Deutsche Bibliothek
ISSN 1612-7331
Anmeldung Abonnement Online-Extra Pressestimmen Leserstimmen Über COMPASS Archiv





anzeige


Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit

Deutscher Koordinierungsrat

Über 80 Gesellschaften haben sich im DKR zusammengeschlossen.

Besuchen Sie unsere Homepage:

Koordinierungsrat





ONLINE-EXTRA Nr. 263

November 2017

Als er kürzlich in einem Interview nach dem Ursprung des Antisemitismus befragt wurde, antwortete der jüdische Publizist Henryk M. Broder:
"Der Antisemitismus und der Antizionismus ist Teil der europäischen DNA. Es gab ihn immer, es gibt ihn immer noch und es wird ihn weiter geben. Er wechselt nur sein Kostüm."

Man mag Broders skeptische Beurteilung des Antisemitismus als einem gewissermaßen biologisch verankertem Übel des europäischen Menschen teilen oder nicht. Interpretiert man sein biologistisches Bild vom Antisemitismus als "Teil der eruopäischen DNA" in metaphorischem Sinne, kommt man doch dem recht nahe, was auch schon angesehene Historiker, wie etwa die israelischen Antisemitismus- und Holocaust-Forscher Yehuda Bauer und Saul Friedländer zum Ausdruck brachten, wenn sie davon sprachen, dass der Antisemitismus in die Tiefengrammatik der europäischen Mentalität eingegangen sei.

Die Autorin des heutigen ONLINE-EXTRA, die Antisemitismusforscherin und Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel, formuliert es im Blick auf ihr Thema - den literarischen Antisemitismus - zu Beginn des nachfolgenden Beitrags wie folgt:
"Kollektive  Gefühle hatten und haben massgeblich Einfluss auf die Art und Weise, wie Juden mental konzeptualisiert sowie verbal bewertet wurden ( und werden) – insbesondere im Bereich der schöngeistigen Literatur. Hier zeigt sich deutlich, dass Judenfeindlichkeit keineswegs nur aus rassistischen, nationalistischen oder sozialdarwinistischen Gründen gespeist und stets bewusst als  Judenhass kodiert sein muss, sondern dass es sich um ein kulturell verankertes Phänomen handelt, das auch nicht intentional artikuliert wird und dennoch bzw. gerade deshalb genauso gefährlich und nachhaltig auf das kollektive Bewusstsein einwirkt..."

In ihrem Beitrag, der auf einem gekürzten und überarbeiteten Vortrag im Rahmen der interdisziplinären Fachtagung „Emotionen des Antisemitismus“ des Alfried Krupp Wissenschaftskollegs am 4.7.2017 in Greifswald basiert, geht sie diesem "kulturell verankerten Phänomen" des Antisemitismus in der Literatur nach und erläutert es anhand einiger einschlägiger Beispiele: "Literarischer Antisemitismus: Judenfeindschaft als kultureller Gefühlswert".

Ihr Beitrag wurde online zuerst Anfang September diesen Jahres im schweizer Internet-Portal "Audiatur" publiziert und erscheint heute an dieser Stelle als ONLINE-EXTRA dankenswerter Weise mit freundlicher Genehmung von Audiatur.


