Deutsche Bibliothek ISSN 1612-7331

ONLINE-EXTRA Nr. 219

März 2015

Im laufenden Jahr feiern wir das 50-jährige Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland. Das Jubiläum fällt in eine Zeit, in der eine auffallend asymetrische Entwicklung der Bilder und gegenseitigen Wahrnehmung der beiden Völker zu beobachten ist. Während Deutschland im Auge vieler Israelis eine geradezu atemberaubende Sympathie genießt, betrachten viele Deutsche Israel mit äußerst kritischen Augen. Dieser Asymmetrie gesellt sich hierzulande eine weitere, interne Asymmetrie hinzu, auf die jüngst der Historiker Michael Wolffsohn hingewiesen hat: Die mal mit mehr, mal mit weniger Sympathie verbundene, jedoch substanziell starke Verbundenheit mit Israel wird in Deutschland nur von einer vergleichsweise kleinen politischen Elite geteilt, während in der breiten Mehrheit der Bevölkerung nur wenige Zeichen einer solchen Verbundenheit zu beobachten sind.

Nun galt schon immer: Israel ist für Deutsche kein Land wie alle anderen, und Gleiches gilt für Deutschland aus israelischer Sicht. In kaum einem anderen Verhältnis zweier Völker spielt die Geschichte - präziser: die Unheilsgeschichte, die beide Völker miteinander teilen, eine so prägende Rolle, wie das zwischen Israel und Deutschland der Fall ist. So mag es kaum verwunderlich sein: Fällt der Name des einen Landes im anderen, werden bei Deutschen und Israelis unweigerlich bestimmte Bilder und Konzepte aufgerufen. Welche das sind, scheint sich mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Holocaust zu ändern, wenngleich die tradierten Bilder und Konzepte (im Guten wie im Schlechten) keineswegs ganz verschwinden. Wie sich das in der gegenseitigen Wahrnehmung auswirkt, beschreiben die Autoren der heutigen Doppelausgabe von ONLINE-Extra David Witzthum für die israelische (ONLINE-EXTRA Nr. 219) und Sylke Tempel für die deutsche Seite (ONLINE-EXTRA Nr. 220).

Beide Beiträge erschienen Ende Januar diesen Jahres "Aus Politik und Zeitgeschichte" (APuZ 6/2015), der Beilage der Wochenzeitung "Das Parlament", die dem Thema "Israel und Deutschland" gewidmet war. Bitte beachten Sie dazu auch den Hinweis in der Anzeige weiter unten.  

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Autor: David Witzthum für bpb.de 
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Online-Extra Nr. 219


Israelische Deutschlandbilder

DAVID WITZTHUM

25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer findet in Israel ein komplexer und lebhafter Diskurs über Deutschland statt, der die traditionellen Deutschlandbilder in Israel radikal verändert. Deutschland war einst ein Land, das sowohl Furcht als auch Bewunderung auslöste. Mittlerweile gehört es in den israelischen Medien (und offensichtlich nicht nur in den israelischen) zu den beliebtesten Ländern. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist in Israel wahrscheinlich noch populärer als in ihrem eigenen Land. Sogar der deutsche Fußball, von hiesigen Kommentatoren früher mit Nazivokabular beschrieben, ist uns sympathisch geworden – und eine Quelle des Neids. Berlin steht im Zentrum eines intensiven Diskurses, als Option nicht nur für den Tourismus, sondern sogar für die Emigration: ein Land unbegrenzter Möglichkeiten – nicht in der Neuen Welt, den USA, sondern mitten in Europa.

Seit Kurzem ist sogar eine neue Definition von Identität im medialen Umlauf – mit einem langen historischen Echo: "Ich bin ein Berliner Israeli", sagte ein junger Mann kürzlich in eine deutsche Fernsehkamera. Hier stellt sich die Frage: Haben wir es mit einem Trend, einer Mode, einer Pose zu tun – oder eher mit einem tieferen Prozess unter Israelis und ihren früheren Identitäten? Oder sind wir mit einer Herausforderung kultureller oder politischer Natur konfrontiert, die sich auf uns selbst bezieht – mit einer Trotzreaktion auf die israelische Gesellschaft? Handelt es sich also um eine innerisraelische Debatte, die mit der politischen Situation des Landes zu tun hat? Um diese Behauptung wird es im Folgenden gehen.


