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Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit

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Koordinierungsrat





ONLINE-EXTRA Nr. 87

Dezember 2008

"Unbemerkt von den westlichen Medien findet im Gazastreifen eine systematische Verfolgungskampagne statt, und in einem geringeren Maße im Westjordanland", schrieb vor wenigen Tagen Jonathan Spyer in der israelischen Tageszeitung "Jerusalem Post". "Das allgemeine Schweigen, das diese Kampagne umgibt, hilft ihren Tätern. Die Opfer sind palästinensische Christen, vor allem die kleine christliche Gemeinschaft von Gaza." Diese bestehe aus 2.000 bis 3.000 Menschen, die von der islamistischen Hamas zunehmend verfolgt werden (siehe: Compass 14.12.08). Und nicht nur im Gaza-Streifen erleiden Christen zunehmend Verfolgung und Gewalt, auch im Iran, China oder Nordkorea spitzt sich die Situation immer mehr zu, wie erst gestern einem Bericht von Till-R. Stoldt in der WELT zu entnehmen war (siehe: Compass 12.12.08).

Als am dramatischsten wird oftmals jedoch die Lage im Irak eingestuft. Seriöse Schätzungen sprechen davon, dass gut die Hälfte der ca. 1,5 Millionen Christen seit Beginn des Irak-Krieges vor fünf Jahren das Land verlassen haben. Nach Angaben der "Gesellschaft für bedrohte Völker" finde im Irak derzeit "die größte Christenverfolgung der Gegenwart" statt. Bekannt gewordene Einzelschicksale zeugen von Mord, Gewalt und erbarmungsloser Verfolgung und lassen befürchten, dass die zwei Jahrtausende alte christliche Tradition im Irak demnächst der Vergangenheit angehören dürfte.

Irritierend und schwer nachvollziehbar ist vor diesem Hintergrund die merkwürdige Ruhe, ja, beinahe das gesepenstisch zu nennende Schweigen der Politik, Medien und weiteren Öffentlichkeit im "christlichen Europa". Der israelische Autor Chaim Noll schildert im vorliegenden Text die Situation der Christen im Irak und Mittleren Osten insgesamt, geht den Gründen ihrer Verfolgung nach, fragt nach den Ursachen der spärlichen Berichterstattung und prangert die islamistische Verfolgung von Christen im Mittleren Osten als "Menetekel für Europa" an: "Europa, inzwischen selbst von wachsenden islamischen Bevölkerungen bedrängt, täte gut daran, seinen Sinn für Solidarität zu entwickeln, ein Zeichen zu setzen, aktiv zu helfen", heißt es beschwörend am Ende seines Beitrages.

Der vorliegende Text "Menetekel für Europa. Christenverfolgungen im Mittleren Osten" von Chaim Noll ist in gedruckter Fassung zuerst erschienen in "Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums" (46. Jhg, Nr. 188, 2008). COMPASS dankt dem Autor für die Genehmigung zu Online-Wiedergabe seines Beitrags an dieser Stelle!.



© 2008 Copyright beim Autor 
online exklusiv für ONLINE-EXTRA


Online-Extra Nr. 87


Menetekel für Europa.
Christenverfolgungen im Mittleren Osten

CHAIM NOLL

Die zunehmende Verfolgung der Christen im Mittleren Osten verursacht im heutigen Europa wenig öffentliche Bewegung. Seit Jahrzehnten nimmt man den Vorgang hin, im Libanon, in den Palästinensergebieten, nun im Irak. Eine schleichende, weniger spektakuläre Entchristianisierung vollzieht sich auch in anderen muslimischen Ländern, etwa der Türkei, ohne dass sie in westlichen Medien viel Beachtung fände. Einige Menschenrechts-Organisationen, christliche Gruppen und Mittelost-Experten beobachten den Prozess mit wachsender Beunruhigung. Die meisten Beobachter sind sich einig, dass diesen Vorgängen etwas Systematisches innewohnt, dass sich die Verfolgung, Misshandlung und Vertreibung der Christen an den verschiedenen Orten des Mittleren Ostens in das Gesamtbild einer versuchten totalen Islamisierung der Region einordnet.