© 2017 Copyright der Übersetzung bei "Adiatur online"
online für ONLINE-EXTRA



Online-Extra Nr. 263


Literarischer Antisemitismus:
Judenfeindschaft als kultureller Gefühlswert


MONIKA SCHWARZ-FRIESEL


Ein Blick auf die „Kulturgüter“ des Abendlandes offenbart stets eines: Dass das judenfeindliche Ressentiment kein Vorurteil unter vielen war und ist, sondern ein historisch unikales und im kollektiven Bewusstein verankertes  Glaubenssystem, und als solches ein  Phänomen der Weltdeutung. Antisemitisches Gedanken- und Gefühlsgut zeigt sich im 19. Jahrhundert nicht nur in Schriften der politischen Agitation und alltäglichen Diskriminierungskommunikation: Judeophobe Referenzialisierungen mit hohem Emotionspotenzial prägen auch massgeblich die Sphäre von Kunst und Literatur. Für die Erklärung des Phänomens der Judenfeindschaft spielen emotional geprägte Einstellungen eine herausragende Rolle. Kollektive  Gefühle hatten und haben massgeblich Einfluss auf die Art und Weise, wie Juden mental konzeptualisiert sowie verbal bewertet wurden ( und werden) – insbesondere im Bereich der schöngeistigen Literatur. Hier zeigt sich deutlich, dass Judenfeindlichkeit keineswegs nur aus rassistischen, nationalistischen oder sozialdarwinistischen Gründen gespeist und stets bewusst als  Judenhass kodiert sein muss, sondern dass es sich um ein kulturell verankertes Phänomen handelt, das auch nicht intentional artikuliert wird und dennoch bzw. gerade deshalb genauso gefährlich und nachhaltig auf das kollektive Bewusstsein einwirkt (wie gerade in diesen Tagen die verbal-antisemitische Aufforderung eines Schweizer Hotels an seine jüdischen Gäste gezeigt hat).


Antisemitismus und Emotionen: eine untrennbare Symbiose


Antisemitismus kann – als abendländisches Ressentiment – nicht ohne seine starke Gefühlsbasis verstanden werden, wie alle Korpusanalysen sowohl zu historischen als auch aktuellen judenfeindlichen Texten belegen. Emotionen stellen in erster Linie Bewertungssysteme dar: Jede Emotion beinhaltet Aktivierungen von bewertenden Urteilen. Entsprechend habe ich Judenfeindschaft als „kulturellen Gefühlswert“ bezeichnet, der tief im kollektiven Gedächtnis verankert ist. Dieser Gefühlswert hat als konzeptuellen Kern die Repräsentation ‚Juden als den Anderen/die Üblen‘ und emotional eine intensive Negativbewertung, die vom Hass gespeist wird. Als solcher hat er massgeblich nicht nur den Alltag und die Politik im Umgang mit Jüdinnen und Juden, sondern auch viele Kunstwerke der vergangenen Jahrhunderte geprägt. Da emotionale Aktivierungen sich – anders als kognitiv-rationale Prozesse – den Prinzipien des Verstandes und der Vernunft oft widersetzen, sind sie resistent gegenüber Fakten, Aufklärung und Argumentation. Daher ist der antisemitische Gefühlswert trotz der Auschwitzaufarbeitung nachwievor eine in weiten Teilen der Geselschaft unerschütterliche  Konstante, die je nach Situation re-aktiviert wird, sei es bewusst, sei es unbewusst als Klischee-Kodierung (wie z.B. 2015 im Petrenko-Fall, als in einem Text von NDR Kultur als Stilmittel der Kontrastierung die Gegenüberstellung des germanischen Recken Wotan und des“ jüdischen Gnoms“ Alberich  benutzt wurde).

In vielen literarischen Texten stellen Gefühle ein wesentliches Charakteristikum der jeweiligen fiktiven Textwelt dar;  und von vielen Dichtern, Schriftstellern und Wissenschaftlern werden Emotionsmanifestationen als zentrales Bestimmungsmerkmal von Literatur und Kunst angesehen.  Die Wirkung  literarischer Texte hängt massgeblich von ihrem Emotionspotenzial  ab: Auf allen sprachlichen Ebenen lassen sich Einheiten und Strukturen identifizieren, die Gefühle  kodieren. Es sind aber nicht nur explizite Sprachstrukturen, die emotionsausdrückend und -konstituierend sind, sondern auch die spezifische Interaktion von Referenz, Über- oder Unterspezifikation (also ein Mehr oder weniger an Informationen zur Realitätsabbildung) und Informationsstruktur des gesamten Textes. Insbesondere die impliziten emotionsbasierten Bewertungen  spielen dabei  eine entscheidende Rolle. Wenn beispielsweise in einem Roman immer wieder betont wird, wie schmutzig die Räume sind, in denen sich Juden aufhalten,  kommt der Leser automatisch zur Bewertung, dass Juden und Schmutz assoziiert seien. So z.B. in Dickens Oliver Twist (S. 39): „Die Wände des Raumes waren von Schmutz und Rauch geschwärzt“  – hier werden auch die Gegenstände, die die jüdischen Figuren in ihren Händen halten, fast ausschliesslich als „schmutzig“ bezeichnet: „In der Gaststube war niemand anwesend ausser einem jungen Juden, der in einem schmutzigen Zeitungsblatt las“.


