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ONLINE-EXTRA Nr. 280

Januar 2019

Das mitunter von allen gesellschaftlichen und moralischen Gepflogenheiten losgelöste antisemitische, fremdenfeindliche und rechtsextreme Wüten und Toben auf diversen Platformen im Internet ist seit geraumer Zeit ein ebenso erschreckendes wie beängstingendes Phänomen. Im Kontext des Antisemitismus zeigt sich dieses Phänomen analog zur realen Welt auch im virtuellen Bereich vor allem dort, wo die israelische Politik und der Nahost-Konflikt als scheinbar willkommene Folie dient, um unter dem Deckmantel vermeintlich legitimer Kritik an Israel judenfeindliche Stereotype neu zu beleben und anzufeuern. Schon mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass hierbei antisemitische und antizionistische Haltungen im weitgehend sanktionsfreien Raum des Internets immer öfter auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft angekommen seien.

Ende letzten Jahres erschien eine wissenschaftliche Studie, die vor diesem Hintergrund von besonderem Interesse sein könnte. Matthias Jakob Becker beschäftigte sich in seiner Arbeit "Analogien der 'Vergangenheitsbewältigung'. Antiisraelische Projektionen in Leserkommentaren der Zeit und des Guardian" mit der Frage, inwiefern ein antisemitischer Sprachgebrauch auch jenseits rechtsextremer oder islamistischer Milieus um sich greift. Zu diesem Zweck analysierte Becker mehr als 6.000 Leserkommentare auf den Webseiten der linksliberalen Zeitungen „Die Zeit“ und „The Guardian“, mithin also Medien, deren Lesern man nicht von vorneherein eine stringent antisemitische Mentalität unterstellt. Der Fokus von Beckers Analyse lag dabei auf der sprachlichen Beschaffenheit jener Äußerungen, mit welchen Israel einerseits mit NS-Deutschland, andererseits mit Großbritannien während der Ära des Kolonialismus verglichen wurde - und welche kommunikativen Funktionen diese Vergleiche innerhalb beider gesellschaftlicher Millieus potenziell erfüllen.

In nachfolgendem Beitrag skizziert Becker das Problem, entwickelt seine Fragestellungen vor diesem Hintergrund und beschreibt seinen methodischen Zugriff. Wer sich mit der so entfalteten Thematik, die innerhalb der Felder Linguistik, Internet- und Antisemitismus- und Nationalismusforschung verortet werden kann, näher auseinandersetzen will, dem sei seine bei Nomos erschienene Studie nachdrücklich ans Herz gelegt. Im Rahmen der weiter unten zu sehenden Anzeige für seine Studie können auch zum Zwecke einer weiteren Einführung in die Themaitk Inhaltsverzeichnis und Vorwort aus seinem Buch als pdf-Datei heruntergeladen werden.

© 2019 Copyright beim Autor
online exklusiv für ONLINE-EXTRA



Online-Extra Nr. 280


Antiisraelische Schuldprojektionen als Schlüssel zum positiven Selbstbild.


Israel perspektiviert als Wiederkehr europäischer Verbrechen in linksliberalen Leserkommentaren *

MATTHIAS JAKOB BECKER


 


1. Linguistische Beiträge zur Analyse von Antisemitismus

In diesem Werk geht es um die Frage, wie israelbezogener Antisemitismus sprachlich vermittelt wird. In diesem Rahmen interessieren nicht Stereotype, sondern jene Analogien, mittels welcher einerseits der Staat Israel dämonisiert wird, andererseits es zu einer Stärkung des jeweiligen nationalen Selbstbildes kommt.