Dieser Tage sorgen die Vorgänge im Irak, verbunden mit dem Elend hunderttausender Flüchtlinge, für ein gewisses Aufsehen, das auch in Europa Nachdenken auslöst. Die Berichte sind haarsträubend, dabei lückenhaft und oft nur mündlich überliefert. Von den grossen Nachrichtenagenturen werden sie nur selten verbreitet. Die Grenze zwischen Gerücht und Wahrheit sind nicht immer auszumachen, daher werden die folgenden Einzelheiten unter Vorbehalt wiedergegeben. Weithin bekannt wurde der Fall des im Nordirak entführten Erzbischofs der chaldäisch-katholischen Kirche, Paulos Faradsh Raho. Mitte März 2008 war zu erfahren, er sei Ende Februar tot aufgefunden worden, seine Kidnapper hätten ihn in der Nähe der Stadt Mossul begraben, im Norden des Landes. Überhaupt verlagere sich die Gewalt in den irakischen Norden, der lange Zeit als relativ sicher galt. Nach Berichten christlicher Kreise wurden weitere dreizehn Priester um diese Zeit getötet, auf grausamste Weise, etwa, in dem man die Geistlichen bei lebendigem Leib in Teile zersägte. Eine derzeit in Jordanien tätige syrisch-orthodoxe Ordensschwester, Hatune Dogan, erfuhr dies von irakischen Flüchtlingen. Einer der Zeugen schilderte, wie er anschließend die Leichenteile gesammelt und bestattetet hätte, was jedoch in vielen Fällen unterbleiben müsse, weil die Überreste der Getöteten von den Mördern mit Sprengsätzen versehen würden.1

Andere Berichte gelten dem verbreiteten Phänomen der Vergewaltigung christlicher Mädchen, auch minderjähriger. Es handle sich um eine Art Ritual der Erniedrigung, eine Demonstration historisch-islamischer Männer-Vorrechte über die „Unterworfenen“. Berichten zufolge werden fünfjährige Kinder vergewaltigt. Der für Europäer schwer vorstellbare Hass von Muslimen in dem von christlichen Amerikanern besetzten Land ziele zunächst auf die Besatzer, richte sich jedoch zunehmend gegen einheimische Christen, zumal sie meist der gebildeten Mittelschicht angehörten und von den Amerikanern als Mitarbeiter bevorzugt würden. Schwester Hatune übermittelt etwa den Fall einer Mutter von zwei Kindern, die als Putzfrau bei Amerikanern im Irak arbeitete und eines Tages beim Verlassen des Hauses ihrer Arbeitgeber erschossen wurde. Laut Angaben von Thomas Krapf, einem in Berlin lebenden Kenner der Region, wird Terror gegen Christen auch „flächendeckend“ eingesetzt, etwa 2005 bei den Aktionen im Bagdader Dora-Viertel, wo islamische Milizen in wenigen Nächten Hunderte Geschäfte assyrischer Christen „abgefackelt“ hätten. Die im Koran (Suren 2,193, 8,39 u.a.) gebotene dhimmi-Steuer für Christen und Juden, jizya, werde wieder eingeführt, christliche Geschäftsleute hätten sie, einzig auf Grund abweichenden Glaubens, zusätzlich zu ihren sonstigen Steuern zu zahlen. Wer dem nicht binnen vierundzwanzig Stunden nachkommt, werde zum Verlassen des Ortes und Abtreten seines Besitzes an die „Moschee“ gezwungen.2 Schwester Hatune erinnert bei dieser Gelegenheit daran, dass anti-christliche Ressentiments im Islam eine lange Vorgeschichte hätten. Bereits im Koran (Sure 9, 30) heisse es: „Und es sprechen die Nazarener: ‚Der Messias ist Allahs Sohn.’ … Allah, schlag sie tot! Wie sind sie ohne Verstand!“