Deutsche Identität in Israel

Von Beginn an spielten die deutschen Juden bei der Etablierung der israelisch-deutschen Beziehungen nach der Shoah eine besondere Rolle. Tatsächlich fühlten sich viele von ihnen als Deutsche, die nur von den Nazis daran erinnert worden waren, dass ihre Identität (auch) jüdisch ist. Die Nazis hatten sie zu Fremden in ihrer Heimat gemacht, und sie waren – fast paradoxerweise – die Pioniere, die nach dem Krieg die Verbindung wieder aufnahmen. Zahlreiche Akademiker, Schriftsteller, Künstler und Musiker gingen zurück nach Deutschland – zunächst als Besucher, manche später auch dauerhaft als Heimkehrer, in den Osten wie in den Westen.

Von Anfang an waren israelische Journalisten deutscher Herkunft maßgeblich daran beteiligt, das Image Deutschlands in Israel zu gestalten. Sie schrieben für die israelische Öffentlichkeit, und kritisierten Deutschland häufig, wie etwa Gershom Schocken, Herausgeber der Tageszeitung "Ha’aretz". Auch Azriel Carlebach gehörte dazu, der Herausgeber der "Ma’ariv", die unter seiner Leitung die beliebteste Zeitung Israels wurde, und später Uri Avneri, der den "Spiegel" als sein journalistisches Vorbild bezeichnete und in Rudolf Augstein so etwas wie einen beruflichen Zwilling sah.1

Da sie auf Hebräisch schrieben, konnten diese Journalisten die öffentliche Meinung in Israel mitprägen; und sie taten dies unter der schützenden Hand von Premierminister David Ben-Gurion, der die Beziehungen zum "anderen Deutschland" – und zu seinem Partner in dieser Sache, Konrad Adenauer – brauchte und förderte. Schon bald entstanden starke und komplexe Verbindungen; sie begannen mit der "Wiedergutmachung" und gipfelten, nach einigen Jahren verdeckter militärischer Kooperation, 1965 in der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, die trotz aller Krisen niemals schwerwiegenden Schaden erlitten. Aber dies macht nur einen Teil des deutschen Images in Israel aus. Ein weiterer wichtiger Teil ist der Beitrag der deutschen Juden zur Kultur, den Künsten, dem Rechtssystem, der Architektur, der Musik und der Bildung in Israel. Generationen von Israelis sind in der hebräischen Sprache und Kultur aufgewachsen, ohne zu wissen, wie viel von Deutschland hier verwurzelt ist.

Das Image Deutschlands in Israel war stets janusköpfig: auf der einen Seite die verehrte Kultur, ein Vorbild seit Herzls "Altneuland", und auf der anderen die Nazis, die Täter der Shoah. Ironischerweise blockierten beide Gesichter einen großen Teil der konkreten Bezüge zum realen Deutschland, jenem geteilten Land, das mit der Nachkriegssituation zu kämpfen hatte. Aus israelischer Sicht wurde Deutschland fast zu einem fremden Land, ominös und stets kurz davor, sich in ein "Viertes Reich" zu verwandeln, worauf zahlreiche Kolumnisten – nicht nur in Israel, sondern auch in Europa und sogar in Deutschland – rasch hinwiesen, wenn Beunruhigendes geschah: Gewalt durch Neonazis, Schändung jüdischer Friedhöfe, antisemitische Äußerungen, Nachsicht gegenüber Kriegsverbrechern und so weiter. Und als Menachem Begin 1977 Premierminister wurde, wurde das Gedenken an den Holocaust politisiert. Es nahm einen zentralen Platz in der israelischen Perspektive gegenüber Deutschland ein, während auf der östlichen Seite der Berliner Mauer weiterhin jegliches Signal verweigert wurde.



Aus Politik und Zeitgeschichte


"Aus Politik und Zeitgeschichte" - die Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament" - wird von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) herausgegeben.

Sie veröffentlicht wissenschaftlich fundierte, allgemein verständliche Beiträge zu zeitgeschichtlichen und sozialwissenschaftlichen Themen sowie zu aktuellen politischen Fragen.