Bücher von MONIKA SCHWARZ-FRIESEL



            



Literarischer Antisemitismus: die narrative Normalität

Während bei Sach- und Fachtexten sowie Gebrauchstexten  die emotionale Dimension von eher geringer Bedeutung ist, spielt die Evozierung von Gefühlen bei literarischen Texten folglich eine herausragende Rolle. Viele Werke erzeugen über figurenbezogene Emotionsmanifestationen Empathie beim Leser, andere Spannung oder Ekel und  Wut.  Unter literarischen Antsiemitismus subsumiere ich alle Formen des fiktiven Text-Genres, in denen intentional oder nicht-intentional judenfeindliche  Stereotype kodiert und negative Gefühle vermittelt werden. Die fiktive Textwelt vermittelt also Konzeptualisierungen, in denen Juden und Judentum mittels pejorativer Zuschreibungen gezeichnet werden. Im Gegensatz zu antisemitischen Pamphleten, Predigten, Artikeln usw. ist das Thema der Werke nicht notwendigerweise mit Juden und Jüdinnen assoziiert. Weder die narrativen Makro- noch die Mikrostrukturen des Textes  müssen jüdisches Leben im Fokus haben. Die Analyse  einiger bekannter und einflussreicher Romane des 19. Jahrhunderts, die  primär andere Hauptthemen haben,  zeigt aber, dass deren Antagonisten und/ oder auch deren Neben-Figuren so repräsentiert werden, dass zwangsläufig eine antisemitische Lesart entsteht. Dabei ist hervorzuheben, dass die Produzenten dieser Texte  keine überzeugten und obsessiven Antisemiten waren –  (wie viele ihrer Zeitgenossen, die sich auch politisch aktiv gegen Juden einsetzten und öffentlich aussprachen) –  deren Werke aber, dem Zeitgeist gemäss, Verbal-Antisemitismen als normale und übliche Kodierungen enthalten.

Zu diesen Werken gehören u.a. Literatur-Klassiker wie die deutschsprachigen Romane „Soll und Haben“ von Gustav Freytag und „Der Hungerpastor“ von Wilhelm Raabe sowie der berühmte englische Jugend-Roman von Charles Dickens „Oliver Twist“ oder „Das Bildnis des Dorian Gray“ von Oscar Wilde.

Dabei kommen „böse Juden“ als Antagonisten wie in Raabes Hungerpastor (der Moses Freudenstein ) oder Dickens Oliver Twist (die Figuren Fagin und Sikes) vor und dominieren damit die gesamte Makrostruktur des Textweltmodells durch einen Dualismus, der gut und böse  als moralische Kategorien sehr genau und unzweideutig aufteilt (und zwar zu Ungunsten der jüdischen Figuren). Oft sind es aber auch die für narrative Struktur und Textwelt ganz marginalen Randfiguren, die als ‚Juden‘ kodiert und negativ entwertet werden, und die dem Werk das kulturell geprägte antisemitische  Konzeptualisierungsmuster geben und den zeitgemässen Gefühlswert vermitteln (wie bei Wildes Dorian Gray, s. weiter unten).