Oft würden muslimische Entführer christliche Mädchen kidnappen und von der Familie ein Lösegeld fordern. Dazu sei angemerkt, dass Entführung im Mittleren Osten eine verbreitete Praxis zur Einschüchterung und Geldbeschaffung ist, die nicht nur Christen gilt. Auch hier berichten Quellen von einer für Europäer schwer vorstellbaren Grausamkeit gegenüber Frauen und Mädchen. Schwester Hatune berichtet unter anderem von einer 7jährigen, die bereits seit seit Jahren immer wieder vergewaltigt worden war. Anschliessend habe man das Mädchen „im Genitalbereich aufgeschlitzt“. Das Kind sei schwer traumatisiert und reagiere noch heute, nach Jahren, „völlig phlegmatisch“. Die Bilder des Mädchens, das mit ausdruckslosem Gesicht auf ihrem Schoß saß, dumpfe Laute von sich gab und nicht in der Lage war, sich richtig zu artikulieren, würden ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen, sagt die junge Ordensfrau, die in Deutschland Theologie studiert hat. Sie sei von diesen Berichten „selbst traumatisiert“. Die Schwester berichtet von einem chaldäischen Priester, dessen Frau vor seinen Augen vergewaltigt wurde. Der Priester und Vater von zwei Kindern wurde anschließend von Kidnappern verschleppt und sexuell missbraucht. Siebzig Tausend Euro brachten Verwandte auf, um ihn zu befreien. Mittlerweile konnte die Familie in die Vereinigten Staaten flüchten.

In einem anderen Fall hätte eine christliche Familie für die Freilassung eines 9-jährigen Mädchens über dreißig Tausend Euro zahlen müssen. Zuvor sei das Mädchen drei Wochen lang gefangen gehalten und täglich vergewaltigt worden. Insgesamt will Schwester Hatune mit 202 vergewaltigten Mädchen und jungen Frauen im Alter zwischen 5 und 25 Jahren gesprochen haben, Christinnen aus dem Irak, die von militanten Muslimen geschändet wurden. Berichte über die Schreckenstaten gelangten selten in den Westen. Zwar würden UN-Beamte in Syrien regelmässig darüber informiert, viele muslimische Mitarbeiter wollten diese Anzeigen gegen ihre Glaubensbrüder jedoch nicht weitergegeben und zögen es vor, sie zu vernichten.



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Chaim Noll:
Der Kithara-Spieler



               Chaim Noll:
               Der Kithara-Spieler
 


            Verbrecher Verlag 2008
            816 Seiten, 
            34,00 €
             
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Der Hof Kaiser Neros im Jahr 62 neuer Zeitrechnung. Einflussreiche Leute versuchen in Rom, die Lage der Provinz Judäa zu verbessern, die durch römische Statthalter ruiniert worden ist. Eine Abordnung von Priestern und Schriftgelehrten aus Jerusalem, die nach Rom reist, um bei Kaiser Nero gegen den römischen Prokurator zu protestieren, muss sich zunächst verstecken. Der Ich-Erzähler, ein junger jüdischer Sekretär im kaiserlichen Hofamt, dem es zukommt, dem verhinderten Künstler Nero bei literarischen Texten zu helfen, soll nun im Auftrag der Jerusalemer Delegation vermitteln. Und verliebt sich dabei. Gleichzeitig sorgen die Anhänger einer jüdischen Sekte, die einem Messias namens Christos huldigt, immer mehr für politische Spannungen...

Chaim Nolls historischer Roman "Der Kitharaspieler" zeigt jüdisches und frühes christliches Leben im antiken Rom, er beleuchtet die für die folgenden Jahrhunderte so entscheidenden Jahre am römischen Kaiserhof, an dem Tage und Nächte mit Theaterspiel, Liebeshändeln und politischen Intrigen vergingen, in deren Trubel und Lärm jedoch nur wenige ahnten, was wirklich vor sich ging.



Zahlreiche solcher Geschichten wurden durch Berichte von ins Ausland geflüchteten Christen bekannt. Am Karfreitag 2007 wurde in Bagdad auf offener Strasse ein 14-jähriger Junge an ein Kreuz genagelt und mit einem Schwert von unten aufgespießt. Die Umstehenden verspotteten den gekreuzigten Teenager: „Du sagst, Du gehörst zu Jesus; dann soll er kommen und dich retten.“ Ein anderer 14jähriger soll im Oktober im Bagdader Al-Basra-Viertel gekreuzigt worden sein. Im Februar 2007 soll eine christliche Irakerin, Mutter von 6 Kindern, in Bagdad erschossen worden sein, weil sie ihren Kopf nur mit einem Tuch bedeckt hatte, nicht mit dem vorgeschriebenen muslimischen Tschador. Ihr jüngster Sohn war erst drei Monate alt. Der Vater war zuvor bereits von militanten Muslimen umgebracht worden. Das UNO-Flüchtlingskommissariat UNHCR berichtete im März 2007, dass Christen im Irak ihres Lebens nicht mehr sicher seien: Religiös motivierte Gewalttaten nähmen weiter zu. Daher versuchten jeden Monat Tausende Christen das Land zu verlassen, um den vielfältigen Verfolgungen zu entgehen. Nach Roland Schönbauer von UNHCR-Österreich habe im Irak die Gewalt gegen Christen und ihre Kirchen seit Jahresbeginn explosionsartig zugenommen, was einen Exodus orientalischer Christen auslöse.

