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ONLINE-EXTRA Nr. 138

April 2011

Den 'unbesungenen Helden', jenen vergleichsweise wenigen, mutigen Menschen, die sich auf vielfältige Weise dem Ungeist des Nationalsozialismus widersetzten, diesen 'unbesungenen Helden' das ihnen gebührende 'Loblied zu singen', ihren Lebensweg zu erforschen und sie dem Vergessen zu entreißen, ist nach wie vor eine eminent wichtige Aufgabe. Dass es dabei immer wieder lohnenswerte Entdeckungen gibt, zeigt nun eine neue Publikation von Jeanette Toussaint über die Brandenburgerin Anni von Gottberg.

Anni von Gottberg war in Potsdam maßgeblich an der Opposition gegen die nationalsozialistische Gleichschaltung der evangelischen Kirche beteiligt. Ihre konsequente Haltung führte auch zu Differenzen mit Gleichgesinnten. Die Biografie von Jeanette Toussaint beschreibt das Leben einer preußischen Leutnantstochter, die zu einer vehementen Kämpferin für die Bekennende Kirche wurde. Zudem geht der Band dem Engagement weiterer Frauen in
Potsdam nach und zeigt zugleich die tiefgreifenden Veränderungen im Leben des preußischen Adels im Verlauf des 20. Jahrhunderts.

Das heutige ONLINE-EXTRA Nr. 138 ist eine von der Autorin besorgte Buchvorstellung, das Ihnen einen ersten Einblick in das Leben der Anni von Gottberg vermittelt und die Biografie über sie näher vorstellt.


COMPASS dankt der Autorin für Wiedergabe der Texte an dieser Stelle!

© 2011 Copyright bei der Autorin
online exklusiv für ONLINE-EXTRA




Online-Extra Nr. 138


Ich bin für Potsdam das rote Tuch.

Anni von Gottberg und die Bekennende Kirche



JEANETTE TOUSSAINT




Im Mai 1934 gründete sich die Bekennende Kirche in Deutschland, um sich der Gleichschaltung der evangelischen Kirchen durch den nationalsozialistischen Staat zu widersetzen. Die Geschichte der daran beteiligten Frauen ist durch die Schicksale von prominenten Mitgliedern wie Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer weitestgehend in Vergessenheit geraten. Zudem wurden Frauen auch in der Bekennenden Kirche durch die evangelische Kirchenpolitik ausgegrenzt, so dass sie keine exponierten Stellen besetzen konnten und kaum Spuren in den historischen Quellen hinterlassen haben. Eine dieser fast vergessenen Frauen ist Anni von Gottberg. Sie hat sich in der Bekennenden Kirche in Potsdam engagiert und wurde 1935 als theologische Laiin und einzige Frau in den Brandenburgischen Provinzialbruderrat der Bekennenden Kirche aufgenommen.

Der Geburtsort von Anna Klementine Elsbeth Hedwig – sie selbst nannte sich später Anni – liegt im heutigen Polen. Das väterliche Gut Karolinenthal (Zelazkowo) gehörte zum Landkreis Lauenburg in Pommern. Sie kam am 7. Mai 1885 als viertes Kind des königlichen Leutnants Friedrich von Selchow und seiner Ehefrau, der Gutstochter Hedwig geborene Kratz, zur Welt. 1893 zog die Familie nach Berlin. Hier absolvierten die drei Geschwister – eine Schwester war bereits verstorben – eine höhere Schulausbildung. Danach trennten sich ihre Wege. Bogislav von Selchow wurde Fregattenkapitän und gehörte später zu den rechten Kräften, die die Weimarer Republik bekämpften. Nach 1933 erlangte er als Schriftsteller und Dichter Ruhm und Ehrungen für seine antisemitischen und rassistischen Schriften. Ehrengard von Selchow wurde Lehrerin. Anni von Selchow heiratete 1910 Hasso von Normann und brachte 1917 ihren Sohn Sigurd zur Welt. Die Ehe wurde 1922 geschieden. Anni von Normann ging zurück zu ihrer inzwischen verwitweten Mutter und zog später nach Potsdam. Hier lebte ihr Cousin Wolf von Gottberg, den sie 1926 heiratete.