Der Topos des bösen und hässlichen Juden

Bilder von Juden als Spekulanten und Wucherer, als böse und hässliche Ganoven, als herzlose, kalte Geschäftsleute oder zersetzende, unmoralische Intellektuelle finden sich in zwei im 19. Jahrhundert viel gelesenen Romanen der an sich liberal gesinnten Autoren Gustav Freytag („Soll und Haben“) und Wilhelm Raabe („Der Hungerpastor“). Dort fungieren explizit als jüdisch gekennzeichnete Figuren als Gegenspieler der als moralisch integer und verantwortungbewusst charakterisierten  Protagonisten; Der Jude Itzig Veitel wird bei Freytag folgendermassen dargestellt:„Es war das Gesicht eines Teufels, … rotes Haar stand borstig in die Höhe, Höllenangst und Bosheit sass in den hässlichen Zügen.“ (Soll und Haben, 386)

In dieser Charakterisierung verschmelzen typisch antisemitische Stereotype, die sich auf angenommene äussere und innere Eigenschaften von Juden beziehen, subsumierbar unter das Konzept des körperlich wie seelisch verkommenen Juden, dies noch intensiviert durch die Dämonisierungs-Teufel-Metapher.

Die Wohnung des Juden Ehrenthal, eher eine Randfigur, wird mittels einer Personifikation als charakterlos bezeichnet und der explizite Vergleich mit der Zigeunerin knüpft an das Stereotyp des Fremden, des Heimatlosen an (Gustav Freytag, Soll und Haben, 175 f.): „Es war kein guter Charakter in dem Hause, wie eine alte Zigeunerin sah es aus.“ Zudem wird über eine Implikatur die Geschmacklosigkeit seiner Familie betont, die über die Refenzialisierung des Wandschmuckes evoziert wird:  „… und die zahlreichen schlechten Ölbilder an den Wänden“. Ehrenthas Tochter erscheint als lüsterne Nymphe, die anständige Christenmenschen verführen will und deren grosse Schönheit nicht ohne Hinweis auf die entsprechenden Stereotype vom jüdischen Aussehen beschrieben wird: „… rabenschwarze Hängelocken … grosse edle Gestalt mit glänzenden Augen … mit einer nur sehr wenig gebogenen Nase…“ (Gustav Freytag, Soll und Haben, 38). Jüdisches Geschäftsleben wird mittels metphorischer Projektion ins Tierleben als einflussreiche, unheimliche Grösse gezeichnet:    „… und in dem Viereck … windet sich aalglatt der jüdische Faktor hindurch …“ (Gustav Freytag, Soll und Haben, 490).

Auch in Raabes „Hungerpastor“ werden Protagonist Hans Unwirsch und Antagonist Moses Freudenstein kontinuierlich mittels kontrastierender und  polarisierender Darstellungen beschrieben. Die folgende Textsstelle  ist hierfür ein prägnantes Beispiel, wobei das mittelalterliche Motiv von Juden als Teufel  aktiviert wird: „Rührend war die ehrfurchtsvolle Scheu, welche Hans … wahrhaft diabolisch aber war die Art und Weise, in welcher Mose … diesem Glauben an die Autorität ein Bein zu stellen suchte.“ (Wilhelm Raabe, Der Hungerpastor, 137): Bezeichnend ist auch, dass der gutmütige, sensible Protagonist die erste intensive Negativemotion seines Lebens in Bezug auf den konvertierten Moses empfindet, der mit stark negativ bewertenden Lexemen, die typisch judeophobe Stereotype ausdrücken, bezeichnet wird: „Hans Unwirsch fühlte zum ersten Mal in seinem Leben, was der Hass sei; er hasste die schlüpfrige, ewig wechselnde Kreatur, die sich einst Moses Freudenstein nannte, von diesem Augenblick an mit ganzer Seele.“ (Wilhelm Raabe, Der Hungerpastor, 295)

Mit der Phrase „schlüpfrige, ewig wechselnde Kreatur“ findet sich – ähnlich wie bei Freytag – die tradierte Konzeptualisierung von Juden als unbeständigen, nicht zu vertrauenden Wesen, wobei die Charakterisierung durch „Kreatur“ eine dehumanisierende Lesart aktiviert. Dass die Emotion Hass fokussiert wird, ist kein Zufall: Bis heute ist dieses Gefühl das im antisemitischen Diskurs vorherrschende; Hass war stets und ist bis heute die Treibfeder des Antisemitismus.