Die Lage wird erschwert durch die Haltung der irakischen Polizei, die, so Thomas Krapf, „teilweise mit den Verfolgern zusammenarbeitet“. Laut einem Bericht der französischen Zeitung Le Monde vom 24. März 2008 hat inzwischen „weit mehr über die Hälfte“ der irakischen Christen das Land verlassen.3 Bei den Vertriebenen handelt es sich um Angehörige ältester christlicher Gemeinschaften wie Chaldäer, Anhänger assyrischer Kirchen des Ostens, syrisch-orthodoxe, syrisch-katholische, armenische, chaldäisch-katholische, römisch-katholische, evangelische oder freikirchliche Christen. Laut Krapf gehörten auch sehr ausgefallene, sonst ausgestorbene Gruppen zur christlichen Minorität im Irak, etwa die sogenannten Johannes-Christen, von denen es zu Sadams Tagen noch etwa 35 000 gegeben haben soll, heute noch rund drei Tausend. Der Kulturverlust für die Region, auch für das Christentum weltweit, ist ungeheuer.

Unterdessen leben auch Christen anderswo im Mittleren Osten, etwa im Libanon oder in den Palästinensergebieten, unter ständigem Druck. Fälle von Entführung christlicher Mädchen berichtet auch David Parsons aus den „territories“, etwa den der 16jährigen Adriana Sabat aus Bethlehem.4 Eine geradezu selbstverständliche Einrichtung sei das gewaltsame Eintreiben von Schutzgeld durch Hamas- oder Fatah-Leute, das zahlreiche christliche Geschäftsleute zur Auswanderung zwinge. Bereits 2003 berichtete die amerikanische Zeitschrift Newsweek, die christliche Bevölkerung in den „territories“ sei auf diese Weise von 110 000 (vor dem Oslo-Abkommen) auf weniger als 50 000 geschrumpft. Noch deprimierender sind die Zahlen, die Parsons zitiert, aus einem Bericht der palästinensischen Behörde selbst: zwischen 1997 und 2002 sei die Zahl der dort lebenden Christen auf 25 000 gesunken (--). Die meisten palästinensischen Christen flohen ins Ausland, da Arafats Funktionäre ihr Land konfiszieren oder andere gewalttätige Übergriffe gegen ihr Eigentum und ihre Familien begehen. Ein christlicher Geschäftsmann in Beit Sahur belegte 34 ihm bekannte Fälle illegalen Landraubs durch Vollstrecker der palästinensischen Autonomiebehörde, oft unter lachhaften Vorwänden, die fast immer zur Emigration der enteigneten Christen geführt hätte. „Es gibt eine klare Absicht, Bethlehem zu islamisieren“, bestätigte ein Sprecher des Lateinischen Patriarchen in Jerusalem.5 Gegenüber der Mailänder Zeitung Corriere della Sera erklärte Pater Pizzaballa, Prior der auf palästinensischem Gebiet lebenden Franziskaner: „Fast jeden Tag, ich wiederhole, jeden Tag wird unsere Kongregation von muslimischen Extremisten in den ‚Gebieten’ attackiert (...) Es ist vorgekommen, dass solche Angriffe von Mahmud Abbas’ Polizisten vorgenommen werden, von denen, die eigentlich dazu da sind, uns zu schützen.“6

Solche Äusserungen sind relativ selten. Zum Schaden der palästinensischen Christen halten sich die offiziellen Vertreter der Kirchen meist bedeckt und vermeiden ein offenes Wort. Für dieses Verhalten hat David Parsons eine einleuchtende Erklärung: „The historic explanation for the silence of Arab Church leaders in the face Muslim persecution is well known. It stems from their long, sad status in dhimmitude – a survivalist mentality passed down through the generations that conditions them to never say anything bad about their Muslim neighbors – since it could prove deadly.”7