Sie ist ein Forum kontroverser Diskussion, eine Einführung in komplexe Wissensgebiete und bietet eine ausgewogene Mischung aus grundsätzlichen und aktuellen Analysen.


Eine Übersicht der Themen und Beiträge des laufenden Jahrs sowie der zurückliegenden Jahrgänge finden Sie hier:
APuZ



Verändertes Image seit der "Wende"

All dies – und noch viel mehr – veränderte sich in der historischen Nacht des 9. November 1989. Plötzlich sahen sehr überraschte Israelis Bilder schierer menschlicher Freude über die neu gewonnene Freiheit. Diese Bilder zerstörten bestehende Stereotype über Deutschland und brannten sich tief in das israelische kollektive Gedächtnis ein. Der Mauerfall hatte in Israel jedoch nicht nur aufgrund der Freude in Europa eine tief greifende Wirkung, sondern auch wegen des Verhältnisses der Mauer zur israelischen Realität: der andauernden Erfahrung eines Lebens im Belagerungszustand, hinter Grenzen, Mauern und Zäunen. Dies ist für Israelis immer noch ein tiefes Trauma und hat in der jüngsten Zeit zu dem geführt, was als Paradigmenwechsel im israelischen Denken über den israelisch-palästinensischen Konflikt beschrieben werden kann – von Besetzung zu Separation. Diese Verlagerung hat ihre Inspiration möglicherweise in Berlin gefunden, wurde aber erst mit der zweiten Intifada und ihren Terrorangriffen sowie dem wachsenden Verlangen nach endgültigen, sicheren Grenzen politisch wirksam.

Der Wandel des deutschen Images in Israel war derart tief, dass auch schlechte Nachrichten die Uhren diesbezüglich nicht mehr zurückdrehen konnten – weder die Enthüllungen über den deutschen Beitrag zu Saddam Husseins Chemiewaffen noch die Gewalt von deutschen Neonazis gegen Ausländer und Juden im Winter 1992/93. Es hat sich gezeigt, dass das Bild Deutschlands trotz einiger Schwankungen positiv blieb und bis heute positiv ist.2

Es besteht jedoch eine bedeutende Dichotomie, was die Sicht der beiden Länder auf einander betrifft: Der Historiker Moshe Zimmermann hat festgestellt, dass zwar die breite israelische Öffentlichkeit Deutschland im Laufe der Jahre immer positiver sieht (90 Prozent bejahen die Frage "Halten Sie die Beziehungen für normal?"),3 die israelischen Eliten (Politiker, Journalisten, Wissenschaftler und andere) aber deutlich reservierter sind – vermutlich, weil sie sich als "Hüter" des offiziellen israelischen Diskurses sehen, der in Bezug auf Deutschland nach wie vor eher von der Shoah geprägt ist.

Eine parallele Dichotomie – wenngleich in umgekehrter Richtung – ist in den deutschen Einstellungen zu Israel zu erkennen: Die offiziellen Vertreter Deutschlands – Minister, Parlamentsmitglieder, Amtsträger und kulturelle Eliten betonen eher die Verantwortung Deutschlands aufgrund seiner Vergangenheit, und Kanzlerin Merkel hat sogar beteuert, dass die Sicherheit Israels Teil der deutschen Staatsräson sei. Dagegen ist die deutsche Öffentlichkeit viel stärker antiisraelisch eingestellt. Dies wird von zahlreichen Meinungsumfragen bestätigt: Viele Deutsche sehen in Israel eine "Gefahr für den Weltfrieden"4 und sind der Ansicht, die israelische Politik gegenüber den Palästinensern sei so grausam und ungerecht, dass sie gar der Politik Nazideutschlands ähnele. Dieses Paradox – die breite und wachsende Sympathie in Israel gegenüber Deutschland, verglichen mit wachsender deutscher Antipathie gegenüber Israel – ist keineswegs einzigartig: In anderen europäischen Ländern ist die Lage ähnlich.