In beiden Romanen finden sich ähnliche Beschreibungen, die auf dieselben semantischen Felder zurückgreifen: Fokussiert ist das Dämonische (vgl. Gesicht eines Teufels und diabolisch), das Unberechenbare (vgl. aalglatt und schlüpfrig), das Undeutsche (so wird in beiden Romanen das Jiddische der jüdischen Personen nachgeahmt und deren fremdländisches Aussehen betont). Im 19. Jahrhundert ist diese Perspektive das Normale und auf allen Ebenen der Gesellschaft und in allen Textsorten (Predigten, Postkarten, Spottgedichte, Parteiprogramme usw.) anzutreffen.

Im englischsprachigen „Oliver Twist“ von Charles Dickens finden sich – fast identisch wie in den deutschen Romanen – die  antisemitischen Referenzialisierungen von Aussehen und Charakter der jüdischen Figuren, die die Rolle der antagonistischen Bösewichte in der  Textwelt besetzen und dabei stets mit Schmutz und Hässlichkeit assoziiert werden:  „und am Kamin lehnte die zusammengeschrumpfte Gestalt eines alten Juden. Er hatte ein spitzbübisches Gesicht und dichtes rotes Haar.“ …  „Fagin klingelte, und es erschien ein anderer Jude, jünger als er, aber ebenso hässlich.“ So transportieren auch die der Geschichte neben- und untergeordneten Informationen kontinuierlich anti-jüdische Wertungen.

In Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“ werden jüdische Randfiguren ausschliesslich negativ mit den einschlägigen Stereotyp-Attributen ‚Schmutz, Schmierig, Geschmacklos-Neureich‘ repräsentiert, wobei durch die unbestimmte Nominalphrase „ein grässlicher Jude“ durch das Kopfnomen Jude nahegelegt wird, dass die beschriebenen Eigenschaften typisch für alle Juden seien, also eine ent-individualisierte allgemeine Lesart entsteht.   „Ein grässlicher Jude in dem erstaunlichsten Rock, den ich je in meinem Leben sah, stand am Eingang und  rauchte eine schlechte Zigarre. Er hatte fettige Ringellocken, und ein riesiger Diamant glitzerte auf der Mitte seines schmutzigen Hemdes." (Das Bildnis des Dorian Gray, 45).  Dieser pejorativen Referenz folgt unmittelbar noch zusätzlich die explizite affektive Bewertung:  „Es war grotesk scheusslich.“ Der reiche Schurke, der die naive und unschuldige Christin Sibyl in Abhängigkeit hält (und damit an ein uraltes judenfeindliches Stereotyp anknüpft),  hat den proto-typisch jüdischen Namen „Mr. Isaacs“. E wird eingeführt als  „der fette jüdische Direktor, den sie am Tore trafen, strahlte übers ganze Gesicht mit einem öligen, hin und her zuckenden Lächeln“, wobei selbst das Lächeln (sonst eher ein Kennzeichen der Freundlichkeit)  als falsch und unbeständig konzeptualisiert wird. Kritik und Abscheu gegenüber diesem Typus des (neu)reichen, geschmacklosen Emporkömmlings spiegeln sich nicht nur in der referenziellen Sachverhaltsbeschreibung, sie wird noch verstärkt durch das explizit bekundete Gefühl der Text-Welt-Figur: „Er geleitete sie mit einer Art prahlerischer Unterwürfigkeit bis zu ihrer Loge, bewegte die fetten, juwelenglänzenden Hände eifrig hin und her und sprach in seinen höchsten Tönen. Dorian Gray empfand mehr als je Widerwillen gegen ihn.“  Dabei ist zu erwähnen, dass Juden in anderen fiktiven Werken (oder auch in dem Grimmschen Märchen  „Der Jude im Dorn“ ) oft gar nicht als individuelle Figuren erwähnt werden, sondern namenlos lediglich als Typus und mit generischer Lesart  als  „der Jude“ bezeichnet werden. Sie verkörpern so das Prinzip des  Bösen schlechthin  – auch dies bis heute ein Grundbaustein des antisemitischen Weltbildes, der sich aktuell besonders ausgeprägt in der Dämonisierung des jüdischen Staates zeigt.



anzeige


http://www.audiatur-online.ch


Audiatur et altera pars – man möge auch die andere Seite hören! Das ist unser Leitmotiv.