Verbal-Antisemitismus kann sich – wie jede Form von Hassrede1  – durch vulgären Sprachgebrauch (beispielsweise in Form von Beleidigungen und Drohungen sowie mittels Schimpfwörtern) auszeichnen. Äußerungen aus dem rechtsextremen Spektrum oder aus dem Stürmer der NS-Zeit mögen hier als Beispiele herangezogen werden. Allerdings können Schreiber_innen eine Abwertung von Jüd_innen ebenso implizit vermitteln, indem sie auf indirekte Sprechakte2  zurückgreifen. Über indirekte Sprechakte sagen Schreiber_innen x, meinen jedoch y. Die Funktion der Äußerung kann nicht allein der grammatischen Ebene entnommen werden. Allein über Schlussfolgerungsprozesse können Leser_innen die verdeckten Inhalte der Äußerungen verstehen. Dieser Aspekt ist gerade bei der Auseinandersetzung mit Antisemitismus in Deutschland von hoher Relevanz: Aufgrund der präzedenzlosen NS-Verbrechen wurden – zumindest in weiten Teilen der Öffentlichkeit – judenfeindliche Äußerungen tabuisiert. Es entwickelte sich im Zuge einer Kommunikationslatenz (also der Vermeidung offen gezeigten Antisemitismus’)3  ein Repertoire, mit welchem Judenfeindschaft implizit kommuniziert wird: intentional oder unintentional realisierte kommunikative Manöver, mit denen etwaige, aus expliziten Hassbekundungen potenziell folgende Sanktionen umgangen werden. Zu diesem Repertoire gehören neben den genannten indirekten Sprechakten auch Paraphrasen und Metaphern sowie implizite Vergleiche, die der Dämonisierung dienen. Diese Phänomene werden von der linguistischen Disziplin der Pragmatik untersucht.4  Konkrete Formen der Dämonisierung fallen zwar weg – dennoch werden entsprechende Äußerungen beim Verstehensprozess antisemitischer Haltungen an Leser_innen weitergegeben. Quantitative Erhebungen können gegenwärtige Ausprägungen jener andeutungsreichen, sich permanent aktualisierenden Rede nicht vollständig einfangen – sie müssen insofern nach einer qualitativen Analyse durchgeführt werden. Im Rahmen Letzterer können Forscher_innen implizit vermittelte Hassrede erfassen und antisemitischen Sprachgebrauch jenseits rechtsextremer sowie islamistischer Milieus untersuchen.5 



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Matthias J. Becker:

Analogien der 'Vergangenheitsbewältigung'

Antiisraelische Projektionen in Leserkommentaren der Zeit und des Guardian

Nomos Verlag
Baden Baden 2018

420 S.
Euro 79,-

Inhaltsverzeichnis u. Vorwort (pdf)



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Dieser Band beschäftigt sich mit der Frage, wie israelbezogener Antisemitismus im Online-Kommentarbereich von Qualitätsmedien sprachlich vermittelt wird. Hierfür wurde eine korpuslinguistische Analyse von mehr als 6.000 Leserkommentaren auf den Webseiten der linksliberalen Zeitungen „Die Zeit“ und „The Guardian“ vorgenommen.

Der Fokus lag auf der sprachlichen Beschaffenheit jener Äußerungen, mit welchen Israel einerseits mit NS-Deutschland, andererseits mit Großbritannien während der Ära des Kolonialismus verglichen wird, und welche kommunikativen Funktionen diese Vergleiche innerhalb beider Diskurse potenziell erfüllen. Aus der Neubewertung historischer Szenarien, die eine Identifikation mit der nationalen Wir-Gruppe erschweren, kann kollektive Entlastung folgen. Diese Phänomene sind vor dem Hintergrund erkennbarer Renationalisierungstendenzen (nicht nur) in Großbritannien und Deutschland einzuordnen, die auch vor den hier untersuchten milieuspezifischen Diskursen nicht Halt zu machen scheinen.



2. Forschungsprojekt zu Zeit- und Guardian-Leserkommentaren

Meine Untersuchung, die sich auf die qualitative Inhaltsanalyse stützt, fokussiert ebendiesen implizit vermittelten israelbezogenen Antisemitismus: teils elaborierte, vermeintlich kritische Äußerungen, die auf fundiertem Wissen und moralischer Integrität der Schreiber_innen zu gründen scheinen, jedoch israelfeindliche und geschichtsrelativierende Analogien sprachlich kodieren.

Mein Fokus auf diese Äußerungen entspricht der Auswahl der Untersuchungskorpora:6 Es handelt sich um mehr als 6.000 Leserkommentare auf den Webseiten von Zeit und Guardian, die sich jeweils auf die israelischen Militäroperationen Pillar of Defense (14. – 22. November 2012) und Protective Edge (08. Juli – 26. August 2014) beziehen. Beiden Medien kommt die Reputation zu, aufgrund ihrer linksliberalen Grundhaltung sowie ihrer Ausrichtung an eine gebildete Leserschaft ausgewogen und frei von rassistischen und antisemitischen Anschauungen zu berichten. Die politische Position der Medien ist für die Analyse von Leserkommentaren von Relevanz, da davon auszugehen ist, dass zwischen dem jeweiligen Medium und dem Großteil seiner Leserschaft eine gewisse Übereinstimmung hinsichtlich politischer Einstellungen vorliegt. zur Informationsbeschaffung wenden sich Internet-Nutzer selektiv bestimmten Angeboten zu. Demnach können Haltungen, die vom Medium vertreten werden, in der Leserschaft als weitestgehend akzeptiert gelten.7 Es kommt hinzu, dass im Großteil der untersuchten Leserkommentare anhand der von Schreiber_innen problematisierten Sachverhalte und Argumentationsmustern liberale bis linke Einstellungen deutlich werden.