Es fällt schwer, über die Verfolgung der Christen im Mittleren Osten zu schreiben, da dieses Thema in einer Grauzone der offiziellen Berichterstattung liegt. Weder im Irak noch im Libanon oder in den Palästinensergebieten gibt es unbehinderte journalistische Recherche. Die Arbeit von Journalisten, Filmleuten oder Autoren ist lebensgefährlich und ständiger Überwachung ausgesetzt. Immer wieder werden Journalisten entführt oder getötet. Zudem ist die Auskunftswilligkeit der dort Lebenden, sogar derer, denen die Verfolgung gilt, aus Furcht vor Vergeltung stark behindert. Eine Quelle wie Schwester Hatune empfängt ihre Informationen und Augenzeugen-Berichte in vergleichsweise ungefährlichen Nachbarländern wie Jordanien, nicht am Ort der Verfolgung selbst. Ein Autor wie David Parsons von der International Christian Embassy, der seit Jahren über das Thema schreibt, lebt im jüdischen Teil Jerusalems unter dem Schutz israelischer Waffen. Der christliche Publizist Thomas Krapf verbreitet seine in der Region gewonnenen Kenntnisse aus dem relativ sicheren Berlin. Der Amerikaner Michael Finkel, der im Dezember 2007 in der Zeitschrift National Geographic einen vor Ort recherchierten, jedoch erst später in seinem Heimatland geschriebenen Bericht über die Lage der Christen in Bethlehem veröffentlichte, vermeidet emotionale Äusserungen und die offene Verurteilung der Täter. Für sie alle – und jeden am Thema Interessierten – wäre es undenkbar, vom Ort des Geschehens direkt zu berichten.

Europäische Medien scheuen das Thema Christenverfolgung auch aus anderen Gründen. Sie fürchten, anti-islamische Stimmungen zu erwecken, zunächst in ihren eigenen Ländern, europäischen Ländern mit Millionen muslimischer Bürger. Bis heute reagieren die meisten islamischen Gruppen und Gesellschaften feindselig auf jede kritischen Berichterstattung, selbst über historische Ereignisse – bestes Beispiel ist das in der Türkei bestehende, von strafrechtlichen Maßnahmen untermauerte Verbot, sich mit dem türkischen Genozid an den Armeniern von 1915 zu beschäftigen. Unter Umständen kann ein kritisches Wort weltweite Reaktionen auslösen, verbunden mit neuen muslimischen Gewalttaten. Mehrmals haben sich Filme, Medien-Berichte, ein Satz in einer Rede, sogar Karikaturen oder andere nach europäischen Maßstäben eher persönliche Äußerungen als Anlass für politische Unruhen, internationale Proteste, diplomatische Verwicklungen etc. erwiesen. Nicht nur wegen ihrer eigenen, persönlichen Gefährdung scheuen westliche Journalisten das heikle Thema, auch aus Rücksicht auf ihre Zeitung, ihr Magazin, ihren Fernseh- oder Rundfunksender. Da die Berufsbranche insgesamt bedroht ist und unter Beobachtung islamischer Gruppen steht, bildet sich unter Medien-Leuten ein stillschweigender Konsens, möglichst nicht an gefährliche Themen zu rühren. Auch wirtschaftliche Gründe spielen eine Rolle, die Interessen arabischer Organisationen und Staaten und ihrer westlichen Geschäftspartner. Oft werden Nachrichten einfach unterdrückt.