Deutschland als Spiegel

Eine Erklärung für diese Diskrepanz ist das Paradox, dass trotz der scheinbar end- und grenzenlosen Informationen, die jedermann zur Verfügung stehen, sowohl Israelis als auch Deutsche fehlerhafte Informationen übereinander und ein fehlerhaftes Verständnis voneinander haben. Ich selbst habe von deutschen Reportern in Israel häufig die Klage gehört, dass sie hauptsächlich über den israelisch-palästinensischen Konflikt berichten müssen und dass ihnen kaum Zeit oder Raum für andere Themen eingeräumt wird. Kein Wunder, dass auch faire Berichterstattung über Israel das Land so darstellt, als würde es sich ausschließlich um den Kampf gegen Araber kümmern, wohingegen die Berichterstattung über Deutschland, wie ich noch ausführen werde, in den israelischen Medien sehr vielfältig ist.

Wenn wir jedoch tiefer in die Materie eindringen, stellen wir fest, dass die israelische Berichterstattung über Deutschland sehr stark vom Charakter der eigenen Gesellschaft und Kultur ausgeht – und die Ereignisse in Deutschland entsprechend interpretiert und bewertet werden. Informationen werden jeweils nach ihrem Bezug zum israelischen Diskurs bewertet. Genau wie der Fall der Mauer als Metapher für die versteckten Sehnsüchte der Israelis wahrgenommen wurde, so handeln auch viele andere Geschichten (nicht nur) aus Deutschland tatsächlich von uns, und in gewisser Weise erfüllen die Deutschen in diesen Geschichten dabei den gleichen Zweck wie Figuren in einer Parabel.5

Überdies: Über Deutschland wird hauptsächlich aus der Ferne berichtet – denn in den vergangenen Jahren schicken die israelischen Medien immer weniger Korrespondenten dauerhaft nach Deutschland, und die großen Medienunternehmen verlassen sich auf freischaffende Reporter, Nachrichtenagenturen und das Internet. Bei wichtigeren Angelegenheiten – etwa Besuche von Staatschefs, große nationale oder internationale Veranstaltungen – arbeiten sie mit Korrespondenten, die nicht zur Auslandsredaktion gehören, aber Spezialisten für Diplomatie, Militär oder den Nahen Osten sind. Die Redakteure selbst ziehen Geschichten vor, die einen israelischen Bezug oder Kontext haben (eine Tendenz, die überall in den Medien anzutreffen, aber in Israel besonders stark ausgeprägt ist), und so kann man in den Berichten über Kultur, Sport oder Wirtschaft in Deutschland auch "israelische" Geschichten finden, etwa wenn es um israelische Künstler, Sportler oder Unternehmer in Deutschland geht. Aber auch Geschichten über den Holocaust zählen dazu – über Überlebende, Experten oder andere, die daran beteiligt sind, das kollektive Gedächtnis und Gedenken aufrechtzuerhalten.

Sogar Skandale mit Ursprung in Deutschland scheinen "israelisch" zu werden, wenn sie hier behandelt werden: Dies war im April 2012 etwa der Fall bei dem idiotischen "Gedicht" von Günter Grass über die Gefahr und das Schweigen zur israelischen Atombombe im Vergleich mit dem iranischen Regime. Nachdem die israelischen Medien sich einen Tag lang mit Grass und seiner SS-Vergangenheit beschäftigt hatten, wandten sie sich zügig unserem eigenen Innenminister Elijahu Yishai zu, der entschied, Grass in Israel zur persona non grata zu erklären. Hohn und Kritik an Yishai drängten Grass selbst rasch an den Rand der Berichterstattung. Dasselbe geschah mit Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, als er im Februar 2014 in der Knesset ein paar unglückliche Sätze zum ungleichen Wasserverbrauch der Palästinenser und Israelis sprach. Die Berichterstattung wandte sich fast sofort der grundlegenden Frage nach Palästinensern, Siedlern und dem Zugang zu Wasser zu. Und so stritten linke und rechte israelische Stimmen über Nachrichtenquellen und die Frage, ob die nationalreligiöse Partei "Jüdisches Heim" taktlos gehandelt habe, als sie aus Protest den Saal verließ, während der Gast aus Europa noch sprach.