Die Berichterstattung in den Schweizer Medien über Israel und den Nahen Osten hat sich in den letzten Jahren verhärtet, ist einseitiger und unausgewogener geworden – auf Kosten von Israel. Audiatur-Online will zur konstruktiven Auseinandersetzung mit diesem Thema beitragen. Wir publizieren Zusammenhänge, Analysen und Hintergrundinformationen, die andere weglassen und korrigieren Fehler. Wir sind überzeugt, dass nur eine ehrliche Debatte zu Israel und dem Nahen Osten möglich und zielführend ist, wenn alle Seiten angehört werden. Es braucht Fakten, nicht nur Meinungen.

Audiatur-Online richtet sich an all jene, die an einem informativen und ehrlichen Dialog interessiert sind und eine einseitige Darstellung ablehnen. Es ist unser Anliegen, ein faires  Bild Israels zu vermitteln und einen Mehrwert für die Meinungsbildung zu schaffen.
Im Sinne einer breit abgestützten Debatte kommen auch Gastautorinnen und Gastautoren zu Wort.
Die auf Audiatur-Online veröffentlichten Beiträge geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der Audiatur-Stiftung wieder, sondern bieten vielmehr einen Einblick in die politische Diskussion zu Israel und dem Nahen Osten.

Zur Information lesen Sie auch unsere Brochure (PDF).




Audiatur-Online ist eine politisch und konfessionell unabhängige Plattform der Audiatur-Stiftung.



Fazit: die ungebrochene Wirkung des judeophoben Ressentiments

Judeophobe Stereotype, die über die Manifestationsformen der Sprache seit Jahrhunderten weitergegeben werden, finden sich auch in zahlreichen Romanen, die heute als Literatur-Klassiker gelten. Im 19. Jahrhundert ist das Konzept des geld- und machtgierigen, physisch wie moralisch hässlichen Juden ein gängiger Topos, der sich als kulturell verankertes Ressentiment und kommunikatives Muster auch in der schöngeistigen Literatur (des liberal gesinnten  Bildungsbürgertums) niederschlägt. Die literarischen Werke kodieren ohne kritische Reflexion anti-jüdische Konzeptualisierungen mit einem besonders intensivem Emotionspotenzial und machen transparent, dass Judenfeindschaft ein abendländischer  Gefühlswert ist, der bedenkenlos – und in seiner Normalität als gängiges Stilmittel zur polarisierenden Darstellung  von Romanfiguren  – in die fiktiven und ästhetischen Narrative einfliesst. Das Konzept des Anderen, des absoluten Feindes, des verkommenen Bösen findet künstlerisch in der Figur des jüdischen Antagonisten seinen belletristischen Ausdruck. Es ist eine Konzeptualisierung, die ohne Ausnahme alle Sphären des sozialen, politischen und kulturellen Lebens durchdringt und im 20. Jahrhundert in Radikalform die ideologische Basis für die eliminatorischen Aktivitäten der Nationalsozialisten ist.

Dass der Einfluss solcher kulturhistorischer Antisemitismen bis heute – trotz aller Aufklärungsarbeit nach dem Holocaust – ungebrochen wirkt, zeigen alle empirischen Korpus-Analysen der letzten 15 Jahre. Die klasssische Judenfeindschaft, sie ist keineswegs auf dem Rückzug oder in der aktuellen Kommunikation kaum noch anzutreffen (wie in letzter Zeit öfters zu lesen oder zu hören ist): Die klassischen Stereotype und die intensiven Gefühle, auf denen das judeophobe Ressentiment basiert, sie wirken ungebrochen weiter. Antisemitismus ist keine Menschenfeindlichkeit, sondern ausschliesslich Judenfeindschaft. Das Chamäleon Antisemitismus verändert im Wandel der Zeit sich anpassend nur seine äusseren Erscheinungsformen, seine Inhalte aber bleiben.