Dass dennoch, trotz dieser Nähe und teils abweichend von besagter Übereinstimmung in den Leserkommentaren antisemitische Äußerungen ausfindig gemacht werden, ist indes nicht verwunderlich. Antisemitische Haltungen können sowohl in gebildeten8 sowie linken9 Milieus auftreten. Antisemitismus begleitet europäische Gesellschaften seit nunmehr zwei Jahrtausenden; er ging ursprünglich nie von den Rändern der Gesellschaft aus.10 Dieser Befund gilt ebenso für die Gegenwart – auch wenn Antisemitismus, seit jeher vielgestaltig reproduziert, heute indirekt und somit salonfähig sowie primär in Bezug auf Israel kommuniziert wird. Dem Anspruch der gebildeten ‚Mitte‘ der Gesellschaft, frei von abwertenden und/oder ausgrenzenden Denkmustern zu sein, kann diese Arbeit mittels einer detaillierten Analyse von milieuspezifischen Kommentaren widersprechen.

Die Textsorte Web-Kommentar ist bei korpus- und kognitionslinguistischen Studien zu Antisemitismus bisher vernachlässigt worden, was zum einen mit der Neuheit des Untersuchungsgegenstandes, zum anderen mit der Komplexität von Web-Kommunikation und der Schwierigkeit, alle relevanten Informationen (Dialogizität, Intertextualität) in einem Korpus zu integrieren und bei der Analyse zu berücksichtigen, zusammenhängen mag. Diese Hürden zu überwinden lohnt sich jedoch für die Forschung, da mit der Analyse dieser Textsorte Erkenntnisse zu aktuellen Einstellungsmustern (und ihren Verbalisierungen) in der Gesellschaft erarbeitet werden können. Web-User_innen passen ihren Sprachgebrauch, mit dem sie ihre Einstellungen vermitteln, den Kommunikationsspezifika des Internet und dem daraus resultierenden Rückgang sozialer Kontrolle an. Qualitative Untersuchungen können klären, wie gegenwärtige Trends hinsichtlich des Sprachgebrauchs in einem bestimmten Diskurs verlaufen. Im vorliegenden Falle: Durch welche Charakteristika zeichnet sich der chiffrierte Verbal-Antisemitismus aus? Werden mittlerweile (bedingt durch Anonymität und gegenseitiger Bestärkung) Stereotype gar wieder zunehmend explizit vermittelt? Und wie lassen sich die inhaltlichen Dimensionen gegenwärtiger Judenfeindschaft beschreiben? Gerade letzte Frage ist insofern von Relevanz, als im Kontext israelbezogenen Antisemitismus’ davon auszugehen ist, dass es zu einer Aktualisierung von Stereotypen im Einklang mit gegenwärtig akzeptierten politisch-moralischen Positionierungen kommt.



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3. Die Analogie als Ausdruck von Israelhass und Geschichtsrelativierung

In meinem Forschungsprojekt stehen jene Sprachgebrauchsmuster im Vordergrund, mittels derer eine bestimmte Form von Analogien etabliert werden. Über selbige projizieren deutsche sowie britische11 Schreiber_innen jene Verbrechen auf den jüdischen Staat, die Angehörige der jeweiligen nationalen Wir-Gruppe in der Vergangenheit verübten.

Zur terminologischen Klärung: Analogie meint ein Äquivalenzverhältnis zwischen zwei auf der mentalen Ebene befindlichen Konzepten. Sie ist Grundlage für die Realisierung eines Vergleichs auf der sprachlichen Ebene, die wiederum bei Leser_innen konzeptuell eine entsprechende Analogie aktiviert. Die Aktivierung kann allerdings nicht nur durch einen expliziten Vergleich zwischen Israel und dem eigenen Land, sondern auch mittels impliziter Vergleiche erfolgen, bei denen Leser_innen die angedeutete Äquivalenzsetzung erschließen müssen. Im nächsten Abschnitt werde ich Auszüge aus den Zeit- und Guardian-Korpora zur Erläuterung dieser Sprachgebrauchsmuster vorstellen.