Nach der Gründung der Bekennenden Kirche beteiligte sich Anni von Gottberg maßgeblich an der Sammlung und Organisation der Bekenntnisgemeinden in Potsdam. Sie war sowohl Mitglied im Bruderrat der Friedens-Erlösergemeinde als auch im Kreisbruderrat der Bekennenden Kirche.



LESUNG



Download:
Infoflyer


Der Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam und die Rosa-Luxemburg- Stiftung Brandenburg laden zu einer Lesung aus dem aktuellen Buch der Reihe „Potsdamer Köpfe“ des Märkischen Verlags Wilhelmshorst ein, das im Rahmen des Kulturland-Themas 2010 „Mut & Anmut. Frauen in Brandenburg und Preußen“ entstand.

Ich bin für Potsdam das rote Tuch
Anni von Gottberg und die Bekennende Kirche

Lesung mit
Jeanette Toussaint

12. April 2011 | 19 Uhr

Haus der Brandenburgisch-
Preußischen Geschichte Potsdam
Kutschstall, Am Neuen Markt 9
14467 Potsdam




Im Dezember 1935 wurde Anni von Gottberg in den Brandenburgischen Provinzialbruderrat der Bekennenden Kirche berufen. Sie war – neben der Geschäftsführerin des Bruderrates in Pommern, Stephanie von Mackensen – die einzige Frau auf dieser Ebene der Bruderräte. Senta Maria Klatt, Sekretärin in der Geschäftsstelle der Bekennenden Kirche Brandenburg, resümierte später: „(...) es gab keine Frauen, die vergleichbare Aufgaben ausführten oder Positionen einnahmen wie Kurt Scharf und Erich Andler oder Otto Dibelius. Ich habe – nach Barmen 1934 – doch alle Bekenntnissynoden mitgemacht, ob in Brandenburg oder in der deutschen Gesamtkirche. Und so weit ich mich entsinnen kann, sind auf diesen Synoden außer Frau von Mackensen und Frau von Gottberg niemals Frauen hervorgetreten. Zwar hatten wir in den Gemeinden damals schon Vikarinnen – heute Pastorinnen oder Pfarrerinnen. Aber im Grunde begann die Rolle der Frau in der Bekennenden Kirche auf der Ebene der Zuarbeiter: der Mägde.“

Anni von Gottberg wandte sich gegen jegliche Zusammenarbeit der Bekennenden Kirche mit der nationalsozialistischen Reichskirche. Ihre klare und kompromisslose Haltung führte zu Auseinandersetzungen mit Mitgliedern und Pfarrern der Bekennenden Kirche sowie zur Verfolgung durch die Gestapo.

Nach dem Ende des Krieges beteiligte sie sich am Aufbau einer neuen evangelischen Kirche. Sie leitete die Geschäftsstelle der noch nicht aufgelösten Bekennenden Kirche in Potsdam. Darüber hinaus war sie Mitglied im Kirchenrat der Potsdamer Friedensgemeinde sowie im Kreiskirchenrat.

1954 erkrankte Anni von Gottberg an Krebs und legte ihre kirchlichen Ämter nieder. Sie ließ sich operieren und zog 1955 zu ihrem Sohn und seiner Familie nach Hamburg. Dort starb sie am 9. Juli 1958. Sechs Wochen später wurde sie auf dem Bornstedter Friedhof in Potsdam beigesetzt. Bis zuletzt hatte sich Anni von Gottberg mit religiösen Fragen auseinandergesetzt. In ihrem Nachlass fand die Familie zahlreiche eigene theologische Ausarbeitungen. Im Gedenken an sie wurde 1995 im Potsdamer Stadtteil Kirchsteigfeld die Anni-von-Gottberg-Straße eingeweiht.


Ich bin für Potsdam das rote Tuch

Anni von Gottberg und die Bekennende Kirche



Jeanette Toussaint:

Ich bin für Potsdam das rote Tuch
Anni von Gottberg und die Bekennende Kirche.