Sogar als das Landgericht Köln im Juni 2012 die (jüdische wie muslimische) Beschneidung von minderjährigen Jungen für ungesetzlich erklärte, weil diese eine Körperverletzung darstelle, mobilisierte diese Nachricht in Israel keine antideutschen Gefühle. Vielmehr hatte dies für viele mit der jüdischen Gemeinschaft und Existenz in Deutschland zu tun, die in Israel traditionell als problematisch erachtet wird. Ezer Weizmann, von 1993 bis 2000 israelischer Präsident, verlieh dieser Geisteshaltung typischen Ausdruck, als er im Januar 1996 während eines Deutschlandbesuchs sagte: "Ich kann nicht verstehen, wie Juden hier leben können." Überdies werden die orthodoxen Rabbiner, die ihre Stimme gegen das Kölner Urteil erhoben, von der säkularen und liberalen Öffentlichkeit in Israel als Bedrohung für ihren Lebensstil wahrgenommen, weshalb sie in den israelischen Medien ohnehin nur wenig Sympathie für ihre Anliegen wecken können.

Wenn wir uns nun wieder der Berichterstattung über Israelis in Berlin zuwenden, ist die Ironie augenfällig: Während junge Israelis in Berlin als "Berliner Israelis" eine Identität zurückfordern, die ihren Vorfahren geraubt wurde, sehen wir sie in den israelischen Medien, und unser Diskurs über sie und Berlin dreht sich eigentlich nicht wirklich um Deutschland, sondern nur um uns selbst. Er dreht sich um Israel und die Schwierigkeiten, die das Land seiner jungen Generation bereitet – und sie zwingt, im Ausland nach einem besseren Leben zu suchen.


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Deutschland in den Fernsehnachrichten

Um meine These vom "israelzentrischen" Charakter des Images von Deutschland in den israelischen Medien zu untermauern, habe ich eigens für diesen Beitrag die Hauptthemen mit Deutschlandbezug untersucht, die in den zurückliegenden zehn Jahren in der Abendnachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Channel 1 aufgegriffen wurden. Die Ergebnisse (Tabelle) belegen die beschriebenen Hauptargumente: Sogar in Berichten über Deutschland nehmen die bilateralen Themen, das heißt der Umgang mit Israel und den Israelis, mit 69 (von 335) Berichten den ersten Platz ein: Dies ist natürlich auch ein klares Zeichen dafür, dass die bilateralen Beziehungen selbst für Israel umfassend, eng und wichtig geworden sind. Ein dominantes Thema in dieser Berichterstattung sind die häufigen Zusammenkünfte in Berlin und Jerusalem, nicht nur von Staatschefs, sondern auch von ganzen Regierungen. Besondere Aufmerksamkeit schenkten die israelischen Medien auch der Rolle Deutschlands als Mediator zwischen Israel und der Hamas oder Israel und der Hisbollah.

Neben den bloßen Zahlen steht qualitativ der Eindruck, dass die allgemeine Einstellung der israelischen Medien gegenüber Deutschland außerordentlich zustimmend ist. Kanzlerin Merkel wird als ideale Staatschefin gesehen – und schneidet im Vergleich mit der israelischen Führung positiv ab. Wie Deutschland mit seiner Vergangenheit umgeht, wird als tief greifend und ernsthaft wahrgenommen, und überhaupt wird es als freundliches und einladendes Land angesehen – sei es für Tourismus, Geschäftsbeziehungen oder gar als Wohnort für Studium, Arbeit oder noch mehr.

Sogar im Zusammenhang mit den Konflikten zwischen Deutschland und Griechenland wegen der europäischen Hilfsprogramme und den Forderungen nach griechischen Reformen berichteten die israelischen Medien positiv über die deutsche Position. Davon ausgenommen war nur ein Thema: die Abwicklung des griechischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks, was uns in Israel daran erinnerte, dass Channel 1 selbst am Rande der Schließung steht. Daher handelt auch diese Geschichte eigentlich von uns.


