Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331

ONLINE-EXTRA Nr. 126

Oktober 2010

Ausgehend von der Beobachtung, dass gegenwärtig "kaum eine nichtwestliche Religion in Europa so häufig mit Negativassoziationen belegt wird wie der Islam", kommentiert Mohammed Khallouk im vorliegenden Beitrag die Rolle des Internets und hier insbesondere von islamfeindlichen Internetblogs in diesem "Kulturkampf gegen den Islam".

Er weist darauf hin, dass hinter islamophoben Aktivitäten häufig eine Weltanschauung zutage tritt, die selbst fundamentalistische Züge trägt und im Kern den Werten von Aufklärung und Demokratie widerspricht. In diesem Kontext werden auf entsprechenden Internetblogs auch der Nahostkonflikt und die Nazivergangenheit Deutschlands oft zum Zwecke einer öffentlichen Legitimierung westlicher Islamfeindschaft instrumentalisiert.

Demgegenüber betont Khallouk seine Überzeugung, dass eine wachsende Mehrheit der muslimischen Immigranten gerade in Deutschland erkennen und würdigen werden, wie sehr sie "Nutznießer des jüdischen Kampfes für gesellschaftliche Gleichberechtigung in Deutschland" sind. Dabei könne gerade auch das Internet eine wichtige Rolle spielen, um den religiösen Gemeinsamkeiten sowie dem Siegeszug von europäischer Aufklärung und deutschem Humanismus letztlich weltweit Geltung zu verschaffen.

COMPASS dankt Mohammed Khallouk für die Genehmigung zur Online-Wiedergabe seines Textes an dieser Stelle!



© 2010 Copyright beim Autor 
online exklusiv für ONLINE-EXTRA


Online-Extra Nr. 126


Die Entdeckung des Internets als Instrument im Kulturkampf gegen den Islam

Ein letztes Aufbegehren gegen den Siegeszug des europäischen Pluralismus

MOHAMMED KHALLOUK



Muslime werden medienwirksam zur „Existenzbedrohung für das Abendland“ herauf stilisiert

Kaum eine nichtwestliche Religion wird aktuell in Europa so häufig mit Negativassoziationen belegt wie der Islam. Dies scheint auf den ersten Blick erstaunlich angesichts seiner unverkennbaren Wesensverwandtschaft zum ebenfalls monotheistischen, schon seit fast zwei Jahrtausenden auf dem Kontinent heimischen Juden- und Christentum, der historischen zivilisationsförderlichen Begegnung beider Domänen im maurisch-spanischen Mittelalter und der zunehmenden Anzahl weltoffener, am Dialog mit der Mehrheitsbevölkerung interessierter Muslime in der europäischen Gesellschaft.

Bei der regelmäßigen Revue auf die Beiträge aus landesweit einflussreichen Printmedien, sowie der Themenauswahl von Rundfunk und Fernsehen tritt die überproportionale Häufigkeit von Negativberichten im Zusammenhang mit Islamischen Staaten oder einzelnen Muslimen allerdings sofort ins Auge. Mag die Berichterstattung hierzu trotz dieser unverkennbaren thematischen Selektion noch weitgehend nüchtern und objektiv anmuten, in einer zunehmenden Anzahl an Internetblogs privater Betreiber ist der diffamierende, beleidigende Charakter gegenüber den Muslimen allgemein und ihrer Religion offensichtlich.

Vor allem Gewaltvorkommnisse ausgehend von muslimischen Individuen werden explizit der Religion zugeschrieben. Dabei wird unterstellt, der Islam fordere geradezu zu Gewalt auf, wozu man nicht selten aus dem Zusammenhang gerissene Passagen aus Koran oder Sunna als vermeintliche Belege zitiert. Ebenso attestiert man den Muslimen eine tendenziell feindliche Einstellung gegenüber dem Westen und eine Aversion gegen Juden. Charakteristika, die bei radikalen Islamisten in der Tat anzutreffen sind und ebenso wie ein archaisches Geschlechterrollenverständnis und eine reservierte Einstellung gegenüber Demokratie und Pluralismus aus der Religion heraus erklärt und als „allgemeiner Wesenszug des Islam“ dargestellt werden.

Die anhaltende Immigration aus dem muslimischen Zivilisationsraum in die europäischen Kernstaaten hinein, die von den betreffenden Autoren in ihrer Quantität erheblich überschätzt wird, zeichnet man als Bedrohungsszenario, gegenüber dem die verantwortlichen politischen Eliten in unserem Land es an Sensibilität und Widerstandsbereitschaft vermissen ließen. Die mediale Agitation richtet sich folglich nicht nur gegen die Muslime selbst, sondern in gleichem Maße auch gegen Repräsentanten der Mehrheitsgesellschaft, die Muslimen und dem Islam gegenüber aufgeschlossen sind. Deren Stigmatisierung als „Gutmenschen“ oder „Multi-Kulti-Illusionisten“ zielt darauf ab, sich selbst die Rolle als einzige „aufrechte Quelle des Aufbegehrens gegen die bevorstehende Islamisierung Europas“ und das gezeichnete Angstbild eines „Eurabia“ zuzuschreiben.