Märkischer Verlag Wilhelmshorst
Wilhelmshorst 2011
ISBN: 3-931 329-17-8
150 Seiten; 10,- €

Bestellungen:
Märkischer Verlag Wilhelmshorst:
http://www.maerkischerverlag.de/php/a17main.php 


Website:
http://anni-von-gottberg.de



LESEPROBE

Viele Menschen schließen sich der im Mai 1934 gegründeten Bekennenden Kirche an. Doch noch gibt es keine organisatorische Struktur. Sie muss erst geschaffen werden. In Potsdam macht Anni von Gottberg den Anfang und lädt im August 1934 ihr bekannte bekenntnistreue Pfarrer und Gemeindemitglieder aus Potsdam und Nowawes in ihre Wohnung ein. Sie bittet Pfarrer Johannes Kühne, ihr Mitgliedsausweise für die Bekennenden Kirche, die so genannten roten Karten, zuzusenden und berichtet ihm: „Die Arbeit geht langsam vorwärts, teils erschütternd, teils herrlich. Man ist so sicher, weil man sich auf dem richtigen Weg weiß und bekommt soviel Kraft, man ist so froh und überzeugt und möchte von Einem zum Andern laufen, um jeden fest zu verankern.“ Um die Organisation der Bekennenden Gemeinden zu unterstützen, wird im November 1934 Albrecht Schönherr nach Potsdam versetzt. Er hatte Ende September 1934 sein Vikariat in Potsdam beendet. Danach war er als Prädikant nach Berlin gegangen und hatte sich hier der Bekennenden Kirche unterstellt. Diese Entscheidung bedeutet für ihn wie für alle im Dienst der Bekennenden Kirche stehenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die nicht legal angestellt sind, auf Sicherheiten wie ein festes Gehalt zu verzichten. Finanziert werden die künftigen Pfarrer und deren theologische Ausbildung sowie sämtliche Aktivitäten ausschließlich durch Mitgliederbeiträge und Spenden. Umso wichtiger sind für die Bekenntnisgemeinden die Kollekten nach den Gottesdiensten. (...)

Albrecht Schönherr verlässt Mitte April 1935 Potsdam. Zwischen ihm und Anni von Gottberg entwickelt sich nun ein Briefwechsel, in dem sie ihm über ihre Konflikte mit der Bekennenden Kirche in Potsdam berichtet. So schreibt sie am 1. Februar 1936: „Ja, den ‚Unfrieden’ bringe ich in Potsdam, der ist vielen unbequem, Menschen können mich aber nicht verletzen, ich will ja nur meinen Weg im Gehorsam gehen – weiter nichts.“ In ihrem Engagement kommen ihr aber manchmal auch Zweifel: „Ich habe einen wahren Tanz mit dem Teufel geführt, er packte mich und wollte mich zum Aufhören meiner herrlichen Arbeit bewegen. Ich bin hier immer allein auf einsamer Flur im Kampf gegen die Männer, geschimpft wird unsinnig – ich auch, aber ich sage es Jedem ins Gesicht und das wagt keiner.“ (...) Im Herbst 1937 wird Anni von Gottberg kurzzeitig verhaftet. Auslöser ist ein Schreiben der Bekennenden Kirche, das sie vervielfältigt haben soll. Doch sie lässt sich davon nicht entmutigen. Bereits Ende Oktober 1937 organisiert sie einen Abend für die Bekenntnisgemeinde, auf dem zum ersten Mal auch außerhalb eines Gottesdienstes Kollekten gesammelt werden sollen.


Die Autorin

JEANETTE TOUSSAINT


... geb. 1964 in Potsdam, Gärtnerin, Floristin, Studium der Europäischen Ethnologie, Soziologie und Gender Studies in Berlin. Arbeitet seit 2005 freiberuflich im Wissenschafts- und Ausstellungsbereich und ist u.a. freie Mitarbeiterin der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Forschungsschwerpunkt und Veröffentlichungen zur Geschlechtergeschichte des Nationalsozialismus, insbesondere zu SS-Aufseherinnen, zur Nachkriegsjustiz und zur familiären Tradierung der NS-Geschichte. Autorin des Buches „Zwischen Tradition und Eigensinn. Lebenswege Potsdamer Frauen vom 18. bis 20. Jahrhundert“ (2009 hg. vom Frauenzentrum Potsdam).

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