Fazit

70 Jahre nach der Zerstörung Deutschlands, Europas und des europäischen Judentums kann man möglicherweise zum ersten Mal sagen, dass die Erinnerung an die Shoah die israelisch-deutschen Beziehungen nicht trübt. Im Gegenteil: Sie trägt zu diesen Beziehungen Tiefe und Ernsthaftigkeit bei, sowohl als Ergebnis der anhaltenden "Auseinandersetzung" mit der Vergangenheit als auch mit der fortdauernden Verantwortung, zu der Deutschland sich nach wie vor bekennt. Israelische Medien berichten auch über Themen, die sie für die Unzulänglichkeiten Deutschlands halten – übertriebene political correctness, konservative und manchmal übermäßige Vorsicht, die radikalen bis extremen Stimmen am Rande von Politik und Gesellschaft oder Projektionen von Schuld auf das Handeln Dritter. Aber verglichen mit den gegenteiligen Tendenzen geht der Anteil der kritischen Berichte immer stärker zurück.

Israels Problem liegt nicht nur in den Medien, sondern auch in der Politik. Und solange die gegenwärtigen Tendenzen darin anhalten, werden sich viele Deutsche der jüngeren Generationen den kritischen und antiisraelischen Stimmen anschließen, die sich beispielsweise in Kampagnen wie der internationalen BDS-Kampagne (boycott, divestment, sanctions) ausdrücken und einen vollständigen Boykott Israels und seiner Produkte fordern. Diese Stimmen sind, sowohl in Deutschland als auch in Israel, bislang vor allem außerhalb der etablierten Massenmedien zu hören – im Internet und in sozialen Netzwerken, die von Einzelpersonen und zivilgesellschaftlichen Gruppen betrieben werden. Dieser neue Diskurs jedoch, von alten Einschränkungen und Verpflichtungen befreit, kann die Art und Weise verändern, in der wir einander sehen und wahrnehmen – nicht nur in Deutschland und Israel, sondern auch in unseren stark unterschiedlichen Regionen, Gesellschaften und Kulturen.



ANMERKUNGEN



1 Vgl. Uri Avneri, Optimist. An Autobiography, Tel Aviv 2014 (hebräisch).

2 Vgl. David Witzthum, The Image of Germany in the Israeli Media, Masterarbeit, Hebräische Universität Jerusalem, 2002 (hebräisch); aktuell: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.), Das Heilige Land und die Deutschen, Januar 2015, http://www.kas.de/wf/doc/kas_40104-544-1-30.pdf (13.1.2015).

3 Vgl. Moshe Zimmermann, Facelift – Das Image der Deutschen in Israel seit der Wiedervereinigung, Jerusalem 2013, http://www.tau.ac.il/GermanHistory/TAJB_2013_Zimmermann.pdf (13.1.2015).

4 Die berüchtigtste Umfrage war das "Eurobarometer" vom November 2003: http://ec.europa.eu/public_opinion/flash/fl151_iraq_full_report.pdf (13.1.2015). Eine BBC-Umfrage im Frühjahr 2014 hat ermittelt, dass nur 14 Prozent der Deutschen Israel positiv sehen. Vgl. A Turning Point in German-Israeli Relations, 24.2.2014, http://www.dw.de/a-17449202.

5 Die Historikerin Yfaat Weiss behauptet, dass das schwache Echo deutscher Angelegenheiten in Israel ein Ergebnis tief verwurzelter Stereotype ist. Vgl. Yfaat Weiss, The Faint Echoes of German Discourse in Israel, in: Partisan Review, 68 (2001) 3, S. 396–404.



Der Autor

DAVID WITZTHUM

Geboren 1948 in Petah-Tikva/Israel, studierte Politikwissenschaft, Philosophie und Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem, am College d'Europe in Brügge, Belgien und an der Oxford University in Großbritannien. Witzthum war mehrere Jahre Chefredakteur für Auslandsberichterstattung im israelischen Rundfunk und Fernsehen. Zwischen 1982 und 1985 arbeitete er für den israelischen Hörfunk und das Fernsehen als Korrespondent in Bonn. Seit 1993 ist Witzthum Moderator und Chefredakteur im Ersten israelischen Fern-sehen (Israel Broadcasting Authority). Er moderiert dort u.a. verschiedene Nachrichten- und Kulturmagazine. Seit 1994 lehrt Witzthum als Dozent an den Universitäten in Tel Aviv (Fach: Politik-wissenschaft) und an der Hebräischen Uni-versität Jerusalem (Fächer: Deutsche Geschichte und Kommunikation).

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