Die Islamophobie nährt sich aus einem schablonenhaften Weltbild

Diese Selbsteinschätzung, die in mancher Hinsicht der populistischen Fundamentalopposition radikaler Islamisten ähnelt, belegt zugleich, dass jene Blogbetreiber sich prinzipiell machtlos gegenüber einer unaufhaltsam erscheinenden Entwicklung empfinden, die mit ihrer strikten Welteinteilung nicht konform geht. Der Islam ist bereits gegenwärtig ein elementarer Bestandteil der europäischen Civil Society und islamische Grundprinzipien finden im gesellschaftlichen Alltag ebenso Berücksichtigung wie Ideen, die aus dem Juden- oder Christentum hervorgegangen sind.

Das europäische Wertefundament bleibt in seinem Kern jedoch bestehen, da die Ideale der Aufklärung mit einem hierzulande mehrheitlich vertretenen, zeitgemäß ausgelegten Islam sich als kompatibel erweisen. Barrieren für die Integration von Muslimen ergeben sich weniger durch die demokratisch-pluralistische Grundordnung Deutschlands als vielmehr aus der Konservierung islamfeindlicher Ressentiments in Teilen der Gesellschaft, welche in jenen Internetblogs ihren eigenen Antipluralismus offen zum Ausdruck bringen.

Jene Strömungen benötigen geradezu die beschworene „Parallelgesellschaft muslimischer Immigranten“ und die religiös gerechtfertigte gewalttätige Auseinandersetzung mit radikalen Islamisten, um die eigene Existenz zu rechtfertigen. Die reale Bedrohung für jene Blogbetreiber sind somit nicht die Islamisten, die sie in ihrer Aktivität lediglich bestätigen, sondern die am Dialog und dem respektvollen Miteinander sowie an einer demokratiekonformen Interpretation ihrer Religion interessierten Muslime.

Nicht selten handelt es sich bei den Protagonisten und Betreibern dieser Blogs selbst um fundamentalistische Randgruppen innerhalb des Juden- oder Christentums, deren Religions- und Gesellschaftsverständnis – ähnlich wie bei radikalen Islamisten, aber auch bei säkularen Ideologien wie dem Faschismus oder dem Stalinismus – sich auf einer eindeutigen Schwarz-Weiß-Einteilung der Menschheit stützt. Diese Freund-Feind – Auseinandersetzung hätten sie im Sinne Carl Schmitts auch gerne zur Grundlage der Politik und des Mediendiskurses in Deutschland erhoben.

Die Tatsache, dass sie für ihre diffamierenden Kommentare eigene Blogs benötigen, demonstriert - trotz eines unverkennbaren Einflusses auf die Ansichten der sogenannten „bürgerlichen Mitte“ - somit ihr Scheitern beim Versuch, ihre Ziele und ihre Sichtweise in der öffentlichen gesellschaftspolitischen Debatte zur Geltung zu bringen.




Probe-Abonnement

Kennen Sie schon die tagesaktuellen Ausgaben von
COMPASS-Infodienst?

COMPASS liefert täglich Links zu top-aktuellen Beiträgen
aus folgenden Themenbereichen:


Nahost/Israel, Gedenken und Erinnern, Antisemitismus, Rechtsradikalismus, multikulturelle Gesellschaft, christlich-jüdischer und interreligiöser Dialog, jüdische Welt. Ergänzt von Rezensionen und Fernseh-Tpps!


 
Infodienst

! 5 Augaben kostenfrei und unverbindlich !
Bestellen Sie jetzt Ihr Probeabo:



Nahostkonflikt und Nazivergangenheit Deutschlands dienen der öffentlichen Legitimierung westlicher Islamfeindschaft

