Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331
01.10.2008 - Nr. 968

Hans Maaß rezensiert:
"50 Fragen zum Antisemitismus ..."



„Fehlt nur noch, dass der in die Menge schießt“

[ZENITH Zeitschrift für den Orient]
Von Marina S. Khatibi | Antisemitismus und Islamophobie – diese Reizbegriffe sollte eine Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung hinterfragen. Das Vorhaben scheiterte in einer Weise, die sogar Skeptiker überraschen musste ... 

Islamophobie und Antisemitismus



Von Klaus Faber | Zwei sehr verschiedene Begriffe und Problembeschreibungen. Beitrag zur Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung: "Islamischer Antisemitismus" und "Islamophobie" am 17. 09. 2008 ...... 



Zu Gast bei ...


Original-Beitrag


Nachfolgend lesen Sie einen Original-Beitrag des evangelischen Theologen Hans Maaß. Als Schuldekan und Kirchenrat war er über zwei Jahrzehnte im Evang. Oberkirchenrat Karlsruhe für alle Fragen zuständig, die den Religionsunterricht an Grund-, Haupt-, Sonder- und Realschulen betreffen. 1992 - 2003/2004 Lehrauftrag an der PH Karlsruhe für Neues Testament und Judentum. Maaß ist u.a. Vorstandsmitglied im Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit.



COMPASS dankt dem Autor für die Genehmigung zur Wiedergabe
seiner Rezension an dieser Stelle.


"Alle Juden sind..."
50 Fragen zum Antisemitismus



informieren und bestellen



Selten hat mich ein Sachbuch so fasziniert wie dieser Band, der sich zwar mit „Vorurteilen, Hetzparolen und Verschwörungstheorien auseinandersetzen“ möchte, aber in der Form und Art seiner Darstellung weit über das hinaus geht, was man üblicherweise an Argumentationshilfen gegen Stammtischparolen kennt.

Dazu tragen auch die zahlreichen authentischen Abbildungen bei, die sowohl der christlichen Kunst entstammen als auch aus der nationalsozialistischen Hetzliteratur für Kinder, die zwar den meisten Lehrerinnen und Lehrern nicht bekannt sein dürften, aber in der Neo-Naziszene immer wieder einmal auftauchen. Die Holländer, aus deren Feder das Buch stammt, sind uns da um einiges voraus.

Knapp und dennoch informativ sind die Sachtexte. Sie sind in der Regel so aufgebaut, dass grundsätzlichen, leicht verständlich gehaltenen Antworten zu der jeweiligen Frage außer bildlichen Darstellungen auch noch – farblich abgesetzt – weitere einschlägige Informationen folgen. Trotz der insgesamt ausgezeichneten Auseinandersetzung mit den einschlägigen Fragen, weswegen man dieser Veröffentlichung eine weite Verbreitung wünscht, sind doch an einzelnen Stellen kritische Bemerkungen anzubringen, auf die bei unterrichtlicher Verwendung zu achten ist. Deshalb erfolgt hier eine detallierte Auseinandersetzung.

Zu der Frage „Wer ist jüdisch?“ beispielsweise folgt auf eine – trotz Knappheit – sehr differenzierte Darstellung unterschiedlicher Verständnisse ein kurzer Abschnitt über „Thora und Bibel“, in dem auf den Zusammenhang von Christen und Juden eingegangen wird, danach ein Abschnitt über das Wort „Jude“ und seine Geschichte. Dass zu der Frage „Sind die Juden ein Volk?“ einerseits sehr differenziert dargestellt wird, wie schwer es generell ist, ein „Volk“ als solches zu definieren, andererseits aber nur darauf verwiesen wird, innerhalb „der jüdischen Tradition“ sei immer „von einem Volk die Rede gewesen“, ist zu wenig. Hier wäre ein Hinweis nötig gewesen, dass die Bibel Israel immer als Volk bezeichnet. Nur so kann man gegen nationalistische Missverständnisse angehen. Richtig ist dagegen, was zum Thema „Rasse“ gesagt wird – informativ die bildlich-grafische Darstellung der Nürnberger Rassengesetze. Dasselbe gilt für die Frage nach dem „jüdischen Blut“. Dass der Begriff erstmals im Spanien des 15. Jh. aufkam, dürfte weithin unbekannt sein. Die in einen Satz gefasste Darstellung des Exodus entspricht nicht mehr nur den seit Jahrzehnten bekannten historischen Forschung, sondern könnte in dieser Knappheit – ungewollt – auch dem Vorurteil vom ewig wandernden Juden Vorschub leisten. Vorsicht also!