Die von Zeit- als auch Guardian-Leser_innen vorgenommenen Äquivalenzsetzungen zwischen dem eigenen Land in der Vergangenheit und dem heutigen jüdischen Staat sind brisant, da es sich in den jeweiligen Bezügen um Phasen historischen Unrechts handelt: im Falle deutscher Schreiber_innen die NS-Zeit, im Falle britischer Schreiber_innen die Ära britischen Kolonialismus zu Zeiten des Empire. Beide historische Phasen werden im untersuchten Diskurs abgelehnt und stehen einer uneingeschränkt positiven Wahrnehmung der eigenen Nation entgegen.

Inwiefern sind Äußerungen, die in diesem Kontext Analogien etablieren, indes antisemitisch und geschichtsrelativierend? Zur Beantwortung dieser Frage müssen die Funktionen solcher Äquivalenzsetzungen reflektiert werden: Zum einen wird Israel dämonisiert. Die Unterstellung, es sei bzw. handle wie der NS-Staat stellt angesichts der NS-Verbrechen eine umfassende Abwertung und Ausgrenzung des jüdischen Staates dar. Israel als expansionistischen Kolonialstaat zu perspektivieren, wie Großbritannien einer war, wirkt nicht nur verzerrt, sondern ignoriert die Ursachen der Gründung Israels sowie die Genese des Nahostkonfliktes. Zum anderen kommt es zu einer Relativierung historischer Verbrechen. Zwar werden diese in den Kommentaren problematisiert – allerdings wird der Fokus auf die Behauptung gelegt, Israel begehe heute jene in der Geschichte des eigenen Landes vorliegenden Verbrechen.12

Inwieweit sich an die Funktionen der Dämonisierung und Relativierung jene der kollektiven Entlastung anschließt, die wiederum zu einer Stärkung nationaler Selbstbilder führen kann, und mittels welchen sprachlichen Repertoires geschichtsbezogene Analogien in den jeweiligen Kommentarbereichen zum Ausdruck gebracht werden, ist Gegenstand dieses Buches.



ANMERKUNGEN

* Vorliegender Text basiert in wesentlichen Teilen auf dem Beitrag „Antiisraelische Schuldprojektionen als Schlüssel zum positiven Selbstbild: Israel perspektiviert als Wiederkehr europäischer Verbrechen in linksliberalen Leserkommentaren“; erschienen in: „Antisemitismus im 21. Jahrhundert: Virulenz einer alten Feindschaft in Zeiten von Islamismus und Terror“, hrsg. v. Marc Grimm und Bodo Kahmann, 2018; (https://www.degruyter.com/view/product/485294).