Diese Strömungen tragen neben radikalen Bewegungen auf israelischer und palästinensischer Seite eine Mitverantwortung für die Aufrechterhaltung des Nahostkonflikts. Sehen einige christliche Fundamentalisten darin das „Armageddon gegen die Mächte des Satans“, den letzten in der Offenbarung beschriebenen Kampf für die Gemeinde Gottes vor der Wiederkunft des Messias (wobei sie ideologisch an das Gedankengebäude der mittelalterlichen Kreuzrittertums anknüpfen, auch wenn damals ebenfalls zu den Opfern gehörende Juden nun stellvertretend für sie als Christen die „gottgewollte“ Aufgabe erledigen), rechtfertigen politisch offiziell links stehende, „antideutsche“ Bewegungen ihre einseitige Schuldzuweisung an die Muslime an diesem Konflikt mit der historischen Diskriminierung von Juden in Europa und speziell dem von Deutschland ausgegangenen Holocaust. Eine zeitweilige Sympathie europäischer oder amerikanischer Eliten selbst mit von israelischen Intellektuellen für friedensbereit empfundenen Palästinensern stellt in ihren Augen nicht nur eine Ignoranz des als weltweit bedrohlich empfundenen Islamismus dar, sondern entlarve zugleich deren eigenen Antisemitismus.

Mit ihrer gleichzeitigen Pauschalverurteilung der Muslime oder gar des Islam als Religion lassen diese selbsternannten Antifaschisten allerdings ihre ideologische Verwandtschaft zum Rechtspopulismus erkennen, der bei anderer Gelegenheit Juden mit vergleichbaren Kollektivassoziationen belegt wie Muslime. Die tatsächliche Herausforderung für jene Kreise erweist sich folglich weniger in der Existenz des Islam oder des Judentums, als vielmehr in der Notwendigkeit zur Differenzierung und der Akzeptanz von Heterogenität. Wer Juden eine genetische Disposition zu einem bestimmten Verhalten nachsagt, erntet früher oder später antijüdische Ressentiments, obwohl er möglicherweise selbst als sogenannter „Philosemit“ damit sogar erklärtermaßen Positivassoziationen verbindet.

Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig überraschend, dass gerade islamophobe Medien und Internetblogs – trotz ihrer z.T. bis zur Heroisierung gesteigerten verbalen Unterstützung des Staates Israel - sich des ideologischen Repertoires erklärter Antisemiten bedienen. Der von Antisemiten des Neunzehnten Jahrhunderts an Juden gerichtete Vorwurf, einen „Staat im Staate“ zu bilden, wird beispielsweise lediglich durch jenen der „Parallelgesellschaft und Integrationsunfähigkeit“ gegenüber Muslimen ersetzt. Form, Stil und dahinter stehendes Menschenbild bleiben jedoch erhalten.

Die Muslime sind Nutznießer des jüdischen Kampfes für gesellschaftliche Gleichberechtigung in Deutschland

Wo eine ernsthafte Sensibilität bezüglich stigmatisierenden schablonenhaften Einteilungen der Menschheit besteht, treffen gegenüber Muslimen und Arabern gerichtete Kollektivzuschreibungen allerdings auf ebenso schärfste Zurückweisung wie ethnisch, kulturell oder rassisch begründetes Verhalten gegenüber anderen Religionen oder Volksgruppen. Intellektuelle westliche Kritik an menschenrechtswidrigen Aktionen westlicher Staaten gegenüber Muslimen geht daher in nicht geringem Maße von jüdischen Angehörigen von Holocaustopfern wie Evelyn Hecht-Galinski oder Judith Butler aus. Diese sehen sich bezeichnenderweise von jenen islamophoben Blogs ebenso dem Antisemitismusvorwurf ausgesetzt wie bekennende Neonazis oder radikale Islamisten.

Hierdurch lassen sich jene Intellektuellen mit jüdischen Wurzeln allerdings in keinster Weise von ihrem Engagement für Toleranz und Gleichberechtigung aller Religionen und Ethnien abhalten. Dem nicht zuletzt von Juden nach der leidvollen Erfahrung der Shoah erkämpften Schutz vor der Diskriminierung von Andersartigkeit jeglicher Art, die sich mittlerweile sogar in einem auf europäischer Ebene bestehenden Antidiskriminierungsgesetz niederschlägt, haben die später hier hinein immigrierten Muslime einen wesentlichen Teil ihrer gesellschaftlichen Aufstiegschancen zu verdanken.

Die Zurückweisung einer Bewerbung seitens des Arbeitgebers aufgrund der Religion oder des Migrationshintergrundes des Bewerbers erhält heutzutage vor deutschen Arbeitsgerichten keinen Bestand mehr. Trotz der nicht zu leugnenden Ressentiments in Teilen der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Muslimen haben einige von diesen es bereits bis an die Spitze von Parteien oder landesweit bekannten Unternehmen gebracht. Ihre individuellen Aufstiegschancen sind hierzulande heutzutage sogar höher als in den meisten Staaten, in denen Muslime die gesellschaftliche Majorität darstellen und die Scharia offizielle Grundlage der Gesetzgebung ist. Für diese grundgesetzlich garantierte Gleichrangigkeit zu Nichtmuslimen in Deutschland sollten sie sich nicht zuletzt den trotz des erfahrenen Unrechts nach 1945 hier ansässig gebliebenen Juden und ihren Repräsentanten dankbar erweisen.