Das zweite Kapitel widmet sich der Geschichte des Antisemitismus. Hier ist u.a. ein mit „Diskussion“ bezeichneter Abschnitt für selbständige Schülerarbeit geeignet. Den Begriffen „semitisch“ und „antisemitisch“ wird sowohl sozialgeschichtlich als auch biblisch-sprachlich nachgegangen und festgestellt, dass es den Begriff zwar erst seit dem 19. Jahrhundert, den Sachverhalt aber schon seit dem Altertum gibt. Hier wäre ein kurzer Hinweis, worauf der antike Judenhass zurückzuführen ist, hilfreich gewesen. Auch über Begriff und Entstehung von Gettos wird sachlich informiert. Wichtig und entsetzlich zugleich sind die verschiedenen „antisemitischen Mythen und Legenden“, die zum Teil aus Unwissenheit noch heute bestehen. Auf Hostienschändung über Kindermorde bis zur „Weltverschwörung“, politischer und Finanzlobby wird hier – auch durch Bildmaterial – eingegangen.

Theologischen Fragen ist das Kapitel „Fragen zu Juden, Christen und Muslimen“ gewidmet. Der erste Abschnitt, in dem es u.a. heißt, dass „Christen wie Juden beiderseitig sehr polemisch“ gewesen seien, ist mir dabei zu undifferenziert, der Abschnitt über das Verhältnis von Juden und Muslimen zu harmonisierend, was sicher der Kürze geschuldet ist. Ehrlich ist dagegen der Hinweis auf judenfeindliche Stellen im Neuen Testament, besonders aufschlussreich der Abschnitt über den Vorwurf das „Gottesmordes“, seine theologische und historische Unhaltbarkeit und die verheerenden Auswirkungen. Luthers antijüdische Schriften sind zwar ein Schandfleck für die evangelische Kirche, sollten aber von Luthers fundamentalistischem Biblizismus und seiner Höllenangst her gesehen werden, um heutigen theologischen Tendenzen bis hin zur Judenmission sachgerecht entgegentreten zu können. Dass der heutige islamische Antisemitismus ein europäisches Erbe ist, trifft zu, wird aber durch die Palästina-Frage verschärft. Ein weiteres Kapitel ist dem Antisemitismus in Deutschland und Österreich vor dem Zweiten Weltkrieg gewidmet und geht auf die unterschiedlichen Phasen innerhalb des osmanischen Reiches (bei 400 Jahren Herrschaft nicht verwunderlich!) ein.

Im Kapitel über „Holocaust und Schoah“ wird der Begriff „holokauston“ als Opfer für eine heidnische Gottheit bezeichnet. Er ist allerdings in der Septuaginta die geläufige Übersetzung für „olah“, das Opfer, das ganz verbrannt wurde. Dies wurde gegen Ende des 20. Jh. als eine zu frivole Bezeichnung für den systematischen Judenmord empfunden und deshalb vielfach durch „Schoah“ ersetzt. Sehr erhellend wird der Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Schoah – samt unterschiedlichen Deutungen – dargestellt und dabei auch auf die Rolle Hitlers eingegangen. Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen sonstigen Genoziden und der Schoah. Die Frage, ob eine Holocaustleugnung möglich ist, leitet schon zu dem vorletzten Kapitel über Israel und den „Mittleren Osten“ über, eine Bezeichnung, die zeigt, wie problematisch es ist, mit geografischen Richtungsangaben zu operieren.

Dass Herzls Bewegung dem „religiösen Zionismus“ zugeordnet wird, ist ungewöhnlich. Auch sonst gibt es in diesem Abschnitt einige Ungenauigkeiten. So „trennten die Vereinten Nationen Palästina“ nicht „in einen jüdischen und einen arabischen Teil“, sondern sie erklärten, „es entsteht ein unabhängiger jüdischer und ein unabhängiger arabischer Staat“. Dies ist ein völkerrechtlicher Unterschied! Es trägt nichts zur Klärung bei, wenn der Eindruck entsteht, die Juden hätten mit der Staatsgründung einen einseitigen Akt vorgenommen. Sie haben vollzogen, was die UNO beschlossen hatte. Dies gehört zu den notwendigen Antworten auf Antisemitismus.