1 Unter Hassrede „wird im Allgemeinen der sprachliche Ausdruck von Hass gegen Personen oder Gruppen verstanden, insbesondere durch die Verwendung von Ausdrücken, die der Herabsetzung und Verunglimpfung von Bevölkerungsgruppen dienen“, siehe Meibauer, Jörg (Hrsg.): Hassrede/Hate speech. Interdisziplinäre Beiträge zu einer aktuellen Diskussion. Gießen 2013. S. 1.
2 Beispielsweise sind rhetorische Fragen grammatisch gesehen Fragen – aus pragmatischer Perspektive dienen sie indes dazu, die Meinung der/des Schreibers/-in zu unterstreichen. So betont die rhetorische Frage Haben die Juden nun schon wieder etwas an der Politik der Deutschen auszusetzen? die Meinung der/des Schreibers/-in, gemäß der zum einen Jüd_innen und Deutsche zwei verschiedene Gruppen darstellen, zum anderen (vermittelt durch das Lexem wieder) Jüd_innen wiederholt Kritik üben und sich kontinuierlich beschweren würden. Die/der Schreiber_in kann sich gegen den Vorwurf, antisemitische Stereotype reproduziert zu haben, wehren, indem darauf verwiesen wird, dass lediglich eine Frage gestellt wurde. Der zusätzliche Sinngehalt muss über die Kompetenz der Leserschaft erschlossen werden (siehe Schwarz-Friesel, Reinharz: Sprache. S. 37. Siehe auch Wagner, Franc: Implizite sprachliche Diskriminierung als Sprechakt. Lexikalische Indikatoren implizierter Diskriminierung in Medientexten. Tübingen 2001).
3 Siehe Bergmann, Werner u. Rainer Erb: Kommunikationslatenz, Moral und öffentliche Meinung. Theoretische Überlegungen zum Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 38 (2/1986). S. 223–246.
4 Zur Klärung dieser pragmalinguistischen Begriffe (u. a. vor dem Hintergrund des Antisemitismus), die an dieser Stelle aufgrund von Platzgründen nicht vorgenommen werden kann, siehe Grice, Herbert P.: Logic and Conversation. In: Syntax and Semantics. Vol. 3. Speech Acts. Hrsg. von Peter Cole u. Jerry L. Morgan. New York 1975. S. 41–58; Meibauer, Jörg: Rhetorische Fragen. Tübingen 1986; Meibauer, Jörg: Pragmatik. Eine Einführung. Tübingen 2001; Meibauer (Hrsg.): Hassrede/Hate speech; Lennon, Paul: Die Rolle von Anspielungen in britischen Zeitungstexten. In: ZfAL 34, 2001. S. 5–25; Wagner: Diskriminierung; Pérennec, Marie-Hélène: Nazi-Vergleiche im heutigen politischen Diskurs. Von den Gefahren falscher Analogien. LYLIA 16, 2008; Schwarz-Friesel, Monika: Explizite und implizite Formen des Verbal-Antisemitismus in aktuellen Texten der regionalen und überregionalen Presse (2002–2010) und ihr Einfluss auf den alltäglichen Sprachgebrauch. In: Judenfeindschaft und Antisemitismus in der deutschen Presse über fünf Jahrhunderte. Erscheinungsformen, Rezeption, Debatte und Gegenwehr, Bd. 2. Hrsg. von Michael Nagel u. Moshe Zimmermann. Bremen 2013. S. 993–1008; Schwarz-Friesel/Reinharz: Sprache.
5 Im Zeitalter des Internet kann freilich nicht mehr davon ausgegangen werden, dass klare Abgrenzungen in Bezug auf den Sprachgebrauch politisch divergierender Gruppen vorgenommen werden können. Vielmehr lassen politisch extremistische Webseiten erkennen, dass sich Versatzstücke des Ideologievokabulars beispielsweise linker Antizionist_innen in Äußerungen rechter Antisemit_innen wiederfinden. Aufgrund der Spezifika des Internet, Anonymität zu gewährleisten und Radikalisierungstendenzen durch Zugänglichkeit zu verstärken, kann davon ausgegangen werden, dass auch auf Webseiten des Mainstreams explizierte antisemitische Hassrede Einzug hält. Siehe Schwarz-Friesel, Monika: „Juden sind zum Töten da“ (studivz.net, 2008). Hass via Internet – Zugänglichkeit und Verbreitung von Antisemitismen im World Wide Web. In: Sprache und Kommunikation im technischen Zeitalter. Wieviel Internet (v)erträgt unsere Gesellschaft? Hrsg. von Konstanze Marx u. Monika Schwarz-Friesel. Berlin, New York 2013. S. 213–236).
6 Unter Korpora sind Textdaten zu verstehen, die in einem bestimmten zeitlichen Rahmen zu einem bestimmten Thema zusammengestellt und strukturiert werden (siehe Scherer, Carmen: Korpuslinguistik. Heidelberg 2006; Schwarz-Friesel, Reinharz: Sprache). Die Korpuslinguistik verfolgt das Ziel, über die Untersuchung von Korpora als „Ausschnitt einer sprachlichen Gesamtheit“ (Scherer: Korpuslinguistik. S. 5) Aussagen über die Sprache/den Sprachgebrauch treffen zu können.
7 In Bezug auf das Internet spricht die Internetforschung von dem Phänomen der Echokammern und meint damit die Tendenz, „sich mit Gleichgesinnten zu umgeben und sich dabei gegenseitig in der eigenen Position zu verstärken“ (s. Berger 2015). Andererseits ist auf das Phänomen der sog. Filterblasen zu verweisen. Das Kommunikationsverhalten von Web-Usern führt demnach zu einer Selektion, einem Ausschluss jener Informationen/Quellen, die nicht deren Standpunkten entsprechen (s. Pariser 2011: 22, s. auch Habscheid 2005). Ein ausschließlich mit den eigenen Ansichten korrespondierender Gebrauch des Internets kann insofern eine Verengung der Weltsicht zur Folge haben.
8 Siehe Rensmann, Lars: Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden 2004; Schwarz-Friesel, Monika, Evyatar Friesel u. Jehuda Reinharz (Hrsg.): Aktueller Antisemitismus – ein Phänomen der Mitte. Berlin, New York 2010; Schwarz-Friesel, Reinharz: Sprache.
9 Siehe Kloke, Martin: Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses. Frankfurt am Main 1990; Wistrich, Robert S.: From Blood Libel to Boycott. Changing Faces of British Antisemitism. Jerusalem 2011; Shindler, Colin: Israel and the European Left. Between Solidarity and Delegitimization. London 2012; Globisch, Claudia: Radikaler Antisemitismus. Inklusions- und Exklusionssemantiken von links und rechts in Deutschland. Wiesbaden 2013; Rich, Dave: The Left’s Jewish Problem. Jeremy Corbyn, Israel and Anti-Semitism. London 2016; Fine, Robert u. Philip Spencer: The Antisemitism and the Left. On the Return of the Jewish Question. Manchester 2017.
10 Siehe Hortzitz: Judenfeindschaft; Hortzitz: Judenfeindschaft in der frühen Neuzeit; Wistrich: From Blood Libel; Schwarz-Friesel, Reinharz: Sprache.
11 Der Guardian als britisches Medium wird natürlich nicht nur von einer britischen Leserschaft, sondern international wahrgenommen. Bei den hier interessierenden, auf den britischen Kolonialismus und die Apartheid Bezug nehmenden Analogien ist indes zu unterstreichen, dass sie mit wenigen Ausnahmen von britischen Lesern etabliert wurden. Eine entsprechende Zugehörigkeit der Schreiber_innen zur britischen Wir-Gruppe wird entweder im Kommentartext und/oder in anderen Äußerungen innerhalb der comment history der/des jeweiligen Schreiber_in ersichtlich. Insofern liegt bei Rückgriff auf geschichtsbezogene Vergleiche dieser Art die Funktion der Entlastung ebenso vor.
12 Hier sei unterstrichen, dass hinsichtlich Natur und Umfang der Verbrechen zwischen NS-Deutschland und dem Britischen Empire selbstverständlich maßgebliche Unterschiede vorliegen und dass die von mir vorgenommene kontrastive Betrachtung keineswegs historisches Unrecht gleichsetzen soll. Die Vergleichbarkeit der auf beide Szenarien referierenden kommunikativen Phänomene liegt in der Präsenz der Szenarien im kollektiven Gedächtnis, im gesellschaftlichen Umgang mit selbigen sowie in den Funktionen besagter Äquivalenzsetzungen.