Weniger schwierig ist es, über das Flüchtlingselend der irakischen Christen in den Nachbarländern zu berichten, wenngleich auch dort westlichen Journalisten, die sich mit dem vielen Muslimen unangenehmen Thema beschäftigen, Behinderungen und ständige Observierung gelten. In Jordanien, Syrien und den anderen islamischen Ländern, in die irakische Christen fliehen, geht man ihnen zwar nicht ans Leben, sonst sind ihre Bedingungen aber kaum besser als im Irak selbst. Es gibt keine staatliche Hilfe für die Flüchtlinge, auch keine Arbeitserlaubnis. Sie leben von aus dem Irak mitgebrachten Ersparnissen, bis diese aufgezehrt sind, danach oft von der Prostitution ihrer minderjährigen Kinder. Eine Familie, die keine Töchter hat, schickt ihre Söhne auf den Strich. In der Türkei sprach Schwester Hatune mit einem 13-jährigen Mädchen, dessen Vater im Irak getötet worden war. Die Familie teilt sich einen Raum in einem Keller ohne Kanalisation, in dem Ratten hin- und her huschen. Nach ein paar Monaten hatte die Familie nichts mehr zu essen. Die Mutter bat die 15jährige Schwester, sich zu prostituieren, um Geld für die Familie zu beschaffen. Die 15jährige hatte Brandwunden am ganzen Körper von den Zigaretten, die ihr die Freier auf der nackten Haut ausdrücken. Durch Vermittlung von Spendengeldern ist es Schwester Hatune gelungen, dieses und andere Mädchen aus der Prostitution zu befreien. Da es Muslimen verboten ist, fremde muslimische Frauen anzurühren, halten sie sich an christliche Prostituierte, „an denen sie ihren Glaubenshass auslassen können“. In Syrien wären in den letzten drei Jahren dreissig neue Bordells eröffnet worden, 99% der Prostituierten sind christliche Flüchtlinge aus dem Irak, die auf diese Weise den Lebensunterhalt für ihre Familien aufbringen. 5% der Prostituierten sind männlich, „weil die  Familien keine Mädchen haben, die sie auf den Strich schicken können“.

Insgesamt sollen nach Angaben von Thomas Krapf seit dem Sturz Sadam Husseins etwa siebzehn Prozent der irakischen Bevölkerung auf die eine oder andere Weise zu Flüchtlingen geworden sein, sei es, dass sie ins Ausland geflohen sind, sei es, dass sie innerhalb des irakischen Staatsgebiets ihren Ort wechseln mussten. Man hätte mit Hunderttausenden christlichen Flüchtlingen zu rechnen, die ihr angestammtes Milieu verlassen und in einem muslimischen Nachbarland oder andernorts im Irak – möglichst weit vom Ort der Verfolgung, etwa im kurdischen Norden – ein Unterkommen suchen. Andere christliche Quellen nennen noch höhere Zahlen: rund zwei Millionen irakische Flüchtlinge befänden sich in Syrien, 750 000 in Jordanien, 100 000 in Ägypten, 15 000 in der Türkei, etwa 40 000 im Libanon. Vor dem Irak-Krieg, so Schwester Hatune, wären 13 % der Iraker Christen gewesen, heute aufgrund der Verfolgungen nur noch 3 %. Von offizieller, staatlicher Seite bestätigte Zahlen liegen nicht vor. Beobachter sprechen davon, der Krieg hätte mehrere Millionen Iraker zu Flüchtlingen gemacht, Iraker aller möglichen Provenienz: sunnitische Muslime, die vor shiitischen Terrorgruppen fliehen müssen, oder vice versa, shiitische Muslime auf der Flucht vor sunnitischen, oder Christen, die ins Fadenkreuz beider geraten. In den Moscheen werde gepredigt: „Die Zeit des Schwertes ist über die Christen gekommen.“

Wie von despotischen Regimes befreite Länder oft, ist der Irak nach Sadam Hussein zunächst ein rechtsfreier Raum, in dem der jeweils an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit Stärkste das Gesetz diktiert, auch das Aufenthaltsrecht der Anderen. Verschärfend kommt hinzu, dass nach dem Ende Sadams der uralte inner-islamische Hass zwischen verschiedenen religiösen Richtungen, die nie beigelegten, nur unter totalitärem Druck suspendierten alt-arabischen Stammesfehden und die Aversionen zwischen verschiedenen, vor Jahrhunderten unter Zwang zum Islam bekehrten Ethnien von neuem aufbrechen. Im Mittleren Osten war Toleranz allzeit eine unbekannte Grösse und ist es, mit der einzigen Ausnahme Israel, bis heute. Das versuchsweise Installieren demokratischer Strukturen in arabischen Staaten stösst auf den Widerstand islamischer Männergesellschaften, die sich auf Stammes-Protektionismus, Segregation und einen Moralkodex stützen, den der britische Islamforscher Sir William Muir auf die Kurzformel brachte: honor and revenge, Ehre und Rache (--). Frauen haben in dieser Gesellschaft kein Mitspracherecht. Die inner-gesellschaftliche Konstellation ist traditionell von der Verachtung des „Anderen“, nicht zur eigenen Gruppe Gehörenden geprägt, aus rassischen, religiösen oder anderen Gründen. Überlieferte Aversionen zwischen Gruppen, Stämmen, Staaten erzeugen eine Atmosphäre permanenter Angst. Der einzige wirkliche Zusammenhalt dieser Gesellschaften beruht in der vom Islam eingeführten „Gemeinschaft der Gläubigen“ und dem dieser Gemeinschaft gebotenen permanenten Kampf gegen die „Ungläubigen“. Wo dieser nach aussen gerichtete Kampf verhindert wird, besteht Gefahr, dass die inneren Zerwürfnisse dominieren, seien es die nie vergessenen tribalistischen Rivalitäten, ethnische Unverträglichkeiten oder religiös motivierte Spaltungen innerhalb des Islam wie zwischen Shiiten und Sunniten.



