Preis gewahrt werden muss und darf. Es ist sozusagen westliches Öl, das bedauerlicherweise unter arabischem Sand liegt.

Es gibt aber auch auf westlicher wie islamischer Seite Politiker, Wissenschaftler, Journalisten, Geschäftsleute und vor allem große Bevölkerungsteile, die keinen Konflikt und erst recht keinen Krieg wollen. Der Kampf der Kulturen, scheint mir daher längst nicht zwangsläufig zu sein, auch wenn mancher das gerne so hätte.


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Der Autor

MUHAMMAD KALISCH

Prof. Dr., Jhg. 1966; 1. Juristisches Staatsexamen 1994 (Universität Hamburg); 1997 Promotion am Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Technischen Hochschule Darmstadt, Titel der Doktorarbeit "Vernunft und Flexibilität in der islamischen Rechtsmethodik"; 
2. juristisches Staatsexamen 1998 (Universität Hamburg); bis 2001 selbstständiger Rechtsanwalt in Hamburg; 2002 Habilitation im Fach Islamwissenschaft an der Universität Hamburg; Verleihung der Lehrbefugnis als Privatdozent für das Fach Islamwissenschaft (Universität Hamburg); seit 2004 ordentlicher Universitätsprofessor für "Religion des Islam" am Centrum für Religiöse Studien der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

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