Der Autor

MATTHIAS J. BECKER

Dr. phil., studierte an der FU Berlin Philosophie, Linguistik und romanische Literaturwissenschaft. Ab 2012 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter am Institut für Sprache und Kommunikation an der TU Berlin tätig und hat sich seither mit der sprachlichen Seite von Antisemitismus beschäftigt. Im Fokus seiner Forschung steht, auf welche Weise antisemitische Denkmuster auf Webseiten des politischen Mainstream sprachlich vermittelt werden. Seine Untersuchungen können innerhalb der Felder Linguistik, Internet- und Antisemitismus- und Nationalismusforschung verortet werden.
Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit setzt sich Herr Becker mit pädagogischen Strategien gegen Antisemitismus auseinander. Im schulischen und außerschulischen Rahmen hält er regelmäßig Vorträge zum sprachlichen Repertoire von Antisemitismus innerhalb der Mehrheitsgesellschaft sowie zu Verfahren, entsprechende Hassrede zu dekodieren. Seit 2016 führt er als wissenschaftlicher Berater von AJC Ramer Institute und Berliner Senatsverwaltung Trainings zu Antisemitismus und Islamismus durch. In seiner im Januar 2018 angetretenen Position als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Moses-Mendelssohn-Zentrum an der Universität Potsdam setzt er sich im Rahmen von Leitfadeninterviews mit religiös begründeten Abgrenzungstendenzen, Autoritarismus/Demokratiefeindschaft, Sexismus sowie Antisemitismus unter Schüler_innen auseinander.


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