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In diesem Spannungsfeld leben die Christen des Mittleren Ostens seit anderthalb Jahrtausenden, seit es den Islam gibt. Neben den Juden der Region gehörten sie längst zu den etablierten Bevölkerungsgruppen, vor allem in den Städten und Gebieten landwirtschaftlicher Hochkultur, als die von Mohamed unter dem Banner des Islam geeinten Beduinenstämme durch Gewalt zur Vorherrschaft gelangten. Sie sind keine „Fremden“, keine „Gäste“ in den muslimischen Ländern, sondern ältester Bestand, mancherorts die Urbevölkerung. Sie haben, wie die orientalischen Juden, anderthalb Jahrtausende erniedrigender dhimmi-Existenz in islamischen Ländern überstanden, unter wechselnden Bedingungen, von relativer Duldung unter pragmatischen Khalifen bis zu grausamer Verfolgung und blutigen Massakern in Perioden muslimischen Fanatismus.

Doch erst dieser Tage scheint es zu gelingen, sie nachhaltig aus der Region zu vertreiben. Präzedenzfall war die Vertreibung der gleichfalls alt eingesessenen jüdischen Minderheiten aus den meisten arabischen und muslimischen Ländern nach 1948. Man hat im Westen lange nicht verstehen wollen, dass die Vertreibung der orientalischen Juden aus Ländern ihrer angestammten Existenz wie Ägypten, Libyen, Syrien oder Saudi-Arabien nur der erste Schritt im Prozess einer angestrebten totalen Islamisierung war. Man hat hingenommen, dass arabische und andere muslimische Staaten für sich ein Privileg beanspruchten, das man keinem europäischen Land je einräumen würde: die „Judenreinheit“ ihrer Staatsgebiete. Dadurch wurden sie zur Austreibung der Christen, zur „Säuberung“ ihrer Länder von allen Andersgläubigen ermutigt.  Bis heute fördert die Europäische Union einen „Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern“, der die „Räumung“ der jüdischen Siedlungen und die Deportation der in den Palästinensergebieten lebenden Juden als conditio sine qua non voraussetzt. Folgerichtige Konsequenz eines solchen „Friedens“ ist – wie das Schicksal der palästinensischen Christen seit dem Oslo-Abkommen zeigt – die Vertreibung der eingesessenen christlichen Bevölkerungen aus den der „Autonomiebehörde“ übergebenen Gebieten.

Um den Christen im Mittleren Osten wirklich zu helfen, müsste sich die Politik der Europäischen Union in der Region grundsätzlich wandeln. Auf derlei zu warten erlaubt die drängende Not der betroffenen Menschen nicht. Schwester Hatune unterbreitete dem Europäischen Parlament anlässlich einer Anhörung in Brüssel praktikablere Vorschläge, etwa den, eine Schutzzone für die irakischen Christen im Irak zu schaffen, die ihnen das weitere Verbleiben in diesem Land erlaubt. Zweitens appelliert sie an die europäischen Nationen, irakischen Christen, die bereits in Nachbarländer geflüchtet sind und dort unter menschenunwürdigen Bedingungen leben, als Asylanten aufzunehmen. In den muslimischen Nachbarländern hätten die irakischen Christen keinen Lebensschutz, keine Arbeitserlaubnis und würden als Illegale betrachtet. Alle Flüchtlinge, die der Ordensschwester bisher begegnet sind, hätten den dringenden Wunsch geäussert, nie wieder in den Irak zurückkehren zu müssen, da sie dort permanent unter Bedrohung lebten. Sie baten darum, in sichere Länder aufgenommen zu werden, in denen sie nicht von muslimischen Repressalien bedrängt werden und unter menschenunwürdigen Bedingungen dahinvegetieren müssen.