Die Autorin

MONIKA SCHWARZ-FRIESEL

studierte von 1982 bis 1987 deutsche und englische Philologie sowie pädagogische Psychologie an der Universität zu Köln; Promotion 1990; 1987 bis 1991 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für deutsche Sprache und Literatur; 1991-1994 Lehrbeauftragte an der Universität zu Köln sowie Lehr- und Prüfungsbeauftragte für Linguistik/Psycholinguistik an der staatlichen Lehranstalt für Logopädie (Köln) sowie Stipendiatin der DFG (Post-Doktorandenstipendium); Forschungsaufenthalte als „visiting scholar“ am Centre for Cognitive Science (Edinburgh) und am MPI für Psycholinguistik (Nijmegen); 1996-1998 Habilitationsstipendiatin der DFG und Lehrbeauftragte an der Universität zu Köln; 1998 Habilitation; 1998-2000 Vertretung einer C3-Professur für Germanistische Sprachwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena; 2000-2010 Professur für Germanistische Sprachwissenschaft Friedrich-Schiller-Universität in Jena (2002-2004 Institutsdirektorin); seit 2010 Lehrstuhl für Allgemeine Linguistik; Leiterin des FG Linguistik an der Technischen Universität Berlin. 2014 Verleihung der Würde eines Dr. h.c. durch die Universität Debrecen (Ungarn).


Probe-Abonnement

Kennen Sie schon die tagesaktuellen Ausgaben von
COMPASS-Infodienst?

COMPASS liefert zwei- bis dreimal wöchentlich
Links zu top-aktuellen Beiträgen
aus folgenden Themenbereichen:


Nahost/Israel, Gedenken und Erinnern, Antisemitismus, Rechtsradikalismus, multikulturelle Gesellschaft, christlich-jüdischer und interreligiöser Dialog, jüdische Welt. Ergänzt von Rezensionen und Fernseh-Tpps!


 
Infodienst

! 5 Augaben kostenfrei und unverbindlich !
Bestellen Sie jetzt Ihr Probeabo:

» Home | » Impressum | » Online-Extra | » Pressestimmen | » Leserstimmen | » COMPASS-Service | » Archiv
   
   

 

 







COMPASS-Service

Diesen Beitrag ...

können Sie

per Mail bestellen:
redaktion@compass-infodienst.de
Betreff: 
Literarischer Antisemitismus

oder

als pdf-Datei herunterladen
download
(rechte Maustaste: "Ziel speichern unter")



Probe-Abonnement

COMPASS liefert zweimal wöchentlich Links zu top-aktuellen Beiträgen aus den Themenbereichen:

Nahost/Israel, Gedenken und Erinnern, Antisemitismus, Rechtsradikalismus, multikulturelle Gesellschaft, christlich-jüdischer und interreligiöser Dialog, jüdische Welt. Ergänzt von Rezensionen und Fernseh-Tpps!


Infodienst
- 5 Ausgaben unverbindlich und kostenfrei -



COMPASS-Service

Diesen Beitrag ...

können Sie

per Mail bestellen:
redaktion@compass-infodienst.de
Betreff: 
Literarischer Antisemitismus

oder

als pdf-Datei herunterladen
download
(rechte Maustaste: "Ziel speichern unter")



Probe-Abonnement

COMPASS liefert zweimal wöchentlich Links zu top-aktuellen Beiträgen aus den Themenbereichen:

Nahost/Israel, Gedenken und Erinnern, Antisemitismus, Rechtsradikalismus, multikulturelle Gesellschaft, christlich-jüdischer und interreligiöser Dialog, jüdische Welt. Ergänzt von Rezensionen und Fernseh-Tpps!


Infodienst
- 5 Ausgaben unverbindlich und kostenfrei -