Informativ ist die Frage nach dem Zusammenhang von Zionismus und Antisemitismus dargestellt. Dass jüdische Zionisten von der „imperialen Großmacht Großbritannien“ unterstützt worden seien, widerspricht dagegen deren restriktiver Einwanderungspolitik – bis hin zur Tragik der Exodus! Auch die Frage „palästinensischer Flüchtlinge“ wird zu undifferenziert dargestellt. Ein Auszug aus dem Artikel eines amerikanischen Hochschuldozenten zum Thema der Kriege Israels mit der Behauptung, es habe auch einen „israelischen Krieg für ein Großisrael“ gegeben, ist problematisch. Gut widerlegt der Abschnitt über Zionismus und Rassismus dieses Vorurteil. Auch die Feststellung, dass der ursprünglich territoriale Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern allmählich von religiösen Motiven überlagert wurde, dient ebenso der sachlichen Klärung wie die Widerlegung des Vorwurfs, Israel wiederhole gegenüber den Palästinensern die Nazi-Rassenpolitik, der als antisemitisch bezeichnet wird. Die Problematisierung des Begriffs „neuer Antisemitismus“ ist berechtigt, sofern zu fragen ist, was an dieser Einstellung tatsächlich neu oder nur neu aufgelegt ist.

Diese kritischen Anmerkungen zu Einzelfragen ändern nichts am Gesamturteil über dieses Büchlein, das sich hervorragend als Unterrichtsmaterial eignet.

[Hrsg.] Anne Frank Haus Amsterdam:
»ALLE JUDEN SIND …« 50 Fragen zum Antisemitismus.
183 S., kart., zahlreiche Abbildungen;
Verlag an der Ruhr, Müllheim a.d.R. 2008
Euro 19,80

Dr. Hans Maaß





Wo die Rechtsextremen zweitstärkste Kraft sind



Zwei Tage nach den brandenburgischen Kommunalwahlen zeugen noch vereinzelt Plakate an den Laternenmasten an der Bagemühler Dorfstraße vom Wahlkampf. Der Wind spielt mit den Resten eines NPD-Plakates, dessen Draht quietschend an einem Laternenmast scheuert. In dem unmittelbar an der vorpommerschen Grenze liegenden Dorf in der nordwestlichen Uckermark ist die NPD zur zweitstärksten politischen Kraft geworden... 

"Zornige Österreicher"


Rechtsruck in Österreich: Die Historikerin Brigitte Hamann über die Gründe für den nationalistischen Triumph. Interview... 

Gezocke um Nazi-Shop



Von Andreas Speit | Wusste die HSH Nordbank vor Unterzeichnung des Mietvertrags, dass im "Brevik"-Shop Thor Steinar- Bekleidung verkauft werden würde? Ja, behauptet Inhaber Uwe Meusel. Die Bank dementiert... 

20 Prozent, manchmal mehr



Von C. von Bullion | Die Rechtsradikalen sind in Brandenburg schlecht aufgestellt und haben wenig Geld, doch der jüngste Urnengang zeigt: die Mobilisierung rechtsextremer Wähler nimmt zu...


FC Hansa Nazi?



Von Olaf Meyer | &Vier Tage nach den Ausschreitungen von Rostock schlagen die Betroffenheitswellen nach wie vor hoch, allerdings mehren sich auch Vorwürfe um das Versagen eigentlich Verantwortlicher...nbsp;




Abo-Hinweis

 Die Information, in welchem externen Medium Sie den vollständigen Text kostenfrei lesen können sowie einen Link dorthin ist angemeldeten Abonnenten vorbehalten!
Sie möchten die Information über die Fundstelle inkl. Quellenangabe und Link zum Artikel sehen und nutzen, um den angegebenen Artikel zu lesen?
Dann abonnieren Sie unsere Seiten oder testen Sie uns vorab mit einem kostenfreien Schnupper-Abonnement!
Abo bestellen

Sie sind bereits Abonnent?
Dann melden Sie sich bitte erst mit Ihrem Benutzernamen und Passwort an, um die Fundstelle inkl. Quellenangabe und Link sehen und nutzen zu können!

Anmeldung