Europa, inzwischen selbst von wachsenden islamischen Bevölkerungen bedrängt, täte gut daran, seinen Sinn für Solidarität zu entwickeln, ein Zeichen zu setzen, aktiv zu helfen. Das Schicksal der irakischen Christen ist ein Menetekel für Europa. Anfänge der Diskriminierung von Christen gibt es längst in Europa selbst, in jenen Gegenden, Stadtvierteln und Orten, wo Muslime schon heute die Mehrheit stellen. Besorgt registrieren Beobachter die Zunahme von No-Go-Areas für Christen und Juden mitten in europäischen Staatsgebieten, beispielsweise in England.8

Der deutsche Innenminister Schäuble hat vorgeschlagen, 30 000 irakische  Christen, die in muslimische Nachbarländer geflohen sind und dort unter bedrückenden Bedingungen leben, nach Deutschland einreisen lassen. Schon wenig später versuchte der irakische Premier Al-Maliqi bei seinem Besuch in Berlin, die Bundesregierung von einer solchen Hilfsaktion abzubringen: für die Zukunft seines Landes sei es besser, wenn die Christen – die meist der gebildeten Mittelschicht angehören – im Lande blieben. Ein eigennütziger Wunsch ohne jede Gewähr. Sicherheit oder Schutz vor islamischem Terror kann die irakische Regierung den Christen auf absehbare Zeit nicht bieten.


ANMERKUNGEN



1 Informationen von www.sisterhatunefoundation.com. Die syrisch-orthodoxe Ordensschwester deutscher Staatsangehörigkeit hat eine Hilfsorganisation gegründet, „Helfende Hände für die Armen“, Konto 11 00 82 32 bei der Sparkasse Paderborn (BLZ 472 501 01).

2 Telefonische Auskünfte von Dr.Thomas Krapf, Berlin, 6.8.2008. vgl. auch Krapfs Veröffentlichung in Mut, Asendorf, Nr.490, Heft 6/2008. Zur jizya vgl. Chaim Noll, Judenhass im Islam, Tribüne, Frankfurt, Heft 185, 2008.

3 Der Bericht in Le Monde behauptet, bis dato hätten ca. 700 000 Christen im Irak gelebt. Andere Quellen vermuten die Zahl erheblich höher.

4 David Parsons, Driven Out. The International Jerusalem Post Holy Land, Supplement.

5 Dark Days in Bethlehem. Newsweek, 29.September 2003.

6 David Parsons, Our Battered Brethren, The Jerusalem Post Christian Edition, January 2006.

7 ibid.  

8 Bischof warnt vor No-Go-Gebieten. In: Komma. Das Magazin für christliche Kultur. Aachen, Heft 49/2008, S.26.



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Der Autor

CHAIM NOLL

ursprünglich Hans Noll, wurde 1954 als Sohn des Schriftstellers Dieter Noll in Berlin (Ost) geboren. Dem Studium der Mathematik in Berlin und Jena folgt ein Studium der Kunst und Kunstgeschichte. Noll war Meisterschüler der Akademie der Künste. Anfang der 80er Jahre verweigert er den Wehrdienst und wird in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Chaim Noll löst sich aus seinen Bindungen an Staat und Partei, was zugleich den Bruch mit seinem Vater nach sich zieht. 1984 wird Noll ausgebürgert, geht in den Westen, arbeitet als Journalist und beginnt eine Karriere als Schriftsteller.

(Foto: © Fred Viebahn)

Von 1992 bis 1995 lebt er in Rom und geht von dort nach Israel, wo er 1998 eingebürgert wird. Er lebt heute in der Wüste Negev und ist Writer in Residence und Dozent am Center for International Student Programs der Ben Gurion Universität Beer Sheva. Zu seinem schriftstellerischen Werk gehören Gedichte, Erzählungen, Romane und Essays.

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Chaim Noll steht gerne für Vorträge oder Lesungen zur Verfügung.
Anfragen richten Sie bitte an:
redaktion@compass-infodienst.de
Betreff: Noll Einladung


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