Der deutsche Humanismus als Fundament einer wertegebundenen Weltgesellschaft

Die erfolgreichste Methode der Opposition gegen jene von einigen Medien und privaten Internetblogs ausgehende Pauschalisierungstendenz erweist sich auch nicht in den bis in höchste Instanzen geführten gerichtlichen Auseinandersetzungen und permanenten verbalen Gegenangriffen, sondern in der Realisierung der Ideale des in Deutschland entstandenen Humanismus. Er wurzelt gleichermaßen in einem Judentum, Christentum wie auch Islam, welches die ethischen Grundsätze des gemeinsamen Stammvaters Abraham beherzigt, der Isaak und Ismael trotz verschiedener Mütter wie vollwertige Brüder gleich behandelt und als Söhne in gleichem Maße geliebt hat.

Indem die europäische Gesellschaft ihrer humanen Grundlage verpflichtet bleibt, verlieren jene am Gegeneinander und Unfrieden interessierten minoritären Kräfte ihre Basis. Deutschland, dass vor 70 Jahren das Zentrum eines weltweit verbreiteten Chauvinismus darstellte, kann damit heutzutage wie im Klassizismus erneut zum Modell für eine auf Humanität und gegenseitiger Achtung fundierende Gesellschaftsordnung heranreifen.

Die von deutschen Aufklärern wie Immanuel Kant, Gotthold Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn ausgehenden Ideale werden weltweite Anhängerschaft finden und andernorts – nicht zuletzt in Israel und Palästina, aber auch in den Herkunftsländern der muslimischen Immigranten - zur Nachahmung motivieren. Das Internet, das in erheblichem Maße dazu beigetragen hat, die Grenzen zwischen Nationen und Zivilisationen durchlässiger werden zu lassen und damit gegenwärtig extremistischen Randgruppen zur beschleunigten Verbreitung ihrer Kollektivressentiments dient, könnte ebenso gut als Medium erkannt werden, das der Demokratie und den Menschenrechten weltweite Geltung verschafft.



MOHAMMED KHALLOUK

Der Nahe Osten am Scheideweg.
Haben Israelis und Palästinenser noch eine Chance zu friedlichem Zusammenleben?


MOHAMMED KHALLOUK
Der Nahe Osten am Scheideweg
Haben Israelis und Palästinenser noch eine Chance zu friedlichem Zusammenleben?



Lit Verlag
Münster 2003
184 Seiten
19,90 Euro


informieren und bestellen

Keine Region ist so konfliktträchtig wie der Nahe Osten. Getrieben von Fanatismus und religiösem Absolutheitsanspruch entsteht zwischen Sinai und Libanon, sowie zwischen Jordan und Mittelmeer ständig neuer Zündstoff für Gewalt und Auseinandersetzungen. Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft von Israelis und Palästinensern kollidiert mit verschiedenen aufeinanderprallenden Ideologien. Immer wieder hat es Versuche gegeben, ein gemeinsames friedliches Zusammenleben der beiden Völker zustande zu bringen, die bisher jedoch alle den gewünschten Erfolg vermissen lassen.

Die Entwicklung des Konflikts von seinem Ursprung bis zum heutigen Tage wird in diesem Buch behandelt. Im Mittelpunkt stehen die vielen bisher erfolglosen Einigungsversuche und die Gründe für ihr Scheitern. Gleichzeitig stellt es aber auch Wege vor, wie aus dieser scheinbar nicht enden wollenden Feindschaft ein Miteinander erwachsen kann.





Der Autor

MOHAMMED KHALLOUK

Dr., geboren 1971 in Sale, Marokko, 1993-1997 Studium der Sprachwissenschaft an der Mohammed V.- Universität Rabat. Schwerpunkte: Internationale Sprachtheorien, Geschichte der Sprachen und Philosophie. 1997-1998 Studienkolleg in Marburg; Schwerpunkte: deutsche Literatur, Geschichte, Sprache und Soziologie. 1999-2003 Studium der Politikwissenschaft mit den Nebenfächern Französisch und Allgemeine Sprachwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg mit Abschluss Magister Artium, 2004-2007 Promotion über islamischen Fundamentalismus in Marokko. Seit 2008 Habilitation an der Bundeswehruniversität München über Juden in Marokko. Seit 2008 Teaching and Resarch Asisstant im Bereich “Politische Theorien” an der Philipps-Universität Marburg.

Kontakt zum Autor und/oder COMPASS:
redaktion@compass-infodienst.de